1. Untersuchungsausschuss

Zeugin schildert Klä­rung der Identität des Atten­täters Anis Amri

Eine Engelsfigur und Lichter sind am Mahnmal für die Opfer des Attentats vom 19.12.2016 auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz zu sehen.

Eine Zeugin aus dem Bundeskriminalamt (BKA) hat dem 1. Untersuchungsausschuss („Breitscheidplatz“) die Vorgänge geschildert, die zur Klärung der Identität des späteren Attentäters Anis Amri in ihrer Behörde führten. Der Weg zu Amri habe über dessen engen Vertrauten Bilel ben Ammar geführt, auf den das BKA im Zusammenhang mit einem Ermittlungsvorgang unter dem Codenamen „Eisbär“ aufmerksam geworden sei, berichtete Kriminalhauptkommissarin Karin van Elkan in ihrer Vernehmung unter Vorsitz von Armin Schuster (CDU/CSU) beginnt am Donnerstag, 4. April 2019. Die heute 41-Jährige ist seit 1997 beim BKA und dort seit 2000 in der Staatsschutz-Abteilung tätig.

„Gefahrenabwehr-Vorgang Lacrima“

Im Februar 2015 habe ihre Behörde einen „Gefahrenabwehr-Vorgang“ mit der Bezeichnung „Lacrima“ eingeleitet, der sich gegen den deutschen islamistischen Terroristen Dennis Cuspert richtete, führte die Zeugin aus. Der gebürtige Berliner war 2012 zunächst nach Libyen und dann weiter zum sogenannten Islamischen Staat nach Syrien ausgereist, von wo aus er wilde Drohungen gegen Deutschland und deutsche Bürger ausstieß sowie Aufrufe zum Heiligen Krieg lancierte. Die Bezeichnung „Lacrima“, lateinisch und italienisch für „Träne“, erklärte die Zeugin damit, dass sich Cuspert eine „Knastträne“ ins Gesicht hatte tätowieren lassen.

Bei der Überwachung seiner Mobilfunknummer fiel den Fahndern am 8. Juli 2015 ein Anruf von einem Handy auf, das sich dem damals in Berlin lebenden Tunesier Sabou Saidani zuordnen ließ. Saidani war am 24. Oktober 2014 gemeinsam mit sechs Landsleuten, unter ihnen auch der spätere Amri-Vertraute Ben Ammar, aus der Schweiz eingereist. Von ihm führte die Spur zu zwei weiteren Tunesiern, mit denen er eng befreundet war und gemeinsam Kampfsport trainierte. Zwischen dem 2. und dem 5. Oktober 2015 führte das Trio, wie die Ermittler feststellten, einen regen Telefonverkehr, in dem unter anderem die Rede davon war, „Berlin in die Luft zu sprengen“.

Eröffnung des Ermittlungsvorgangs „Eisbär“

Das BKA eröffnete daraufhin am 15. Oktober 2015 den Ermittlungsvorgang „Eisbär“, der sich gegen die drei Tunesier richtete. Nach der Erinnerung der Zeugin erklärte sich die Bezeichnung „Eisbär“ damit, dass die Verdächtigen in Berlin lebten, wo es einen bekannten gleichnamigen Eishockeyverein gibt. Am 24. November 2015  habe Ben Ammar bei Saidani angerufen und von ihm eine Information zur Weiterleitung an einen Dritten entgegengenommen. Er sei seither im Zusammenhang mit „Eisbär“ als „Nachrichtenmittler“ geführt worden.

Aus der Überwachung Ben Ammars hätten sich erstmals Hinweise auf dessen Freund „Anis in Dortmund“ sowie einen vermeintlich geplanten Anschlag ergeben. Im Gespräch mit seinem Landsmann Habib Selim, der gemeinsam mit ihm und der übrigen „Reisegruppe“ nach Deutschland gekommen war, habe Ben Ammar über einen „schönen Tod“ räsoniert, eine Reise nach Dortmund angekündigt und erwähnt, dass er aus Tunesien eine „Sache“ erwarte, die ihm in einer Berliner Moschee übergeben werden solle. Die Ermittler schlossen daraus, dass Ben Ammer in Dortmund ein Attentat verüben wollte. Bei der Durchsuchung der Moschee fand sich in der Tat ein Koffer, der indes keinen Sprengstoff, sondern Datteln und Rosenwasser enthielt.

Freundschaftsanfrage über Facebook-Profil

Anfang Dezember 2015 rief „Anis“ bei Ben Ammar an, kündigte seinen Besuch an und teilte mit, dass er ihm über sein Facebook-Profil „Anis Anis“ eine Freundschaftsanfrage geschickt habe. Als die Polizei daraufhin am 6. Dezember Ben Ammar in seiner Flüchtlingsunterkunft aufsuchte, traf sie dessen Bekannten dort an, der sich als Ägypter vorstellte, und bei dem sich Unterlagen über zwei verschiedene Aliasnamen fanden.

Der Abgleich mit Informationen aus Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Italien sowie mit Fotos auf dem Facebook-Profil habe zu der Feststellung geführt, dass Anis Amri der korrekte Name des bislang unter diversen Identitäten bekannten Asylbewerbers war.

