Konsequenzen aus dem Artensterben
Die Warnung des Weltbiodiversitätsrates vor einem dramatischen Artensterben hat auch im Bundestag ein großes Echo gefunden. Steffi Lemke (Bündnis 90/Die Grünen) warf der Bundesregierung in einer Aktuellen Stunde am Freitag, 10. Mai 2019, vor, das Problem zu verschlafen. Für den Naturschutz seien die Regierungsjahre umsonst gewesen, der Zustand der biologischen Vielfalt habe sich rapide verschlechtert, kritisierte die Grünen-Abgeordnete.
Grüne: Bienengefährdende Pestizide verbieten
Lemkes Fraktion hatte in Reaktion auf den Bericht die Aktuelle Stunde unter dem Titel „Nach dem globalen Report zur Artenvielfalt – Politische Konsequenzen aus dem gefährlichen Artensterben“ beantragt. Lemke forderte von der Bundesregierung, noch in diesem Jahr Entscheidungen zu treffen, statt Ziele für 2030 oder 2050 festzulegen. Sie schlug unter anderem vor, bis 2025 den Pestizideinsatz zu halbieren. Bienengefährdende Pestizide müssten sofort verboten werden.
Zudem sollte die Bundesregierung in den Beratungen zum Bundeshaushalt 2020 sämtliche umweltschädlichen Subventionen streichen. Auf EU-Ebene müsse die Gemeinsame Agrarpolitik neu ausgerichtet werden. Das Massenaussterben ließe sich noch stoppen, „wenn wir in sehr großer Entschiedenheit handeln“, sagte Lemke.
Regierung: Nachhaltigkeit als Prinzip des Handelns
„Wir können nicht mehr länger wegschauen“, betonte Maria Flachsbarth (CDU), Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, „Nachhaltigkeit muss zum Prinzip unseres Handelns werden.“ Benötigt würden eine nachhaltigere Landwirtschaft, ein größerer Einsatz erneuerbarer Energien oder auch eine Reduzierung beim Wasser- und Ressourcenverbrauch.
Deutschland übernehme aber bereits Verantwortung, sagte Flachsbarth und verwies auf Projekte wie den Schutz von Tropenwäldern, die das Ministerium fördere. Der Bericht mache auch klar, dass es noch nicht zu spät sei, wenn entschlossen gehandelt werde. „Wir handeln entschlossen“, stellte Flachsbarth fest.
Das betonte auch Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD), Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit. Die Bundesregierung habe den Wecker, von dem Lemke gesprochen hatte, nicht nur schon lange gehört, „wir sind schon lange aufgestanden“, sagte die Staatssekretärin.
AfD: Menschen zerstören eigene Lebensgrundlage
Dietmar Friedhoff (AfD) mahnte, dass die Menschheit ihre Art zu leben ändern müsse, um das Überleben der Arten sicherzustellen. Die Menschen zerstörten ihre eigene Lebensgrundlage. Als problematische Faktoren benannte Friedhoff das Bevölkerungswachstum der Welt, den ungezügelten Konsum sowie die Globalisierung und Digitalisierung.
So vernichte exzessive Landwirtschaft Arten. Aber auch die „linksgrüne Energiewende“ trage dazu bei, etwa durch die Windkraft, die zum „Wegschreddern“ von Insekten und Vögeln führe, kritisierte Friedhoff.
SPD: Bericht muss ein Alarmsignal sein
Carsten Träger (SPD) sagte, der Bericht müsse ein „Alarmsignal“ sein. Es sei höchste Zeit, „dass wir als Politik dieser Verantwortung gerecht werden“. So müsse sich jeder, der in Verantwortung steht, etwa die Frage stellen, wie künftig Landwirtschaft betrieben, wie gebaut und wie konsumiert werden könne. Das Artensterben als globales Problem bedürfe globaler Maßnahmen, stellte Träger klar, aber auch in Deutschland und Europa sei noch viel zu tun.
