Parlament

Abgeordnete sam­meln Ein­drücke über die Lage in Bangladesch und Nepal

Zwei Männer und drei Frauen stehen nebeneinander aufgereiht.

Roland Schäfer, deutscher Botschafter in Nepal, Delegationsleiter Tobias Pflüger (Die Linke), Gabriele Katzmarek (SPD) und Bettina Stark-Watzinger (FDP) zu Gast bei der Staatspräsidentin Nepals, Bidya Devi Bhandari (Mitte) (DBT/Monika Hein)

Afghanistan, Bangladesch, Bhutan, Malediven, Nepal, Pakistan und Sri Lanka: Es ist Aufgabe der Deutsch-Südasiatischen Parlamentariergruppe im Deutschen Bundestag, die parlamentarischen Beziehungen zu diesen Ländern Südasiens zu pflegen. Zwei davon, Bangladesch und Nepal, besuchte eine Delegation von Bundestagsabgeordneten Anfang März 2019.

Bangladesch - „Lehrstück in Demokratie-Abbau“

In Bangladesch haben sich die Abgeordneten aus Deutschland einen unmittelbaren Eindruck von den Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie sowie von der Situation im größten Flüchtlingslager der Welt, nahe der Grenze zu Myanmar, verschafft. Wichtigste Gesprächspartner für die Delegation waren Vertreter der sehr aktiven Zivilgesellschaft, die in Bangladesch mittlerweile die Rolle einer außerparlamentarischen Opposition spielt, sagt Tobias Pflüger (Die Linke), Vorsitzender der Deutsch-Südasiatischen Parlamentariergruppe. Termine hatten die Deutschen außerdem mit Vertretern deutscher Firmen und Hilfsorganisationen.

Der Kontakt mit dem Parlament in Dhaka, das sich nach den jüngsten Wahlen gerade neu konstituiert hat, habe sich dagegen auf ein Treffen mit der Parlamentspräsidentin Shirin Sharmin Chaudhury beschränkt. Bei den jüngsten Parlamentswahlen in Bangladesch war es zu Unregelmäßigkeiten gekommen. Die Regierungspartei erhielt 285 von 300 Sitzen. Eine derart übergroße Mehrheit sei „sehr ungut“, so Pflüger, und weiter: „Wir erleben in Bangladesch gerade ein Lehrstück in Demokratie-Abbau.“

„Die Abgeordneten der Regierungspartei sind mit Übereifer dabei, eine Staatspartei aufzubauen – und schießen dabei weit über das Ziel hinaus. Wir haben uns gefragt, warum die Regierung die Wahlen nachträglich derart manipuliert hat.“ Pflüger glaubt, dass der Zuspruch der Wähler auch ohne rechtswidrige Eingriffe für zwei Drittel der Mandate gereicht hätte. Seltsam sei bereits gewesen, dass bei diesen Wahlen nicht, wie bei früheren Urnengängen in Bangladesch, internationale Wahlbeobachter anwesend waren.

Größtes Flüchtlingslager der Welt besucht

Wie die Regierung in Dhaka mit Hunderttausenden Flüchtlingen aus dem benachbarten Myanmar umgehe, denen in ihrer Heimat jegliche Bürgerrechte verwehrt werden, davon hätten sich Pflüger und seine Delegation im größten Flüchtlingslager der Welt Kutupalong nahe der Stadt Cox’s Bazar im Südosten von Bangladesch ein Bild gemacht. In dem Lager, für das eigens ein großes Waldgebiet gerodet worden sei, würden mittlerweile fast eine Million Flüchtlinge, vor allem Angehörige der Volksgruppe der Rohingya aus Myanmar, Zuflucht finden.

Wie dieses riesige Camp, das einer Millionenstadt gleiche, gemeinsam von der Regierung Bangladeschs, dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) gemanagt werde, sei eindrucksvoll, berichtet Pflüger. Das Lager sei in zahlreiche Parzellen mit Zuständigkeitsbereichen für die verschiedenen Hilfsorganisationen unterteilt, darunter die Deutsche Welthungerhilfe, das Deutsche Rote Kreuz, die Caritas, Malteser oder die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit. Die Bundestagsabgeordneten hätten vor Ort Informationen aus erster Hand von den Repräsentanten der internationalen Organisationen sowie von der Regierung erhalten.

Rohingya-Flüchtlinge müssen in Bangladesch integriert werden

Mit ihrem Akt humanitärer Hilfe nach der massiven Flüchtlingswelle der Jahre 2017/18 habe die Regierung Bangladeschs international große Anerkennung erfahren, und ein überwältigendes Engagement der Staatengemeinschaft nach sich gezogen. Von deutscher Seite seien das Auswärtige Amt und die Kreditanstalt für Wiederaufbau an der Finanzierung beteiligt. Für Bangladesch aber sei aus der schnellen humanitären Hilfe mittlerweile eine innenpolitische Frage geworden: Was soll mit den Geflüchteten passieren, wenn diese nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren können, weil dort die politischen Verhältnisse und die Lebensbedingungen für die Rohingya unerträglich sind? Es dämmere mittlerweile allen Beteiligten, dass sich die Rohingya auf ein Bleiben in Bangladesch einrichten müssten, daher müsse es nun um deren Integration gehen, meint Pflüger.

