Beziehungen zu Italien intensiv wie zu kaum einem anderen EU-Land
Eine Bestandsaufnahme der deutsch-italienischen Beziehungen, die Herausforderung des Brexits und der Zusammenhalt Europas sowie neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des organisierten Verbrechens – das waren die wichtigsten Themen der politischen Gespräche, zu denen sich eine Delegation von Abgeordneten der Deutsch-Italienischen Parlamentariergruppe vom 15. bis 18. April in Rom und Mailand aufhielt. Gesprächspartner waren Abgeordnete der deutschen Freundschaftsgruppe der italienischen Abgeordneten und des Senats. Die deutsche Delegation kam zudem mit Mitgliedern von Fachausschüssen, Regierungsangehörigen und Vertreten aus Wirtschaft und Gesellschaft zusammen.
„Die bilateralen Beziehungen zwischen Italien und Deutschland sind so intensiv wie zu kaum einem anderen Land in der EU“, sagte Axel Schäfer, Vorsitzender der Deutsch-Italienischen Parlamentariergruppe, nach der Rückkehr der Delegation in Berlin. Das gelte auch für die parlamentarische Ebene.
„Eine außenpolitische Priorität“
„Die Abgeordneten in beiden nationalen Parlamenten betrachten die Pflege der deutsch-italienischen Beziehungen als eine außenpolitische Priorität.“ Die entsprechende Parlamentariergruppe gehöre in beiden Ländern zu den bedeutendsten Gremien der internationalen Arbeit der Abgeordneten – und im Deutschen Bundestag außerdem zu den traditionsreichsten Gruppen, deren erster Vorsitzender als ein „Vater des Grundgesetzes“ der deutsche Staatsrechtler Carlo Schmid gewesen sei, erinnert Schäfer.
Beide Gruppen hätten nach den letzten Wahlen in Deutschland und Italien (2017 und 2018) zahlreiche neue Gesichter in ihren Reihen. Sich in der neuen Konstellation kennenzulernen und Kontakte zu knüpfen, sei somit ein wesentlicher Zweck des Arbeitsbesuchs gewesen.
Brexit lässt Gewicht Italiens in der EU wachsen
Auch wenn man sich nicht lange damit aufgehalten habe, über nicht anwesende Dritte zu reden, seien die Auswirkungen des Brexits natürlich ein Thema gewesen, berichtet Schäfer. Zu den wichtigsten Folgen eines Ausscheidens Großbritanniens aus der Europäischen Union zähle, dass dadurch das politische und wirtschaftliche Gewicht Italiens als momentan viertgrößter Volkswirtschaft der EU nach Deutschland, Großbritannien und Frankreich, wachse.
Entsprechend dieser gestiegenen Bedeutung steige auch die Verantwortung Roms, das europäische Einigungswerk zu erhalten und voranzubringen, sagte Schäfer und erinnerte daran, dass Italien zu den sechs Gründungsmitgliedern gehört, die in den 1950er-Jahren die Gemeinschaft zusammen mit Deutschland, Frankreich und den Benelux-Staaten aus der Taufe gehoben haben. „Die Römischen Verträge sind die Keimzelle der heutigen EU“, sagt Schäfer.
Trotz des enormen Zuspruchs, den auch in Italien populistische, antieuropäische Politiker erhielten, fordere übrigens kaum jemand dort ernsthaft einen Austritt des Landes aus der Gemeinschaft.
Keine separatistischen Tendenzen
Auch innerhalb Italiens seien Austrittspläne einzelner Regionen wie noch vor Jahren jetzt kein Thema mehr. Anders als etwa im spanischen Katalonien gebe es weder in der Lombardei noch sonst irgendwo in Italien eine ernst zu nehmende Bewegung, aus der Republik auszuscheiden.
Föderalismus-Debatten, die um ähnliche Streitpunkte wie in Deutschland kreisen, allen voran um den finanziellen Ausgleich zwischen reicheren und ärmeren Regionen, seien aber auch in Italien an der Tagesordnung. Jede Landesregierung melde ihre Ansprüche an, wolle ein möglichst großes Stück vom Kuchen und versuche, den anderen Mittel streitig zu machen.
In Rom und Mailand
In Rom ebenso wie in Berlin hat keine zentralstaatliche Regierung das politische Sagen, auch wenn die den deutschen Bundesländern ähnlichen 20 Regionen keine derart hohe Selbstständigkeit und keinen „Staatscharakter“ besitzen, erklärt Schäfer.
Um die föderale Zusammensetzung des Landes zu würdigen und einen aktuellen Eindruck des Föderalismus in Italien zu bekommen, habe die deutsche Delegation neben der Hauptstadt Rom auch Mailand besucht, erläutert Schäfer die Reiseplanung.
Neue Impulse für die Zusammenarbeit
Die lombardische Metropole ist eines der wirtschaftlichen Kraftzentren des Landes. Gemeinsam mit italienischen und deutschen Wirtschaftsvertretern besuchten die Bundestagsabgeordneten dort die 22. Internationale Ausstellung für modernes Gebrauchs-Design, Industrie-Design und moderne Architektur in der Triennale Mailand, die Börse sowie das Regionalparlament und den Regionalrat. Mit dem Präsidenten und Abgeordneten des Regionalrats sowie mit Wirtschaftsvertretern führten sie Gespräche zum Thema „Europa der Regionen“.