Zeuge: Amri handelte ohne fremde Hilfe

Im weiteren Verlauf der Vernehmung hat ein leitender Beamter des Bundeskriminalamts (BKA) die Auffassung bekräftigt, dass der Attentäter Anis Amri seinen Terroranschlag im Dezember 2016 ohne fremde Hilfe verübt hat. Auch der als Mittäter verdächtigte Amri-Vertraute Bilel ben Ammar sei mit überwiegender Wahrscheinlichkeit am Tatabend nicht am Ort des Geschehens gewesen, betonte Kriminaldirektor Dr. Dominik Glorius. Der heute 52-jährige Zeuge ist seit 2004 beim BKA in Meckenheim bei Bonn tätig und leitet derzeit das Referat ST 25 „Völkerstrafrecht“. Er war seit Juli 2016 zwei Jahr lang in Berlin eingesetzt und dort in führender Funktion an den Ermittlungen beteiligt, die auf den Anschlag am Breitscheidplatz folgten.

Nach dem Attentat seines Freundes Amri war Ben Ammar zehn Tage lang abgetaucht, bevor er am 30. Dezember 2016 festgenommen wurde. Er saß dann gut vier Wochen lang wegen eines Betrugsdelikts in Untersuchungshaft und wurde am 1. Februar 2017 in seine Heimat Tunesien abgeschoben. In dieser Zeit hätten Beamte des BKA ihn zweimal stundenlang vernommen, ohne freilich viel von ihm zu erfahren, sagte der Zeuge. Ben Ammar habe zugegeben, Amri gekannt und ihn am Vorabend der Tat getroffen zu haben, eine radikalislamische Gesinnung aber bestritten. Er habe von Amri in erster Linie Drogen bezogen. Am Tag der Tat, erklärte Ben Ammar, habe er krank zu Bett gelegen. Auch als die Beamten ihm einen Kassenzettel vorlegten, aus dem hervorging, dass er stattdessen in Spandau Einkäufe getätigt hatte, sei er bei dieser Behauptung geblieben.

Keine „Unterstützungshandlung“ nachweisbar

Glorius betonte, dass Ben Ammar keine konkrete „Unterstützungshandlung“ beim Anschlag nachzuweisen sei. Auch in der Verfügung, mit der der Generalbundesanwalt das Ermittlungsverfahren gegen ihn eröffnet habe, sei lediglich die Rede von einem „Anfangsverdacht“ gewesen, er habe Amri „in nicht näher zu bestimmender Art und Weise Beihilfe“ geleistet: „Der Anfangsverdacht hat sich nicht erhärten lassen. Ich habe keine Tathandlung, die ich Ben Ammer zurechnen kann“, sagte der Zeuge. Einen Lastwagen zu kapern, den Fahrer zu erschießen und damit einen Weihnachtsmarkt zu überrollen, sei ohnehin keine Art der Tatbegehung, die sich nur „arbeitsteilig“ bewältigen lasse.

Zwar zeige ein Foto vom Tatort einen Mann in blauen Handschuhen, in dem auch manche seiner Kollegen Ben Ammar erkannt haben wollten, sagte der Zeuge. Es gebe aber andere Bilder, auf denen zu sehen sei, wie derselbe Mann Verletzten erste Hilfe leistete. Zudem hätten jene Beamten, die Ben Ammar in den beiden Vernehmungen gegenüber gesessen hätten, ausgeschlossen, dass er mit dem Mann auf dem ominösen Foto identisch sei. Mit überwiegender Wahrscheinlichkeit habe Ben Ammar den Tatabend in seiner Flüchtlingsunterkunft verbracht und mit der Gattin in Tunesien Whatsapp-Nachrichten zu Fragen der Ehe und der Kindererziehung ausgetauscht.

Abschiebung Ben Ammars

Bemerkenswert sei allerdings, dass sich auf seinem Mobiltelefon Fotos vom Breitscheidplatz gefunden hätten, die im Februar und März 2016 entstanden seien. Zu diesem Zeitpunkt indes habe Amri sich zwar schon mit Anschlagsplänen getragen, aber wohl noch nicht daran gedacht, mit einem Lastwagen einen Weihnachtsmarkt zu überrollen. Er habe sich ohnehin selber in den Wochen vor dem Anschlag nicht weniger als zwölfmal am Breitscheidplatz aufgehalten und den Tatort erkundet.

Da Ende Januar 2017 mit hoher Wahrscheinlichkeit Ben Ammars Untersuchungshaft abgelaufen wäre, habe das BKA „im Einvernehmen mit der Bundesanwaltschaft“ seine Abschiebung befürwortet, sagte der Zeuge. (wid/04.04.2019)

Liste der geladenen Zeugen

  • Karin van Elkan, Kriminalhauptkommissarin, Bundeskriminalamt
  • Dr. Dominik Glorius, Kriminaldirektor, Bundeskriminalamt
  • R. W., Bundesnachrichtendienst (nicht öffentlich)

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