Parlament

Bei Gesprächen in Prag und Bratislava auch manche Kritik ver­nommen

von links: Stephan Kühn, Renata Alt, Eric Reuting (Vorstand Personal bei Volkswagen Slovakia), Thomas Erndl, Marcus Bühl

Stephan Kühn (Bündnis 90/Die Grünen), Delegationsleiterin Renata Alt (FDP), Eric Reuting, Personalvorstand bei Volkswagen Slovakia, Thomas Erndl (CDU/CSU), Marcus Bühl (AfD) bei Volkswagen Slovakia in Bratislava (DBT/Büro Renata Alt)

Die parlamentarischen Beziehungen Deutschlands zu Tschechien und zur Slowakei zu pflegen und dabei die vor allem durch die Flüchtlingskrise entstandenen politischen Verwerfungen zu glätten, war das Ziel einer Reise der Parlamentariergruppe Slowakei-Tschechien-Ungarn des Bundestages, die vom 4. bis 8. Februar 2019 nach Bratislava und Prag führte. Zu den Gesprächsthemen gehörten außerdem die Europapolitik, wirtschaftliche Fragen, der Ausbau grenzübergreifender Infrastrukturen sowie die Rolle der Europäischen Union in der internationalen Politik, berichtete die Vorsitzende der Parlamentariergruppe, die FDP-Abgeordnete Renata Alt, nach ihrer Rückkehr. Der Delegation der Parlamentariergruppe Slowakei-Tschechien-Ungarn gehörten neben der Delegationsleiterin die Abgeordneten Thomas Erndl (CDU/CSU), Marcus Bühl (AfD) und Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/Die Grünen) an. 

Gespräche in zwei Hauptstädten

In beiden Hauptstädten traf die vierköpfige Delegation mit Parlamentariern der Slowakisch-Deutschen Freundschaftsgruppe und der Tschechisch-Deutschen Freundschaftsgruppe sowie mit Mitgliedern von Fachausschüssen, den Vorsitzenden der Parlamente, Regierungsangehörigen und Vertretern der Wirtschaft und Zivilgesellschaft zusammen. Die Slowakische und die Tschechische Republik, die bis 1993 einen Staat bildeten, pflegen enge Beziehungen zu Deutschland, betont Renata Alt. Deutschland sei für beide der wichtigste Wirtschaftspartner und Hauptbezugspunkt in der Europäischen Union. Für zahlreiche deutsche Unternehmen wiederum seien die Slowakei und Tschechien als  Märkte und Produktionsstandorte gesetzt.

Die Beziehungen zwischen den beiden ehemaligen Landesteilen seien heute besser denn je, beiden stellten sich ähnliche politische Fragen, man verfolge gemeinsame außenpolitische Ziele, erläutert die FDP-Politikerin, die selbst in Skalica (Slowakei), nahe der tschechischen Grenze, geboren wurde. Beiden Partnern habe man versichert, dass sie zusammengefasst in einer Parlamentariergruppe nicht weniger bedeutend für Deutschland seien als in der vorigen Wahlperiode des Bundestages, als es separate Gruppen für jedes Land gab. Die Zusammenlegung der zuvor eigenständigen Parlamentariergruppen sei bei den Partnern zunächst auf Unverständnis gestoßen. Das persönliche Gespräch habe nun auch dazu gedient, diese Irritationen zu beseitigen und die Beziehungen wieder zu kitten, sagte Alt.

„Die Flüchtlingskrise hinter sich lassen“

Viel wichtiger aber sei, dass beide Seiten nun daran arbeiteten, das Zerwürfnis auszuräumen, das durch die unterschiedlichen Auffassungen über den Umgang mit der Flüchtlingskrise 2015 entstanden war, sagte Alt. „Alle sind sich dessen bewusst, dass das Verhältnis seit der Flüchtlingskrise gestört ist.“ Die meisten Positionen in der Flüchtlingspolitik seien zwar bis heute gleich geblieben, man bemühe sich aber um eine Wiederannäherung. So betone beispielsweise Bratislava, seine Verpflichtungen bei der Verteilung der Flüchtlinge erfüllt zu haben, und verweise darauf, zahlreiche Geflüchtete aus Österreich aufgenommen zu haben. Man könne die Menschen aber nicht festhalten, wenn sie in „Sehnsuchtsländer“ wie Deutschland oder Schweden weiterreisen wollten, so die Verantwortlichen in Bratislava.