Träger verwies unter anderem auf die Förderpolitik im Rahmen der EU-Agrarpolitik. Künftig müssten Landwirte, die für Natur-, Tier- und Umweltschutz auf Erträge verzichteten, gefördert werden. „Öffentliche Gelder für öffentliche Leistungen“, forderte der Sozialdemokrat.
FDP: Ideen müssen Taten folgen
Judith Skudelny (FDP) warf Grünen und SPD vor, mit ihren Vorstellungen zur Landwirtschaft in Deutschland indirekt den Flächenverbrauch in Entwicklungs- und Schwellenländern zu forcieren. Statt Erträge in Deutschland sinken zu lassen, müssten sie mindestens erhalten werden. Gleichzeitig müssten aber auch bei der Biodiversität Fortschritte gemacht werden.
Skudelny kritisierte vor allem das Landwirtschafts- und das Umweltministerium dafür, sich in einem „Zickenkrieg“ zu ergehen, statt Hand in Hand etwas für Deutschland und den Umweltschutz zu tun. Es reiche nicht, nur Papier zum Insektenschutz, zum Umgang mit Plastik oder zur Digitalisierung vorzulegen. Den Ideen müssten auch Taten folgen, forderte die FDP-Abgeordnete.
Linke: Artensterben ist menschengemacht
Lorenz Gösta Beutin (Die Linke) sagte, aus dem Bericht folge, dass „wir unsere Art zu leben, unsere Art zu konsumieren, unsere Art zu wirtschaften“ von Grund auf ändern müssten. Das aktuelle Artenstreben sei menschengemacht, etwa durch die Agrarindustrie oder den Klimawandel. Es reiche aber nicht, den Kapitalismus grün anzumalen, der Kapitalismus müsse überwunden werden, sagte der Linken-Abgeordnete.
Nicht-Handeln sei keine Option, so werde vielmehr die Zukunft der Menschheit gefährdet. „Fangen wir an, ungehorsam zu sein, gehen wir auf die Straße, wagen wir die Rebellion“, sagte Beutin.
CDU/CSU weist auf Zielkonflikte hin
Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU) wies Beutins Forderungen nach der Überwindung des Kapitalismus mit Verweis auf seine Erfahrungen mit Umweltzerstörung in der DDR zurück. Schulze betonte, dass es sich um ein globales Problem handele, „was wir alleine nicht lösen können“. Der Christdemokrat hob hervor, dass es teils Zielkonflikte gebe. So könne der Waschbär, eine invasive Art und ein Eieräuber, nicht nur mit der Flinte bejagt werden. Dafür müsste eigentlich die Fallenjagd wieder aktiviert werde, was aber zu Problemen beim Tierschutz führe.
Schulze appellierte zudem an die Verantwortung der Verbraucher. So trage die Nachfrage nach Garnelen zum Rückgang der Mangrovenwälder bei. Inzwischen könne man Garnelen, die einst ein Luxusgut waren, sehr günstig kaufen. „Da könnten wir alle einen Beitrag leisten, wenn wir das nicht machen“, sagte Schulze.
Bericht des Weltbiodiversitätsrats
Dem Bericht des Weltbiodiversitätsrats (IPBES) zufolge sind bis zu eine Million Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht. Derzeit gibt es dem Report zufolge noch geschätzt acht Millionen Tier- und Pflanzenarten. Drei Viertel der Naturräume auf den Kontinenten seien vom Menschen bereits erheblich verändert, in den Meeren zwei Drittel, heißt es im IPBES-Bericht. Gravierende Folgen für Menschen weltweit seien inzwischen wahrscheinlich. Daher dürfe nicht länger wirtschaftliches Wachstum im Fokus der Weltgemeinschaft stehen, mahnen die Autoren.
Neue, nachhaltige Finanz- und Wirtschaftssysteme seien nötig. In den meisten Lebensräumen auf dem Land ist der Analyse zufolge die Zahl dort natürlich vorkommender Arten im Mittel um mindestens 20 Prozent geschwunden, zumeist seit 1900. Mehr als 40 Prozent der Amphibienarten, fast 33 Prozent der riffbildenden Korallen und mehr als ein Drittel aller marinen Säugetierspezies sind bedroht. (scr/10.05.2019)