Kinder- und Jugendreisen ein unterschätzter Teil des Reiseverkehrs
Kinder- und Jugendreisen sind ein für Bildung und Persönlichkeitsentwicklung der Beteiligten hochwertiger, in Politik und Gesellschaft allerdings bislang deutlich unterschätzter Bereich des Reiseverkehrs. Das war am Mittwoch, 20. Februar 2019, der Tenor einer Expertenanhörung im Tourismusausschuss unter Vorsitz von Sebastian Münzenmaier (AfD), in der Vertreter von sieben Organisationen, unter anderen des Deutschen Jugendherbergswerkes, des Deutsch-Französischen Jugendwerks und des Fachverbands der Sprachreiseveranstalter, zu Wort kamen. Sie beklagten mehrheitlich eine mangelnde Beachtung ihrer Zielgruppe.
„Eklatantes Forschungsdefizit bei Jugendreisen“
Der Vorsitzende des Jugendtourismus-Fachverbands „Reisenetz“, Klaus Eikmeier, wies auf ein eklatantes Forschungsdefizit hin. Jugendreisen seien in besonderem Maße Orte des „informellen Lernens“, das wissenschaftlich bislang völlig unterbelichtet sei: „Kein Forscher interessiert sich für das Thema Entwicklung und Pädagogik des außerschulischen Lernens.“ Damit sei „eine der reiseaktivsten Zielgruppen überhaupt“ nicht erforscht.
Im Kompetenzzentrum Tourismus des Bundes komme das Thema Jugendreisen nicht vor, ebenso wenig interessiere sich die für Auslandsmarketing zuständige Deutsche Zentrale für Tourismus dafür. Bedenklich sei auch, dass in Deutschland ein Veranstalter, „der Minderjährige auf Reisen schickt“, keinerlei fachliche Eignung nachweisen müsse.
„Klassenfahrten heute weniger selbstverständlich als früher“
Oliver Engelhardt, der in der Anhörung für den Zusammenschluss der „Jugendherbergen im Norden“, in den Ländern Niedersachsen, Bremen und Nordrhein-Westfalen, sprach, kritisierte, dass Klassenfahrten im Schulalltag nicht den Stellenwert hätten, den sie nach seiner Ansicht haben sollten.
Nach wie vor gälten Klassenfahrten als „freiwillige Leistungen“, auf die auch verzichtet werden könne. Sie seien heute bei Weitem weniger selbstverständlich als in früheren Zeiten. Ein Problem sei auch, dass begleitende Lehrer nicht in allen Bundesländern die vollen Fahrtkosten erstattet bekämen.
3.000 pädagogische Programme in 470 Jugendherbergen
In dieselbe Kerbe hieb der Präsident des Deutschen Jugendherbergswerks, Günther Schneider, der ebenfalls den hohen „gesellschaftlichen Mehrwert“ von Klassenfahrten nicht angemessen „berücksichtigt“ fand. Dafür spreche auch, dass das derzeit aktuellste Dokument der Kultusministerkonferenz zu diesem Thema bereits aus dem Jahr 1983 stamme.
Schneider wies auf 3.000 pädagogische Programme hin, die in den 470 deutschen Jugendherbergen angeboten würden, und betonte, Klassenfahrten hätten weit mehr mit „Kompetenzerwerb“ und „Persönlichkeitsbildung“ zu tun als mit „reinem Urlaub“.
„Es gibt keinerlei Marktforschung in diesem Bereich“
Die Vertreterin des Fachverbands Deutscher Sprachreise-Veranstalter, Julia Richter, beklagte die Schwierigkeiten, die jugendliche Sprachschüler aus vielen Ländern mit der Visa-Erteilung hätten. Die Folge seien Planungsunsicherheit, zeitlicher Verzug und letztlich volkswirtschaftlicher Schaden.
Deutschland sei ein beliebtes Sprachreiseziel. Umso bedauerlicher sei die mangelnde Kooperationsbereitschaft der Deutschen Zentrale für Tourismus und der Umstand, dass es „keinerlei Marktforschung in diesem Bereich“ gebe.
„Jugendtourismus eröffnet neue Horizonte“
Hans-Dieter Heine vom Bundesforum Kinder- und Jugendreisen betonte, dass dieser Sektor des Reiseverkehrs nicht nur wirtschaftliche, sondern vor allem gesellschaftspolitische Bedeutung habe. Jugendtourismus sei „besonders wertvoll“, weil er „neue Horizonte“ eröffne und das Verständnis schärfe für „Vielfalt, auch für das Gesellschaftsmodell eines modernen, weltoffenen Europa“.
Jugendtourismus sei ein „gutes Mittel gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“ Umso bedauerlicher sei, dass derzeit 25 Prozent der jungen Menschen nicht in der Lage seien, an solchen Reisen teilzunehmen.
Probleme und Möglichkeiten der Qualitätssicherung
Kinder- und Jugendtourismus ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor in Deutschland. Das Bruttoumsatzvolumen lag im Jahr 2013 bei rund 38,2 Milliarden Euro. Eine Größe, die im Rahmen der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) geförderten Studie „Kinder- und Jugendtourismus in Deutschland 2013“ ermittelt wurde.
Da die Studie auf Daten aus dem Jahr 2013 basiert, soll die öffentliche Anhörung aktuelle Herausforderungen, Probleme und Möglichkeiten der Qualitätssicherung aufzeigen. Dabei geht es vor allem um Maßnahmen, die in der Kompetenz des Bundes liegen. Der Ausschuss möchte informiert werden, ob die in der Studie aufgezeigte mangelnde Vernetzung und Kooperation inzwischen verbessert wurde.
Kindern und Jugendliche aus einkommensschwachen Haushalten
Ein weiterer Aspekt der Anhörung wird das Reiseverhalten von Kindern und Jugendlichen aus einkommensschwachen Haushalten sein. Dabei soll vor allem festgestellt werden, ob die bestehenden Fördermöglichkeiten die Zielgruppe erreichen.
Darüber hinaus wird sich der Ausschuss mit dem Themenfeld „Sprachreisen“ befassen. Entwicklungen und gegebenenfalls Veränderungen in den letzten Jahren sollen mit den Sachverständigen erörtert werden. Dabei wird es um Veränderungen bei der Wahl der Zielländer, beim Nachfrageverhalten und hinsichtlich des Alters der Kinder- und Jugendlichen gehen. Auch der Tourismus nach Deutschland („Incoming-Tourismus“) im Rahmen von Sprachreisen soll thematisiert werden. (wid/20.02.2019)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Regine Dittmar, Deutsch-Französisches Jugendwerk
- Klaus Eikmeier, Reisenetz, Deutscher Fachverband für Jugendreisen e.V.
- Oliver Engelhardt, Die Jugendherbergen im Nordwesten
- Hans-Dieter Heine, BundesForum Kinder- und Jugendreisen
- Julia Richter, Fachverband Deutscher Sprachreise-Veranstalter e.V.
- Burkhard Schmidt-Schönefeldt, ruf Reisen GmbH
- Prof. Dr. Günther Schneider, Deutsches Jugendherbergswerk