Familie

Erfahrungen mit dem Bundes­pro­gramm „Demo­kratie leben!“ aus­getauscht

Studentendemonstration an der Universität Duisburg-Essen, gegen drohende Studiengebühren.

Die Erfahrungen mit dem Bundesprogramm „Demokratie leben!“ interessierten den Unterausschuss „Bürgerschaftliches Engagement“. (© picture-alliance/imageBROKER)

Radikalisierungstendenzen und Extremismus, ob in Form von Worten oder Taten, bleiben eine Herausforderung für Gesellschaft und Staat. Um ein „vielfältiges, gewaltfreies und demokratisches Miteinander“ zu fördern, hat die Bundesregierung im Januar 2015 das Programm „Demokratie leben!“ aufgelegt, das sich in erster Linie an Kinder und Jugendliche richtet.

Das beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend angesiedelte Programm kann im Jahr 2019 Fördergelder in Höhe von 115,5 Millionen Euro an zahlreiche Initiativen, Vereine und engagierte Bürger vergeben. Ende des Jahres läuft die Förderperiode des Programms nun aus, ab Januar will die Bundesregierung ein Folgeprogramm auflegen.

Das war Anlass für den Unterausschuss „Bürgerschaftliches Engagement unter Vorsitz von Alexander Hoffmann (CDU/CSU) am Mittwoch, 8. Mai 2019, Anlass für ein öffentliches Fachgespräch, um sich über die Erfahrungen mit dem bisherigen Programm auszutauschen, Bilanz zu ziehen und die Perspektiven auszuloten.

Regionale Partnerschaften und Modellprojekte

Thomas Heppener, Referatsleiter Demokratieförderung beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und dort verantwortlich für das Programm, unterstrich die inhaltliche Breite des Programms, das eine Weiterentwicklung voriger Förderinstrumente im Bereich der Gewalt- und Extremismusprävention und sei.

Mittlerweile habe man 300 regionale Partnerschaften mit Projektträgern und über 300 Modellprojekte etablieren können. Damit berate und unterstütze man Opfer, organisiere und flankiere Ausstiegs- und Distanzierungsprozesse und betätige sich im Bereich der Radikalisierungsprävention, vom Kindergarten über die Schule bis hin zur Arbeitswelt. Dabei gebe man lediglich das Ziel dieses grundlegenden zivilgesellschaftlichen Engagements aus. Die präventiv pädogogische Arbeit des Programms habe drei Kernziele: Extremismus bekämpfen, sowie: Demokratie und Vielfalt fördern.

Es gehöre zur Räson des Programms, Anregungen zu geben, Impulse zu setzen. „Es geht uns um die Anregungsfunktion, wir möchten Projekte initialisieren, die dann eine gewisse Strahlkraft entwickeln.“ In den Ländern und Kommunen, die mitmachen, unterstütze das Programm je eine Koordinierungsstelle. Man lege besonderen Wert auf die Vernetzung von Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft. Das an verschiedenen Stellen einmal gesammelte Fachwissen und bewährte Praktiken sollten allen im Bereich der Demokratieförderung tätigen Akteuren zugänglich sein.

„Lokales Engagement in den Fokus nehmen“

Schließlich aber sollten die Kommunen selbst über die einzelnen Maßnahmen entscheiden. „Die wissen am besten was vor Ort nötig ist, und wie man das mit den Menschen vor Ort macht“, sagte Heppener. Bei der Weiterentwicklung wolle man nun das lokale Engagement noch stärker in den Fokus nehmen und habe dafür mit 30 Millionen Euro den größten Betrag des finanziellen Volumens des Programms, das künftig insgesamt 125 Millionen Euro umfassen soll, vorgesehen.

Auch für neue Themenfelder sei man offen – ohne dabei die Kernziele aus den Augen zu verlieren. Lieber unterstütze man künftig weniger Projekte mit klarerer Themensetzung und gebe dafür mehr Geld pro Projekt aus, so Heppner. „Es geht darum, Institutionen zu unterstützen, die sich für die Stärkung der Demokratie einsetzen, und jungen Menschen ein extra Angebot zu machen, sie zu begeistern für Demokratie und ihr demokratisches Engagement zu stärken.“ Zum 1. Januar 2020 wolle man einen nahtlosen Programmstart gewährleisten. Man habe bereits aufgerufen, sich zu bewerben.

