Kinderkommission

Experten fordern In­vestitionen in die Ge­sund­heit der Kinder

Neugeborenes mit weit geöffnetem Mund im Krankenhaus

Die medizinische Versorgung von Neugeborenen war Thema in der Kinderkommission des Bundestages. (picture-alliance/dpa-Themendienst)

„Jetzt begeben wir uns in die Situation des Kindes, wenn es auf der Welt ist“, sagte Susann Rüthrich (SPD), Vorsitzende der Kinderkommission (Kiko), zu Beginn der Gremiensitzung mit dem Thema „Postnatales Kindeswohl I: Medizinische Versorgung im ambulanten und klinischen Bereich“ am Mittwoch, 8. Mai 2019.

Nachdem in den vergangenen Sitzungen vermehrt die Betreuung von Schwangeren und die Geburtssituation in Deutschland auf der Tagesordnung standen, nahmen die drei geladenen Sachverständigen im Rahmen eines öffentlichen Expertengesprächs dieses Mal Stellung zur gesundheitlichen Situation von bereits geborenen Kindern und Kleinkindern in Deutschland.

„Pflegenotstand in fünf Jahren jetzt schon fixiert“

Auf die Frühgeborenenrate in der Bundesrepublik, die bereits in der letzten Kiko-Sitzung thematisiert wurde, kam Dr. Burkhard Rodeck, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) und Chefarzt des Kinderhospitals Osnabrück, zurück. Die Rate sei mit acht bis zehn Prozent aller Kinder im europäischen Vergleich zwar sehr hoch, dennoch stehe Deutschland in der Frühgeborenenversorgung verglichen mit anderen industrialisierten Ländern überdurchschnittlich gut daDie Sterberate bei Frühgeborenen sowie die Rate langfristiger kognitiver Einschränkungen dieser Kinder seien in den letzten Jahren erkennbar zurückgegangen.

Gleichwohl gebe es dringenden Handlungsbedarf in der Perinatologie und der Neonatologie, so Rodeck. „Der Pflegenotstand in der Kindermedizin in fünf Jahren ist jetzt schon fixiert“, mahnte er mit Blick auf die strukturellen Entwicklungen auf diesem Gebiet. Einerseits würden die Investitionskosten in die klinische Versorgung seitens der Bundesländer viel zu wenig erstattet werden, andererseits schwinde das Pflegepersonal in der Kindermedizin drastisch, was unter anderem auf lange Ausbildungs- und Fortbildungswege zurückzuführen sei.

Die Frage, wie Frühgeburten verhindert werden könnten, würde zugunsten der Frage nach der Versorgung viel zu selten gestellt, so Rodeck weiter. Ziel müsse es unbedingt sein – neben der Ökonomisierung der Medizin und der Stärkung der Kinderkrankenpflege –, an einer Senkung der Frühgeborenenrate zu arbeiten, um die klinische Versorgung von Kindern mittel- und langfristig zukunftsfähig zu machen.

Überalterung bei Kinderärzten

In die Situation der ambulanten Kindermedizin führte Dr. Thomas Fischbach, Präsident des Bundesverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), ein. Die Realität zeige, dass Kinderkliniken immer öfter geschlossen würden und dass Eltern häufig keinen Kinder- und Jugendarzt in ihrer Umgebung hätten. Hinzu komme, dass die „Ressource Arzt“ immer knapper würde und gerade im Bereich der Kindermedizin eine Überalterung festzustellen sei.

„Wir brauchen ein besseres Konzept“, forderte Fischbach, „es wird nicht gelingen, das Problem zu lösen, indem man Ärzte aus anderen Ländern herausklaut.“ Seiner Einschätzung nach bedürfe es deutlich mehr Medizinstudenten und entsprechender Studienplätze in Deutschland, um dem Ärztemangel zu begegnen. Zugleich seien aber auch eine bessere Vergütung des Personals sowie eine gesteigerte Kooperation und engagiertere Netzwerkpflege zwischen den unterschiedlichen Berufsgruppen – von Hebammen über Gynäkologen bis hin zu Kinderärzten – notwendig, um die ambulante Versorgung von Kindern besser gewährleisten zu können.

Im Bereich der Prävention mahnte Fischbach vor allem zu einer bewussteren Ernährung. Insbesondere seien etwa in Kitas Mindeststandards einzuführen. Auch sollten Werbung stärker kontrolliert und zuckerhaltige Getränke höher besteuert werden. Zudem sei es unerlässlich, gewissenhaft und altersübergreifend zu impfen – insbesondere gegen Masern. Den Vorstoß zu einer Impfpflicht durch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) begrüßte Fischbach daher ausdrücklich.

Integration darf keine Mogelpackung sein

Weitere sozialmedizinische Aspekte vertiefte Dr. Gabriele Trost-Brinkhues vom Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes, die zugleich Leiterin des Kinder- und Jugendärztlichen Dienstes beim Gesundheitsamt der Städte-Region Aachen und Mitglied im Nationalen Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) ist

Bei 20 Prozent aller Kinder eines Jahrgangs sei eine Bildungs- und Gesundheitsbenachteiligung festzustellen. Bei Kindern, deren Eltern keinen Schulabschluss oder keine Ausbildung gemacht hätten, liege der Förderbedarf zwischen 40 und 50 Prozent. Wichtig sei daher „eine ehrliche Integration, die keine Mogelpackung ist, die von der Kita bis in die Schule gewährleistet wird“. 

Bedenke man, dass 90 Prozent der Gehirnentwicklung in den ersten drei Lebensjahren stattfinde, könne man auch erkennen, wie wichtig frühe Unterstützung von Kindern für deren Heranwachsen ist. Gesundheit und Entwicklung würden sich bereits in den frühesten Jahren entscheiden. Wo etwa elterliche Kompetenz fehle, müsse daher die Bereitschaft der Eltern gestärkt werden, Hilfe von außen anzunehmen. „Investitionen in frühe Hilfe rechnen sich“, zeigte sich Trost-Brinkhues überzeugt. Langfristig würden diese auf das Konto der Gesellschaft zurückgezahlt werden. (ste/08.05.2019)   

Liste der geladenen Sachverständigen

  • Dr. Thomas Fischbach, Präsident des Bundesverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ)
  • Dr. Burkhard Rodeck, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), Chefarzt des Kinderhospitals Osnabrück)
  • Dr. Gabriele Trost-Brinkhues, Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes, Leiterin des Kinder- und Jugendärztlichen Dienstes beim Gesundheitsamt der Städte-Region Aachen, Mitglied im Nationalen Zentrum Frühe Hilfen (NZFH)

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