Auswärtiges

Traditionelle Vertrags­werke der Rüstungs­kontrolle unter Druck

Die traditionellen Vertragswerke der Rüstungskontrolle sind unter Druck geraten, in vielen Ländern hat die Logik der militärischen Stärke wieder die Oberhand gewonnen, zudem drohen zahlreiche regionale Konflikte zu eskalieren. Wie sich unter diesen Umständen neue Vereinbarungen der Rüstungskontrolle und Abrüstung möglich sind, das lotete der Unterausschuss „Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung“ in einem öffentlichen Fachgespräch zum Thema „Regionale Stabilität? Konventionelle und nukleare Rüstung und Abschreckung in Mittel- und Osteuropa heute. Möglichkeiten für Rüstungskontrolle und Abrüstung“ am Mittwoch, 15. Mai 2019, unter der Leitung des Vorsitzenden Matthias Höhn (Die Linke) aus.

Militärisch-technologische Trends der großen Akteure

Dr. Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik erklärte, dass es bei der Rüstungskontrolle künftig nicht mehr darum gehe, lediglich militärische Einheiten gegeneinander aufzurechnen. Vor allem wenn man einzelnen Regionen betrachte, müsse man auch die Qualitäten und das Zusammenwirken ganzer Waffensysteme im Auge behalten. „Die Art wie Streitkräfte heute funktionieren hat sich total verändert.“
Zu den bis zum Jahr 2030 absehbaren militärisch-technologischen Trends bei den großen Akteuren gehöre, dass die US-Streitkräfte mobiler würden, während bei den Militärsystemen der Europäer eine Rückentwicklung hin zu Landstreitkräften stattfinde und Russland weiterhin auf einen Modernisierungsschub seines Militärs warte. Gerade Moskau habe wegen der Modernisierung seiner Streitkräfte momentan kein Interesse an neuen Abrüstungsschritten. 

Deutschlands Glaubwürdigkeit in der Nato

Wenn die deutsche Außenpolitik die Rüstungskontrolle weltweit vorantreiben wolle, müsse man sich klar machen, dass in diesem Bereich heute viel weniger erreichbar sei als noch zur Zeit des ausgehenden Ost-West-Konflikts. Die Politik müsse in ihren Einschätzungen und Erwartungen realistischer werden, militärischer denken, vor allem technologisch in die Zukunft werfen und nicht die Interessen der Partner in der Nato übergehen. 

Deutschland habe im Verteidigungsbereich in der Allianz zurzeit mit einem Problem der Glaubwürdigkeit zu kämpfen und sei in der Nato „ein schwieriger Partner“: Das Zwei-Prozent-Ziel der Verteidigungsausgaben werde nicht erreicht, der Bau der Nordstream-Pipeline habe viele brüskiert. „Wir werden die Rüstungskontrolle nicht wieder auf die Schiene setzen können, weil unsere wesentlichen Partner nicht mitziehen“, sagte Mölling. 

„Chancen für neue Schritte in der Rüstungskontrolle“

Obwohl neue technische Möglichkeiten und die Verknüpfung konventioneller und nuklearer Waffensysteme neue Herausforderungen für die bestehenden Rüstungskontrollregime darstellten, gebe es Chancen für neue Schritte in der Rüstungskontrolle, sagte Dr. Oliver Meier von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Russland und die USA setzten allerdings momentan auf eine Politik der militärischen Stärke. Hinzu komme, dass beide Länder von populistischen Politikern regiert würden. 

Immerhin hätten deren Außenminister bei ihrem jüngsten Treffen in Sotschi eine gemeinsame Arbeitsgruppe zur nuklearen Rüstungskontrolle angekündigt. Weitere Verhandlungen über ein Folgeabkommen auslaufender Verträge (INF, START) von dem Willen Chinas abhängig zu machen sich zu beteiligen ohne selber Schritte zu unternehmen, halte er jedoch für ein Ablenkungsmanöver. Eine der vordringlichsten Aufgaben sei im Übrigen zunächst, einen weiteren Krieg am Persischen Golf zu vermeiden. 

„Anpassung des KSE-Vertrags notwendig“

Wie sehr die politische und militärische Lage in Europa seit der russischen Annexion der Krim und der Krise um die Ukraine von Misstrauen und Drohungen geprägt sei, darauf wies Wolfgang Richter, Oberst a.D., ebenfalls Stiftung Wissenschaft und Politik, hin. Viele Staaten priorisierten jetzt wieder die militärische Abschreckung. Ein neues gesamteuropäisches System militärischer Stabilität sei nicht absehbar. Dabei werde die Situation in Ost und West unterschiedlich wahrgenommen. Während sich die Nato um die Sicherheit ihrer baltischen Mitglieder sorge, sehe Russland als ehemalige Supermacht die weltweit strategische Balance gefährdet. 