Nun wolle man die Flüchtlingskrise hinter sich lassen und gemeinsam in die Zukunft schauen. Das gelte für die parlamentarische wie für die Regierungsebene gleichermaßen, fasste Alt die Haltung aller Seiten zusammen. „Als Abgeordnete wollen wir dabei behilflich sein, die Zusammenarbeit zu verbessern und auszuloten, welche Kompromisse man dafür eingehen kann.“ Zu den Themen, mit denen sich politisch neue Brücken bauen ließen und über die man gesprochen habe, gehörten der Ausbau von grenzüberschreitenden Infrastrukturen, beispielsweise im Verkehrssektor, aber auch bei der Zusammenarbeit von Rettungsdiensten in den grenznahen Regionen zwischen der Tschechischen Republik und den deutschen Bundesländern Bayern und Sachsen.

„Zu einem neuen Modus der Zusammenarbeit kommen“

Um die Europapolitik und die Rolle der Europäischen Union in der Welt ging es bei Gesprächen mit Mitgliedern der Auswärtigen Ausschüsse und der Ausschüsse für die Angelegenheiten der Europäischen Union beider Länder sowie mit Regierungsvertretern. Sowohl ihre slowakischen als auch ihre tschechischen Gesprächspartner hätten den Eindruck hinterlassen, dass sie sich zur Europäischen Union bekennen und die Gemeinschaft voranbringen wollen, berichtet die Delegationsleiterin. „Bratislava und Prag beharren darauf, die Integration aktiv mitzugestalten. Sie wollen zum Kern der EU dazugehören und Partner auf Augenhöhe sein.“ Dabei suchten die beiden mitteleuropäischen Länder eine enge Zusammenarbeit mit Deutschland und stimmten sich, um ihrer Außenpolitik Gehör zu verschaffen, in der sogenannten Visegrád-Gruppe ab, der auch Polen und Ungarn angehören.

Dass dabei aus ihrer Sicht noch nicht alles rund läuft, hätten sowohl die slowakischen als auch die tschechischen Gesprächspartner ihre Gäste aus Berlin wissen lassen. So wünschten sich beide Länder dringend, dass Deutschland seine Politik besser mit seinen Nachbarn abstimmt, sagt Alt. Durch Alleingänge Berlins in Schlüsselbereichen, dessen Folgen auch die Nachbarn betreffen, fühlten sich die Mitteleuropäer mal mehr, mal weniger vor den Kopf gestoßen – nicht nur bei der Migrationspolitik, sondern auch in der Energiepolitik, beim plötzlichen Atomausstieg oder der deutsch-russischen Zusammenarbeit bei der Erdgasversorgung durch die Ostsee. So werde der Bau der Pipeline Nordstream II auch in Bratislava und Prag äußerst kritisch gesehen. Sowohl Tschechien als auch die Slowakei wünschten sich stattdessen, dass man strittige Themen bereits deutlich im Vorfeld von Abstimmungen im Europäischen Rat intensiver diskutiert und sich vorher abspricht.

„Ost-West-Gegensatz in der EU überwinden“

Nicht nur wollten die relativ kleinen mittelosteuropäischen Länder von den großen nicht vor vollendete Tatsachen gestellt werden. „Sie möchten auch nicht das Gefühl haben, wie Schüler oder immer noch als ,die Neuen aus dem Osten' behandelt zu werden, wie zur Zeit des EU-Beitritts 2004“, erläutert die liberale Außenpolitikerin. Die ursprünglich rein westeuropäische Gemeinschaft werde in Mitteleuropa noch immer als die mächtige „West-EU“ wahrgenommen. Daher arbeiteten Bratislava und Prag an der Überwindung dieses EU-internen Ost-West-Gegensatzes.

In diesem Zusammenhang habe die deutsche Delegation sich auch scharfe Kritik an dem neuen deutsch-französischen Vertrag anhören müssen. So fürchte man, obwohl die offizielle Außenpolitik beider Länder das Abkommen begrüßt habe, sowohl in der Slowakei als auch in Tschechien eine allzu große Stärke Deutschlands und Frankreichs, ja eine Dominanz der EU durch Berlin und Paris. Vertreter beider Länder hätten außerdem betont, wie viel ihnen an der konsequenten Anwendung des Subsidiaritätsprinzips liege, nach dem Fragen, die sich besser auf mitgliedstaatlicher Ebene lösen lassen, auch in der nationalen Kompetenz verbleiben oder sogar von der Gemeinschaftsebene dorthin zurücküberwiesen werden sollten.