Um mehrere Hunderttausend Menschen in Gesellschaft, Arbeitsmarkt und Sozialsysteme aufzunehmen, seien enorme Anstrengungen nötig. „Dazu leisten die Organisationen und alle Helfer im Flüchtlingslager wichtige Vorarbeit“, sagt der Abgeordnete. „Mit unserem Besuch wollten wir ihnen auch ein Signal geben, wie wichtig ihre Hilfe ist.“

Erschreckende Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie

Kann man in den Ländern Südasiens hergestellte Kleidungsstücke mit gutem Gewissen tragen, fragen sich viele Verbraucher in Europa. Dieser Frage wollten auch die Abgeordneten der Deutsch-Südasiatischen Parlamentariergruppe vor Ort nachgehen. Die Arbeitsbedingungen in Bangladesch seien teilweise erschreckend und bestätigten sämtliche düsteren Vorurteile über die dortige Bekleidungsindustrie, könnten jedoch an ein und demselben Standort sehr unterschiedlich sein, weiß Pflüger zu berichten. Neben Fabriken, in denen Arbeitsstandards mit Füßen getreten würden, gebe es auch Vorzeige-Produktionsstätten, an denen unter besseren Arbeitsbedingungen produziert werde. So sei gerade der Mindestlohn sowie von der Regierung – offiziell für alle Arbeitnehmer – erhöht worden.

Die Abgeordneten aus Deutschland hätten über die Sicherheits-, Sozial- und Umweltstandards in der Textilindustrie Gespräche mit Firmenvertretern, Einkäufern, Gewerkschaftern und Beschäftigten geführt und einen umfassenden Einblick in den Produktionsprozess erhalten. „Dabei kamen wir auch zu den Näherinnen, von denen wir aber zum Beispiel keine konkrete Antwort über die Länge der Arbeitszeiten bekommen haben“, so der Vorsitzende der Parlamentariergruppe. „Was wir vorgeführt bekommen haben, ist natürlich nur ein Teil der Wahrheit.“ Unter den besichtigten Fabriken sei auch eine Firma gewesen, an der sich die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit beteilige. Sämtliche Hersteller würden in Bangladeschs Textilsektor produzieren lassen, erläutert Pflüger. „In den Auslieferungslagern haben wir alle bekannten Kleidermarken nebeneinander gesehen. Luxusartikel und Discountprodukte laufen dort durch dieselben Maschinen.“

Soziale Mindeststandards angemahnt

„Wir haben die Verantwortlichen vor Ort dazu aufgerufen Mindeststandards einzuhalten und außerdem die Frage eines Labels für soziale Verantwortung angesprochen“, sagte der Linken-Abgeordnete. Dabei sei man auf ein geteiltes Echo gestoßen: Während sich der Vertreter der besuchten Fabrik dieser Idee gegenüber offen gezeigt hätte, habe sich der Repräsentant des Dachverbandes der Textilindustrie klar dagegen ausgesprochen.

„Die teilweise unglaublichen Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie sind zurecht in die Schlagzeilen geraten“, zog Pflüger aus diesem Einblick in die Branche vor Ort seine Schlussfolgerung. „Ein wesentlicher Teil der Verantwortung liegt bei deutschen Firmen. Aber auch bei den Verbrauchern“, die es durch ihr Einkaufsverhalten in der Hand hätten, auf welche Weise Bekleidung künftig produziert werde. Zu den Eindrücken der Reise gehörte auch die bedeutende Rolle, die der Klimawandel für das Land am indischen Ozean spielt. Pflüger rief in Erinnerung, dass bei einem Anstieg des Meeresspiegels um nur wenige Zentimeter ein Drittel des Landes, das von einem riesigen Deltasystem geprägt ist, unter Wasser stünde. „Bangladesch ist eines der Länder, das in sehr kurzer Zeit sehr stark von den Folgen des Klimawandels betroffen ist.“

Nepals Wirtschaft prosperiert

Anders die Eindrücke in Nepal. „Nepal wird bisher vor allem als Land am Himalaya gesehen. Dabei ist Nepal sehr viel vielschichtiger“, sagte Pflüger über das Gebirgsland, das bei Profi-Bergsteigern und Kulturtouristen zu den Top-Reisezielen gehört. Nepal liege inmitten der geopolitischen Gemengelage zwischen China und Indien und arbeite immer noch an der Beseitigung der Schäden der schweren Erdbeben von 2015. Im südlichen, kaum bergigen Teil des Landes, befinde sich der bevölkerungsreichste Teil Nepals. Die Wirtschaft prosperiere, auch Unternehmen aus Deutschland seien dort ansässig. Beispielhaft habe man sich eine Produktionsstätte der Warsteiner Brauerei angesehen.

