1. Untersuchungsausschuss

BKA-Zeuge berichtet über Entdeckung von Anis Amri

Eine Frau übergibt am Breitscheidplatz am Mahnmal nach einer Abendandacht ein Kerzenlicht

Kerzen am Mahnmal am Ort des Terroranschlags vom 19. Dezember 2019 am Berliner Breitscheidplatz (© -)

Als das Bundeskriminalamt (BKA) Ende 2015 erstmals auf den späteren Breitscheidplatz-Attentäter Anis Amri aufmerksam wurde, war dort zunächst nicht bekannt, dass Amri bei der Polizei in Nordrhein-Westfalen bereits als Islamist registriert war. Dies berichtete ein Zeuge aus dem BKA am Donnerstag, 11. April 2019, dem 1. Untersuchungsausschuss („Breitscheidplatz“) unter Vorsitz des Abgeordneten Armin Schuster (CDU/CSU).

Der heute 37-jährige Kriminalhauptkommissar Alexander Stephan war vom Sommer 2015 bis zum März 2016 als Sachbearbeiter am Gefahrenabwehrvorgang „Lacrima“ und dem Ermittlungsvorgang „Eisbär“ beteiligt. Die beiden Verfahren richteten sich gegen tunesische Asylbewerber, die verdächtig waren, in Deutschland Anschläge vorzubereiten. Von Ende Dezember 2016 bis März 2017 wirkte Stephan an den auf Amris Attentat in Berlin folgenden Ermittlungen mit.

Amri führte diverse Falschnamen

Der erste Hinweis auf Amri, berichtete der Zeuge, habe sich am 25. November 2015 aus der Telefonüberwachung des Islamisten Bilel ben Ammar ergeben, der im „Eisbär“-Komplex als „Nachrichtenmittler“ geführt wurde. In dem Gespräch mit einem dem BKA bis dahin unbekannten „Anis“ habe Ben Ammar angekündigt, diesen demnächst in Dortmund zu besuchen. Aus einem weiteren Telefonat hätten die Ermittler den Eindruck gewonnen, dass „Anis“ in Dortmund Tatorte für mögliche Anschläge auskundschaften sollte.

Er habe es dann übernommen, die Identität des Mannes zu klären, was zwischen Ende November und Ende Dezember 2015 auch gelungen sei, berichtete der Zeuge weiter. Dass der Staatsschutz in Krefeld gegen denselben Verdächtigen bereits seit einem Monat einen „Prüfvorgang Islamismus“ betrieb, habe er anfangs nicht gewusst. Dies erkläre sich daraus, dass Amri den Behörden damals unter diversen Falschnamen bekannt war.

Abgleich von Fotos, Telefonnummern und Profilen

Erst durch den Abgleich von Fotos, Telefonnummern, Profile in sozialen Netzwerken und weiteren Informationen habe er die unterschiedlichen Identitäten Amris zusammenführen und dessen tatsächlichen Namen feststellen können. In diesem Zusammenhang habe er Mitte Dezember 2015 auch erfahren, dass das nordrhein-westfälische Landeskriminalamt Amri verdächtigte, ein Attentat mit Schnellfeuerwaffen zu planen. Am 11. Januar 2016 teilte das BKA den Landeskriminalämtern in Nordrhein-Westfalen und Berlin die Feststellung der Identität Amris mit.

Im Februar 2016 sei Amri dann in drei Sitzungen, an denen er teilgenommen habe, im Gemeinsamen Terrorismusabwehr-Zentrum (GTAZ) der deutschen Sicherheitsbehörden zur Sprache gekommen, berichtete der Zeuge weiter. Die einhellige wie auch seine eigene Einschätzung habe gelautet, dass von Amri „höchstwahrscheinlich“ eine Gefahr ausgehe, die aber nicht „hinreichend konkret“ gewesen sei: „Man hatte den abstrakten Eindruck, dass Amri in der Lage und gewillt war, einen Anschlag zu begehen, aber man wusste nicht, wie dieser Anschlag aussehen könnte.“

Ermittlungsvorgang „Ventum“

Keinen Beitrag aus eigener Erinnerung konnte der Zeuge zur Aufhellung eines Vorgangs leisten, der sich in einer GTAZ-Sitzung am 19. Februar 2016 abgespielt hatte. Damals bat der Vertreter des Landeskriminalamts in Nordrhein-Westfalen das BKA, den vom LKA betriebenen Ermittlungsvorgang „Ventum“ zu übernehmen, der sich gegen den Hildesheimer Hassprediger Abu Walaa richtete, und in dem Amri als Nachrichtenmittler geführt wurde.

Der Vertreter des BKA lehnte dieses Ersuchen noch in derselben Sitzung ohne Begründung ab. Der Zeuge meinte dazu, in der Regel ziehe das BKA einen Vorgang nur an sich, wenn die Zuständigkeit auf Länderebene unklar sei. Das sei bei „Ventum“ nicht der Fall gewesen.