Anregung, Innovation, Modellhaftigkeit

Dr. Christian Lüders, Abteilungsleiter Jugend und Jugendhilfe beim Deutschen Jugendinstitut, unterstrich, dass der Schwerpunkt des Programms „Demokratie leben!“ auf jungen Menschen liege. Zunehmend rücke dabei wie in der Gesellschaft insgesamt der Aspekt „Vielfalt gestalten“ in den Mittelpunkt. „In einer pluralistischen Gesellschaft müssen Programme auf eine solche Entwicklung reagieren.“

Lüders wies auch auf den Impuls-Charakter des Bundesprogramms hin: Im Kern gehe es um Anregung, Innovation und Modellhaftigkeit. Die Wirkung des Programms lasse sich nicht pro Landkreis messen.

Dr. Christiane Nischler-Leibl vom Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales illustrierte, was der Freistaat auf der Länderebene an Aktivitäten zur Demokratieförderung und Prävention von Extremismus und Gewalt entfalte. Einen hohen Stellenwert nehme für sie der Netzwerk-Gedanke ein, das Zusammenwirken der verschiedenen beteiligten Akteure und Fachressorts ein. Zudem müssten die Logiken von Prävention und Repression Hand in Hand gehen. Zu den bereits vielfältigen, an die lokalen Besonderheiten angepassten Landesstrukturen komme das Bundesprogramm.

Größte Vereinsdichte in Thüringen

Sybille Thomae, externe Koordination der lokalen Partnerschaft für Demokratie in Gera, äußerte sich zufrieden über die geplante Fortführung des Bundesprogramms und wünschte sich zudem, weiter über eine Entfristung nachzudenken.

Gerade in einer Stadt wie Jena, mit knapp 100.000 Einwohnern, jahrelang rückläufiger Bevölkerungszahl und hoher Verschuldung, in der sich gerade wieder etwas Optimismus breit mache, falle das Bundesprogramm auf fruchtbaren Boden. Obwohl man mit der erstaunlichen Zahl von knapp 700 Vereinen, in denen zahlreiche Ehrenamtliche tätig seien, bereits über die größte Vereinsdichte in Thüringen verfüge.

„Fünf Minuten Zeit für Demokratie“

Indem man die ländlichen Ortsteile Jenas teilweise auch mit kurzfristigen Aktionen wie Weihnachtsbacken oder einem Eisstockschieß-Turnier belebe, fülle man programmatische Begriffe wie Inklusion und Partizipation inhaltlich. „Die Menschen in diesen Ortsteilen sollen merken, dass sie Teil der Stadt sind und nicht abgehängt werden.“ Dazu habe die Stadt sich seit 2017 auch dazu verschrieben, selber stärker öffentlich aktiv zu werden. Mit dem Projekt „Fünf Minuten Zeit für Demokratie“ habe man Uhren in über 70 Schulen aufgehängt, um dem Engagement für Demokratie und einem friedlichen Miteinander einen Platz im Alltag zu geben.

Unterausschuss-Mitglied Martin Patzelt (CDU/CSU) interessierte, wie sich die Verwendung und Wirksamkeit der aufgewendeten finanziellen Mittel nachweisen lässt, und fragte, ob nicht viele Projekte „wie Fremdkörper“ oder „Ufos“ in den Zielgebieten landen. Diese Befürchtung entkräftete Christian Lüders vom Deutschen Jugendinstitut mit dem Hinweis darauf, dass die Projekte ja in lokaler Verantwortung entwickelt würden.

„Bürokratische Vereinfachung wäre hilfreich“

Dr. Anna Christmann (Bündnis90/Die Grünen) äußerte die Befürchtung, dass durch die neuen Ausschreibungsrichtlinien, die die Förderung auf sogenannte „bildungspolitische Träger“ beschränken, bisherige Träger ausgeschlossen werden. Katrin Werner (Die Linke) wollte von den Projektverantwortlichen vor Ort wissen, ob genug Geld vorhanden sei, um alle Vorhaben umzusetzen, und wie hoch die Arbeitsbelastung bei bezahlten und ehrenamtlichen Mitarbeitern sei.

