Parlament

Parlamentarier spre­chen über Folgen der Anschläge in Sri Lanka

Neun Personen stehen nebeneinander gereiht für ein Gruppenfoto vor einer grünen Wand

Begrüßt wurde die Delegation durch Bundestagsvizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (Mitte). (DBT/Melde)

Beinahe hätte dieser Besuch gar nicht stattgefunden. Die Bombenanschläge zu Ostern auf Sri Lanka hatten die Reisepläne einer Delegation von Parlamentsabgeordneten aus dem Inselstaat zu politischen Gesprächen mit ihren deutschen Kolleginnen und Kollegen in Berlin fast über den Haufen geworfen, berichtet Tobias Pflüger (Die Linke), Vorsitzender der Deutsch-Südasiatischen Parlamentariergruppe.

„Wir hatten eigentlich fast damit gerechnet, dass unsere Gäste nicht kommen. Das Land steht ja noch immer unter dem Schock der Anschläge. Aber dann kam die Nachricht aus Colombo, dass man an dem Besuch wie geplant festhalten wolle.“ Abgeordnete des Parlaments Sri Lankas waren vom 2. bis 8. Juni 2019 auf Einladung der Deutsch-Südasiatischen Parlamentariergruppe im Deutschen Bundestag.

Gespräche über die Folgen des Terrors

„Die Anschläge waren ein sehr prägendes Element der Gespräche“, sagte Pflüger. Das Thema habe sich durch alle Programmpunkte gezogen. „Wir wollten wissen, wie Regierung und Parlament in Sri Lanka mit den jüngsten Anschlägen gegen mehrere Kirchen und Hotels umgehen, wie sie versuchen eine weitere Eskalation zu vermeiden, und wie weit die Ermittlungen in dem Fall fortgeschritten sind“, der an fast zehn Orten über 250 Menschenleben und doppelt so viele teils schwer Verletzte gefordert hat.

Wieder einmal werde in Sri Lanka versucht, einzelne Bevölkerungsgruppen gegeneinander auszuspielen, durch diejenigen, die die Bombenanschläge geplant hätten sowie durch die Attentäter, aber auch durch die Reaktionen seitens Politik und Medien. Es werde auch einseitig und pauschal „den Muslimen“ die Schuld gegeben, deren Gemeinden angegriffen, Menschen müssten vor der Gewalt fliehen. „Die Regierung in Colombo hält nicht eindeutig genug die Hand über die muslimischen Gemeinden“, kritisiert Pflüger.

Delegation zeigt Einigkeit und Entschlossenheit

Die Delegation aus Sri Lanka habe jedoch über Parteigrenzen hinweg Einigkeit und Entschlossenheit demonstriert, wenn das Gespräch auf die Anschläge gekommen sei. Unterwegs im Ausland und in Deutschland zudem in einem der wichtigsten Reisemärkte der Welt, habe man offenbar ein positives Bild von der Ermittlungsarbeit der Behörden und der Sicherheitslage im eigenen Land zeichnen und die Botschaft senden wollen: Sri Lanka ist zwar ein äußerst vielfältiges, ein multiethnisches Land, aber eine Spaltung, etwa zwischen Singhalesen und Muslimen, die 74 beziehungsweise knapp neun Prozent der Bevölkerung ausmachen, werde man nicht zulassen.

Die Delegation sei übrigens sehr korrekt, aus verschiedenen im Parlament in Colombo vertretenen politischen Kräften, zusammengesetzt gewesen: mit Mitgliedern der Regierungspartei, der größeren und kleineren Oppositionsparteien sowie einer Angehörigen der tamilischen Partei aus dem Norden und Osten des Landes; unter den Abgeordneten sei zudem ein Angehöriger der muslimischen Bevölkerungsgruppe gewesen.

Schweres Erbe des Bürgerkriegs

Dass man Gesprächspartner unterschiedlicher Parteien vor sich gehabt habe, Abgeordnete eines demokratisch gewählten Parlaments, die unterschiedliche Auffassungen vertreten, sei denn auch nicht ganz untergegangen. So habe die Opposition kritisiert, dass das Vertrauen der sri-lankischen Bevölkerung in die Politik als Ganzes nachgelassen habe, eine Entwicklung, an der vor allem das einseitige und nachlässige Krisenmanagement der Regierung und eine seit Jahren in der Inselrepublik schwelende Verfassungskrise wegen des ungeklärten Verhältnisses zwischen Präsident und Parlament schuld sei. Für die bevorstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen seien dies wenig günstige Rahmenbedingungen, stellte Pflüger fest.