Die im Rahmen der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) geschaffenen Dokumente seien angesichts der politischen und technologischen Entwicklung nicht mehr wirkungsvoll und hätten längst modernisiert werden müssen. Es sei ein großer Fehler gewesen, den KSE-Vertrag nicht an die geopolitischen Veränderungen und technologischen Entwicklungen anzupassen.

Schaffung von Zonen der Stabilität

Künftig müsse es dabei mehr darum gehen, die qualitativen Entwicklungsschritte bei Waffensystemen und deren Zusammenwirken zu erfassen, statt Stückzahlen einzelner Waffensysteme aufzulisten und gegenüberzustellen. Grundidee eines in den 1990er-Jahren nicht ratifizierten Anpassungsabkommens sei bereits nicht gewesen, Panzer gegen Panzer aufzurechnen, sondern moderne Kriegsführung und die Stärken und Schwächen der Gegner unter dem Gesichtspunkt der Verbundenheit der einzelnen Waffensysteme zu betrachten.

Statt sich an dem ganz großen Wurf eines umfassenden Abkommens abzuarbeiten, solle man versuchen, Zonen der Stabilität dies- und jenseits der gemeinsamen Bündnisgrenzen aufzubauen. Bei Einrichtung von „Räumen der Zurückhaltung“, flankiert mit strikten Transparenz- und Verifikationsregeln, lasse sich auf bislang noch unangefochtene Verpflichtungen, quasi Reste aus der Zeit der Rüstungskontrolle nach dem Kalten Krieg, zurückgreifen. Außerdem müsse der militärische Dialog zwischen Russland und der Nato im sogenannten Nato-Russland-Rat, der sich derzeit auf den strukturierten Dialog ihm Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) beschränke, dringend wiederaufgenommen werden.

Das Ende der traditionellen Kontrollregime

Dr. Wolfgang Zellner, OSCE Network der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, wies auf die Erosion der in den vergangen Jahrzehnten entworfenen Sicherheitsarchitektur in Europas hin. So sei Russland 2007 aus dem Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag) ausgetreten. Und mit der Entwicklung neuer Mittelstreckenraketen verletze Moskau seit Jahren den INF-Vertrag (Intermediate Range Nuclear Forces). Das Ende der traditionellen Kontrollregime führe zu Unübersichtlichkeit und Unsicherheit. 
Da ein neues  umfassendes Rüstungskontrollabkommen – à la „vom Atlantik zum Ural“ – derzeit nicht verhandelbar sei, müsse man versuchen in den sogenannten Kontaktzonen zwischen der Nato und Russland Regionen des Disengagements und der Transparenz zu schaffen. Die wahre Eskalationsgefahr liege in den Kontaktzonen, wie dem Baltikum, der Ukraine oder dem Schwarzmeerraum. Kern einer solchen regionalen Übereinkunft müsse sein, dort keine zusätzlichen substanziellen Kampftruppen zu stationieren und keine militärischen Übungen durchzuführen.

Auf dem Gebiet der Rüstungskontrolle voranzukommen sei in der gegenwärtigen Zeit ein äußerst schweres Unterfangen. Man müsse dafür unbedingt versuchen, den Gedanken der Rüstungskontrolle auf der Tagesordnung zu halten, Verschlechterungen zu vermeiden und vorbereitet sein, wenn sich wieder ein Zeitfenster für Verhandlungen öffnet. Um überhaupt voran zu kommen, müsse man über Regelungen verhandeln, die im Wesentlichen auf vorhandenen Instrumenten aufsetzt. Das sei ein notwendiger Zwischenschritt, um kooperative Sicherheit denken zu können

Einsatz bestehender Waffensysteme

Auch Dr. Ulrich Kühn vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik sprach sich dagegen aus, auf neue, landbasierte Waffensysteme mit noch völlig unklarer Zielgebung und Stationierung zu setzen, sondern plädierte dafür, stattdessen bestehende Waffensysteme zu nutzen und verwies auf die amerikanischen Langstreckenbomber, die die US-Luftwaffe mit konventionellen Abstandswaffen ausgerüstet und derzeit beim Nato-Mitglied Großbritannien stationiert habe.

Damit sende die Nato Russland das Signal, über Möglichkeiten zu verfügen, die es bereit und auch jederzeit in der Lage sei im Krisenfall einzusetzen. (ll/16.05.2019)

Liste der geladenen Sachverständigen

  • Dr. Ulrich Kühn, Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik
  • Dr. Oliver Meier, Stiftung Wissenschaft und Politik
  • Dr. Christian Mölling, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik
  • Wolfgang Richter, Oberst a. D., Stiftung Wissenschaft und Politik
  • Dr. Wolfgang Zellner, OSCE Network (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa)


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