Internationale Sicherheit und Verteidigung als EU-Aufgabe

Gehe es dagegen um die großen Fragen der Sicherheit und Verteidigung, stellten sich die Mitteleuropäer gerne in den größeren Zusammenhang der Union, die man im Übrigen als Ergänzung zum Nato-Bündnis betrachte, erläutert Alt die Haltung der Mitteleuropäer. Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik ebenso wie den gemeinsamen Schutz der EU-Außengrenzen wolle man in Bratislava und Prag angesichts globaler, für einzelne Länder nicht beherrschbarer Herausforderungen sogar noch ausbauen – könne man doch immer wieder Entwicklungen wie der Flüchtlingskrise ausgesetzt sein, auf die man vorbereitet sein müsse, so das Credo der Tschechen und Slowaken.

Im Rahmen von EU und Nato leisteten beide Staaten schon seit Langem ihren Möglichkeiten entsprechende Beiträge, mit finanziellen Mitteln und Personal, beispielsweise bei den militärischen Missionen auf dem Balkan oder im westafrikanischen Mali. Und auch am EU-Türkei-Abkommen (um Geflüchtete von einer Weiterreise in die EU abzuhalten) hätten sich Tschechien und die Slowakei finanziell beteiligt. Und an einer besseren finanziellen Ausstattung der EU-Grenzschutzagentur Frontex würden sich Bratislava und Prag ebenso beteiligen wie an einer neuen europäischen Afrika-Politik, die sicherstelle, dass den Menschen vor Ort geholfen werde, und die unkontrollierte Migrationsströme vermeiden helfe. Von einer gemeinsamen europäischen Armee, wie sie in Berlin und Paris angedacht werde, wollten Slowaken und Tschechen allerdings nichts wissen – zumindest nicht, solange man die Nato habe.

Politikverdrossenheit in beiden Ländern

Wie sehr die europäische Integration dabei auch in Mitteleuropa zu einem Projekt der politischen Eliten geworden ist, sei den deutschen Abgeordneten nicht erst bei der aktuellen Delegationsreise vor Augen geführt worden, unterstreicht Alt. So hätten politische Skandale, von Fällen alltäglicher und schwerer Korruption bis hin zu den vermeintlichen Verwicklungen der slowakischen Politik in den Mord an dem Journalisten Ján Kuciak, dem Renommee der Politik insgesamt dort schwer geschadet und die Politikverdrossenheit in der Bevölkerung wachsen lassen. Zwischen nationaler und europäischer Ebene machten die Wähler dabei keine Unterscheidung.

Für die Wahlbeteiligung in der Slowakei bei der bevorstehenden Europawahl am 26. Mai ließen sowohl der Wert der letzten Wahl, der bei nur 13 Prozent lag, als auch aktuelle Umfragen Schlimmes befürchten: Sie könne auf unter zehn Prozent sinken. Als Motivation, zur Wahl zu gehen, suche die Bevölkerung verzweifelt nach neuen Gesichtern, nach Politikern, die frei von Korruption sind. Ähnlich in Tschechien. Auf wirtschaftliche Probleme sei die Politikverdrossenheit kaum zurückzuführen, sagte Alt, gehe es doch beiden Ländern wirtschaftlich nicht schlecht.

„Fachkräftemangel bremst wirtschaftliche Entwicklung“

Für beide wachsenden Volkswirtschaften stelle der Fachkräftemangel momentan das größte Problem dar und bremse das wirtschaftliche Wachstum, erläutert die Vorsitzende der Parlamentariergruppe. Der Arbeitsmarkt sei wie leergefegt. Die Slowakei habe eine sehr niedrige Arbeitslosenquote, in Tschechien herrsche sogar Vollbeschäftigung. „Viele Unternehmen suchen händeringend neue Mitarbeiter. Sie können längst nicht mehr alle Aufträge bedienen.“ Dem versuche die Politik mit einer Öffnung des Arbeitsmarktes für neue Kräfte und der Qualifikation von Arbeitnehmern zu begegnen. So habe die Regierung in Bratislava nun eine Regelung geschaffen, die die Integration qualifizierter Fachkräfte aus Drittländern (Nicht-EU-Staaten) in den lokalen Arbeitsmarkt regelt.

Die Slowakei arbeite zudem an der Wiedereinführung des dualen Systems der Berufsausbildung, das es dort früher schon einmal gegeben habe, um weitere Arbeitskräfte entsprechend dem aktuellen Bedarf in standardisierten Lehrgängen zu qualifizieren und ihnen Abschlüsse vergleichbar dem deutschen Meistertitel zu verleihen. Haupttreiber bei diesem Vorhaben sei die Automobilindustrie, allen voran Volkswagen. Der Wolfsburger Konzern betreibt in Bratislava die größte Automobilfabrik des Landes. Über die Bedingungen auf dem lokalen Arbeitsmarkt und die Arbeitsmarktpolitik sprachen die deutschen Abgeordneten mit dem Personalvorstand von VW Slovakia, Eric Reuting. (ll/26.02.2019)

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