Gesprächspartner der Bundestagsabgeordneten in Nepal seien Parlamentarier gewesen, die Staatspräsidentin, der Premierminister und weitere hochrangige Regierungsmitglieder sowie Vertreter aus Wirtschaft, Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen und der Zivilgesellschaft, darunter Mitarbeiter der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Die zahlreichen hochrangigen Termine hätten gezeigt, dass der Besuch der Deutschen von der politischen Ebene wahrgenommen wurde, resümiert Pflüger. Man habe sehr offene Gespräche geführt.

Politische Entwicklung gibt Anlass zur Hoffnung

Vor allem die politische Entwicklung gebe für den Vorsitzenden der Parlamentariergruppe Anlass zur Hoffnung. „Nepals Parlament ist aus demokratischen Wahlen hervorgegangen“, so der Bundestagsabgeordnete. Die Regierung habe eine sehr korrekt gelaufene Wahl klar gewonnen und könne sich nun auf eine satte Zweidrittelmehrheit der Abgeordneten aus Maoisten und Kommunisten stützen. Die Bundestagsabgeordneten sprachen mit ihren Kolleginnen und Kollegen des nepalesischen Parlaments und vereinbarten eine Vertiefung der Zusammenarbeit.

Die deutsche Delegation bekam auch einen Eindruck von der Neugliederung des Landes in föderale Strukturen – mit sehr weitreichenden Kompetenzen ausgestattete Körperschaften, ähnlich den deutschen Bundesländern. In Butwal besuchten sie das dortige Parlament, sprachen mit dem Parlamentspräsidenten und dem Ministerpräsidenten. „Die nepalesischen Rechtsexperten haben bei der Konzeption ihrer neuen Verfassung auch das deutsche föderale System angeschaut, auch wenn dieses nicht eins zu eins übertragbar ist, und sind sehr interessiert an einem fortgesetzten Erfahrungsaustausch mit dem historischem Beispiel Deutschland“, berichtet Pflüger.

„Beeindruckende Verfassung“

Als weiteren Lichtblick der Verfassung habe Nepal sich zudem auf den Weg zu größerer Gleichberechtigung gemacht und eine landesweite Quote für die Beteiligung von Frauen eingeführt, von den zentralen Ämtern der Präsidentin und des Premiers bis hin zu einer 33-Prozent-Quote im nationalen und den Länderparlamenten. „Wir haben natürlich nachgefragt, inwieweit diese auch in anderen Bereichen beeindruckende Verfassung auch implementiert wird“, so der Vorsitzende der Parlamentariergruppe. „Es gab viele Hinwiese, vor allem von Nichtregierungsorganisationen, dass die konkrete Umsetzung der Verfassung in vielen Bereichen sehr zu wünschen übrig lässt.“

Eindrucksvoll sei jedenfalls, wie in Nepal die Aussöhnung ehemaliger Konfliktparteien des Bürgerkriegs der Jahre 1996 bis 2006 funktioniere, auch wenn dieser 2006 eingeleitete Friedens- und Demokratisierungsprozess noch nicht abgeschlossen sei. „Es ist beispielhaft, wie die ehemaligen Gegner aufeinander zugegangen sind und sich ausgesöhnt haben.“ Opferverbände, die beispielsweise Folteropfer oder ehemalige Kindersoldaten vertreten, prangerten jedoch an, dass Verbrechen nicht aufgearbeitet und sie als Betroffene nicht eingebunden würden. „Wir haben daher angemahnt, die Belange der Opfer des Bürgerkriegs bei der Aufarbeitung der Vergangenheit stärker zu berücksichtigen“, sagt Pflüger.

Großes Interesse an Zusammenarbeit mit Deutschland

Insgesamt sei man mit allen Gesprächspartnern übereingekommen, die Beziehungen zwischen Deutschland und Nepal zu intensivieren. Das Interesse an Deutschland sei in beiden jetzt bereisten Ländern hoch. Umgekehrt hätten nepalesische Gesprächspartner mehrfach gesagt: „Nehmt uns bitte noch mehr wahr.“ Dabei stehe mehr und mehr wieder der Erfahrungsaustausch in allen Bereichen im Vordergrund, nachdem die Folgen der schweren Erdbeben nach und nach bewältigt würden. Die Nepalesen setzten alles daran, ihre zerstörte Infrastruktur, Wohnhäuser und vor allem religiöse Kultstätten wiederherzustellen. Dazu erhalte das Land auch umfassende Hilfe und Know-how aus Deutschland.

Zusammen mit ambitionierten Projekten vor Ort könne die Katastrophe von 2015 überwunden werden. So habe man man im Kathmandutal den Betrieb eines Nepalesen besichtigt, der die Häuser dort nach historischem Vorbild mithilfe von Fotos wieder aufbauen lässt. Der Handwerker, der in Deutschland gelernt habe, schaffe außerdem in Anlehnung an das duale Ausbildungssystem für zahlreiche Menschen Ausbildungsmöglichkeiten in seinem Betrieb und könne damit auch noch einige Lehrer an Schulen finanzieren. (ll/26.04.2019)

Marginalspalte