Abgesehen von den jüngsten Ereignissen trage die Inselrepublik noch schwer an dem Erbe des Bürgerkriegs, in dem zwischen 1983 und 2009 tamilische Separatisten versucht hatten, einen eigenen Staat für die mit etwa 17 Prozent zweitstärkste Bevölkerungsgruppe zu gründen, und der mehrere tausend Opfer, darunter zahlreiche Zivilisten, forderte. Die Aufständischen wurden schließlich von Regierungstruppen brutal niedergeschlagen. Seit zehn Jahren schweigen die Waffen nun, die Pläne für einen eigenständigen Tamilen-Staat wurden begraben.

Aufarbeitung von Kriegsverbrechen

„Zu einer angemessenen und wirklichen Aufarbeitung der in dem Konflikt begangenen Kriegsverbrechen ist es allerdings noch nicht gekommen“, kritisiert Pflüger. „Wir haben unsere Gäste gefragt, was die Regierung in Colombo tut, um die Aufarbeitung voranzutreiben“, so der Vorsitzende der Parlamentariergruppe. Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen hatte in einem Bericht aus dem Jahr 2015 beiden Seiten schwere Menschenrechtsverstöße nachgewiesen und fordert die Einrichtung eines internationalen UN-Tribunals, um diese Verbrechen zu untersuchen.

Während die Delegationsangehörigen der Regierungspartei auf Fortschritte wie finanzielle Entschädigungszahlungen verwiesen hätten, sei der Vertreterin der tamilischen Volksgruppe nun eine formelle Anerkennung der in der Auseinandersetzung begangenen Kriegsverbrechen wichtig. Die sri-lankische Regierung lehne zwar ein internationales Tribunal ab, sei jedoch offenbar bereit, eine „Wahrheits- und Versöhungskommission“ einzurichten, die vor allem den Vorwürfen nachgeht, die gegen die sri-lankische Armee erhoben werden.

Ein weiterer Streitpunkt, der auf die Zeit des Bürgerkriegs zurückgeht, sei die Problematik zahlreicher durch das Militär enteigneter Grundstücke, die die Tamilen nun zurückfordern. Die Opposition habe die rasche Wiederansiedlung der tamilischen Bewohner gefordert, von denen noch immer tausende in Flüchtlingslagern festsitzen. „Hier droht ein gesellschaftlicher Konflikt mit Eskalationspotential“, warnt Pflüger.

Aufarbeitungs- und Erinnerungskultur vorgestellt

Wie die Deutschen mit Fragen der Aufarbeitung und Erinnerungskultur umgehen, darüber konnten sich die Gäste aus Südasien bei Besuchen und Diskussionen der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen sowie der Dokumentations- und Gedenkstätte „Topographie des Terrors“ informieren.

„Ich mache mir ernsthaft Sorge, dass als Folge der jüngsten Anschläge, neuer gegenseitiger Schuldzuweisungen und Übergriffe, die Lage wieder eskaliert und es zu neuen Auseinandersetzungen zwischen den Bevölkerungsgruppen kommt,“ - auch wenn der jetzige Konflikt direkt nichts mit dem früheren Bürgerkrieg zu tun habe. Der „flash back“ aus der Bevölkerung gegen die Muslime, der mehr von der buddhistischen Seite ausgehe als von den Christen, sei keine gute Entwicklung. Religionen würden wider mehr betont als dies ihrer eigentlichen Bedeutung entspreche.

Treffen mit Bundestagsvizepräsident

Als Parlamentarier aus dem Deutschen Bundestag und dem sri-lankischen Parlament habe man sich sehr offen ausgetauscht, und die aktuellen Einschätzungen der Partner kennengelernt. „Dass dabei auch bei der Delegation der Gäste unterschiedliche Positionen heraus scheinen, ist Hinweis auf den demokratischen Umgang der politischen Kräfte dort und gibt Hoffnung für die Bewältigung gesellschaftlich

Zum Arbeitsprogramm des einwöchigen Treffens gehörten sowohl Gespräche mit der Parlamentariergruppe, mit Mitgliedern des Auswärtigen Ausschusses und des Ausschusses für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung als auch ein Besuchs- und Informationsprogramm der Bundestagsverwaltung über die Arbeitsweise des Deutschen Bundestages, insbesondere über die Rolle der parlamentarischen Opposition und die Rechte und Pflichten der Abgeordneten. Begrüßt wurde die Delegation außerdem durch Bundestagsvizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich.

Exkursionen ins Auswärtige Amt und nach Potsdam

Das Besuchsprogramm umfasste außerdem Gespräche im Auswärtigen Amt sowie im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und in der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit.

Abgerundet wurde der Aufenthalt durch einen Abstecher in die Landeshauptstadt Potsdam, wo die Gäste dem Landtag Brandenburg einen Besuch abstatteten und das Helmholtz-Zentrum Potsdam - Deutsches Geo-Forschungs-Zentrum besichtigten, das einer breiteren Öffentlichkeit vor allem durch sein Tsunami-Frühwarnsystem für den asiatisch-pazifischen Raum bekannt geworden ist. (ll/13.06.2019)

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