Sibylle Thomae gab zu, dass sie und ihr Team zwischen inhaltlicher Arbeit, Öffentlichkeitsarbeit und Buchhaltung immer wieder an die Grenzen der Belastbarkeit stießen: „Aber es ist machbar.“ Mehr Geld sähe sie daher lieber direkt für die Projekte statt für zusätzliches Personal. Ihre Stelle müsse zahlreiche Projektträger bei der Antragstellung unterstützen, da diesen schlicht die personellen und fachlichen Ressourcen dazu fehlten. Manche Träger verzichteten sogar auf eine Antragstellung. „Eine bürokratische Vereinfachung wäre sicher hilfreich.“

„In Bayern 15.000 Mittler beschult“

Wie sich die Erfolge der Programmarbeit messen und sich bewährte Praktiken schnell verbreiten lassen und wie sich aus Fehlern lernen lässt, wollten Michael Kießling (CDU/CSU) und weitere Ausschussmitglieder wissen. Unter den Sachverständigen von Bund, Land und Nichtregierungsorganisationen herrschte Konsens, dass eine generelle Messbarkeit der Erfolge aufgrund der Breite und Heterogenität des Programms nicht möglich sei. Man könne allerdings mit Zahlen aufwarten, dass man beispielsweise in Bayern bereits „15.000 Mittler beschult“ habe. Alle Referenten begriffen es zudem als weiteren sinnvollen Schwerpunkt, die Vernetzung der einzelnen Ebenen – Bund, Länder und Kommunen sowie zwischen Verwaltung und nichtstaatlichen Organisationen – weiter auszubauen.

Ulrike Bahr (SPD) brachte ein Demokratieförderungsgesetz ins Spiel, um das Thema nachhaltig zu verankern. Zu den Herausforderungen auch für das künftige Programm gehören ihrer Meinung nach weiterhin der hohe bürokratische Aufwand, der viele Vereine und Einzelkämpfer administrativ überfordere, sowie die der Haushaltsführung geschuldete Logik der Befristung der Förderzeiträume.

Politische Bildung und Demokratieförderung

Grigorios Aggelidis mahnte eine noch intensivere Beschäftigung mit dem Thema Demokratie an, was noch größere pädagogische Anstrengungen erfordere. „Demokratie können“ komme von „Demokratie kennen“, so der FDP-Abgeordnete. „Wenn ich nicht verstehe, wie etwas funktioniert, ist es schwer es zu leben und zu unterstützen.“

Seitens der Sachverständigen und der Regierungsvertreter erfuhr dieses Ansinnen Unterstützung. Man müsse künftig die Zusammenarbeit der Bundeszentrale und der Landeszentralen für politische Bildung noch stärker verschränken, so Lüders, der klar machte, wie sehr politische Bildung und Demokratieförderung Hand in Hand gehen.

„Klare Vorgaben über die Mittelverwendung“

Nicole Höchst (AfD) wollte wissen, wie sich sicherstellen lässt, dass staatliche Fördergelder nicht zweckentfremdet und etwa gegen politisch unliebsame Kräfte verwendet werden.

Heppner konnte die Fragestellerin beruhigen: Jedem Zuwendungsbescheid liege ein Begleitschreiben bei, das klare Vorgaben über die Mittelverwendung enthalte und beispielsweise eine Unterstützung extremistischer Gruppen oder die Hetze gegen einzelne Personen oder Gruppen nicht zulasse. Bereits von der Idee her richte sich das Programm im Übrigen nicht gegen konkrete Parteien, sondern es gehe darum, Grundrechtsverletzungen zu vermeiden. (ll/09.05.2019)

Liste der geladenen Sachverständigen

  • Thomas Heppener, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Referatsleiter Demokratieförderung
  • Dr. Christian Lüders, Deutsches Jugendinstitut e.V., Abteilungsleiter Jugend und Jugendhilfe
  • Dr. Christiane Nischler-Leibl, Bayerisches Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales
  • Sybille Thomae, Externe Koordination der lokalen Partnerschaft für Demokratie in Gera