„Keinen Bezug zu Anis Amri gehabt“

Im weiteren Verlauf der Sitzung berichte eine Zeugin aus dem Berliner Landeskriminalamt (LKA) dem Ausschuss über Personen im weiteren Umfeld des Attentäters Anis Amri. In ihrer Vernehmung schilderte Kriminaloberkommissarin S. D. ihre Ermittlungen gegen ein radikalislamisches Schleusernetzwerk, das in den Jahren 2014 und 2015 Jugendliche aus Berlin zur Ausreise ins Gebiet des sogenannten Islamischen Staats (IS) in Syrien bewegte. Die heute 29-Jährige war von Dezember 2014 bis Mai 2016 in der Abteilung 5 („Staatsschutz“) des Berliner LKA für die Bekämpfung radikalislamischer Kriminalität zuständig.

Zu Anis Amri, dem späteren Urheber des Terroranschlags am Berliner Breitscheidplatz, habe sie damals allerdings „keinen Bezug“ gehabt, sagte die Zeugin. Sie könne sich nicht erinnern, dass Amri ihr während ihrer Tätigkeit beim Staatsschutz überhaupt bekannt geworden sei. Allerdings habe sie mit dessen engstem Freund Bilel ben Ammar zu tun gehabt, ebenso wie mit mehreren Personen, die in einem Ermittlungsvorgang des Bundeskriminalamts unter dem Codenamen „Eisbär“ wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat eine Rolle spielten.

Tarnnamen zweier Berliner Islamisten

Ausgangspunkt ihrer Ermittlungen war, wie die Zeugin berichtete, der Fall eines Berliner Jugendlichen, den die türkische Polizei im August 2015 beim Versuch der Ausreise nach Syrien an der Grenze aufgegriffen und nach Deutschland überstellt hatte. In der Vernehmung nannte der Junge die Tarnnamen zweier Berliner Islamisten, die den Ausreiseversuch organisiert hatten.

Sie hätten ihm die Bekanntschaft mit einem 15-jährigen Mädchen aus Dortmund vermittelt, das sich nach ihren Worten ebenfalls dem IS anschließen wollte, und dem damals 16-Jährigen die Reise nach Syrien mit dem Hinweis schmackhaft gemacht, dort dürfe er anders als in Deutschland die junge Frau heiraten. In der Türkei sei er allerdings in die Hände von Menschen geraten, die drohten, ihn „abzuschlachten“, ihm den Kopf abzuschneiden und seine Leiche an einem unauffindbaren Ort zu verscharren, sollte er sich einfallen lassen, an Rückkehr zu denken.

Schlüsselfigur in den „Eisbär“-Ermittlungen

Einen der Islamisten, die den jungen Mann in Berlin bearbeitet hatten, konnte die Zeugin als Sabou Saidani identifizieren, die Schlüsselfigur in den damaligen „Eisbär“-Ermittlungen. Diese richteten sich gegen ein Trio aus Tunesien, das der Planung eines Sprengstoffanschlags verdächtig war. Saidani habe damals mehreren jungen Berlinern im Alter zwischen 14 und 17 Jahren zur Ausreise in Richtung Syrien verholfen. Ebenfalls im Schleusernetzwerk aktiv war der Konvertit Emmanuel K.-P., der den jungen Mann zur Wechselstube und später zum Flughafen begleitete. Er war freilich auch ein Informant des Berliner Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV).

An der Durchsuchung der Berliner Seituna-Moschee, wo nach Vermutungen der Polizei damals ein Koffer mit Sprengstoff aus Tunesien angeliefert werden sollte, war die Zeugin Ende 2015 ebenso beteiligt wie an der anschließenden Vernehmung des Amri-Vertrauten Ben Ammar. Er habe den Ermittlern von seinem Freund „Anis“ erzählt, mit dem er in Berlin eine Zeitlang im selben Flüchtlingsheim zusammengewohnt habe und den er jetzt eine Woche lang in Düsseldorf besuchen wolle. Seine Mobilfunknummer hatte er unter dem Namen „Anis“ im Telefon gespeichert. Sie habe allerdings keine Ahnung gehabt, wer dieser Anis war, geschweige denn, dass sie ihn als bereits polizeinotorischen Islamisten erkannt hätte, sagte die Zeugin. (wid/11.04.2019)

Liste der geladenen Zeugen

  • Alexander Stephan, Kriminalhauptkommissar, Bundeskriminalamt
  • S. D., Kriminalhauptkommissarin, Landeskriminalamt Berlin
  • Katharina Mühlfeld, Kriminalkommissarin, Bundeskriminalamt
  • Leonie Simonis, Kriminalkommissarin, Bundeskriminalamt

Marginalspalte