Ein solcher Delegationsbesuch trage dazu bei, die bilateralen Beziehungen zu vertiefen, indem er bestehende Formen und Formate der Zusammenarbeit würdige und neue Impulse setze, sagt der Vorsitzende. Entsprechend dem Grundgedanken der europäischen Integration seien die deutsch-italienischen Beziehungen von sehr enger, vertrauensvoller Zusammenarbeit, einem Austausch auf allen Ebenen und wechselseitiger Inspiration geprägt – sei es auf kulturellem, wissenschaftlichem, sprachlichem oder wirtschaftlichem Gebiet.
„Einzigartige Dichte der kulturellen Beziehungen“
Der Bochumer Abgeordnete hebt besonders den Kulturaustausch hervor. „Die Dichte der kulturellen Beziehungen zwischen den beiden Ländern ist weltweit einzigartig. Die Bundesrepublik unterhält in keinem anderen Land so viele Kultureinrichtungen wie in Italien“, so Schäfer. Hinzu kämen mehr als 70 Städtepartnerschaften, von den vielen Partnerschaften zwischen Schulen und Hochschulen ganz zu schweigen. Kein Wunder: Kaum irgendwo auf der Welt finde sich auf so engem Raum eine solche Fülle bedeutender Kulturstätten.
In Nordrhein-Westfalen finde seit mittlerweile 20 Jahren alljährlich das Kunst- und Kulturfestival „Ruhr-Triennale“ in Anlehnung an die italienischen Vorbilder Biennale und Triennale statt. Wechselseitiges Verständnis sei eine wesentliche Voraussetzung, um auf europäischer Ebene Aufgaben wie den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt Europas oder die Migrationsfrage gemeinsam anzugehen.
Mario Draghi und Eike Schmidt
Wie sehr die enge Verflechtung dazu beitrage, Klischees zu überwinden, macht Schäfer an zwei Persönlichkeiten aus ganz unterschiedlichen Bereichen deutlich. So sei der langjährige Chef der Europäischen Zentralbank, also der Hüter der Geldwertstabilität, die dem Klischee nach eher eine deutsche Tugend ist, der Italiener Mario Draghi. Die Leitung der weltberühmten Kunstsammlung „Uffizien“ in Florenz, einem kulturellen Heiligtum Italiens, habe man dagegen Eike Schmidt, einem ausgewiesenen deutschen Museumsfachmann, anvertraut.
Zu den engen Beziehungen zwischen beiden Ländern gehöre aber auch das Gedenken an die gemeinsam erfahrene Geschichte, mit ihren hellen und dunklen Kapiteln. So sei es ihm eine Herzensangelegenheit gewesen, im Rahmen der Delegationsreise am Mahnmal in den ardeatinischen Höhlen Roms, das an das Nazi-Massaker vom 24. März 1944 erinnert, einen Kranz niederzulegen.
Olympische Winterspiele 2026
Zu dem breiten Spektrum an Gesprächsthemen der Delegation gehörte auch ein Blick auf die Bewerbung Italiens um die Austragung der olympischen Winterspiele 2026 in Mailand und Cortina d’Ampezzo. Am 24. Juni 2019 entschied sich das Internationale Olympische Komitee (IOK) für Italien als Gastgeber der olympischen Winterspiele 2026 in Mailand und Cortina d’Ampezzo)
Er habe den Eindruck, dass die sportbegeisterten Italiener in ihrer übergroßen Mehrheit hinter der Olympia-Bewerbung stünden, sagt Schäfer. Zu einem Erfolg bei der Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees könne auch das „ökologisch und finanziell ausgereifte Konzept“ der Italiener beitragen, berichtet das Mitglied des Sportausschusses von dem Gespräch mit Vertretern des Nationalen Olympischen Komitees.
Um das Megaprojekt zu bekommen und schließlich zu stemmen, müssten die Regierung in Rom und in den beteiligten Regionen, aber auch die unterschiedlichen parlamentarischen Kräfte nach außen hin geschlossen auftreten, gibt Schäfer zu bedenken. So werbe die rechte Lega aus dem Norden klar für die Spiele, bei der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung herrsche dagegen traditionell Skepsis gegenüber Großprojekten.
Gemeinsam gegen die Mafia
Wie sich die polizeiliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Italien im Bereich der organisierten Kriminalität ausbauen lässt, darüber sprachen die deutschen Abgeordneten mit Mitgliedern der Antimafia-Kommission der Abgeordnetenkammer und des Senats. Das Gremium hat seit Jahrzehnten einen festen Platz innerhalb der italienischen Strafverfolgung und verfügt über die Handlungsbefugnisse eines Untersuchungsausschusses, erläutert Schäfer.
„Die Antimafia-Kommission hat schon viele, auch spektakuläre Erfolge erzielt und europaweit, auch für uns wichtige Arbeit geleistet“, etwa bei der Aufklärung der Mafia-Morde von Duisburg, wo im Jahr 2007 sechs Menschen vor einem italienischen Restaurant als Folge einer Fehde zweier verfeindeter Mafia-Familien erschossen worden waren. Von den Erfahrungen des anderen Landes zu lernen und sich dabei auch über unterschiedliche politische Auffassungen auszutauschen, darum ging es nicht zuletzt angesichts der weiterhin europaweit aktiven Mafia-Gruppen und immer neuer krimineller Methoden.
So entfalteten die Mafia-Clans heute ihre zerstörerische Kraft viel stärker im Bereich illegaler Geldgeschäfte, statt Rachefeldzüge gegen Staatsanwälte zu führen. Dem Staat stünden aber zahlreiche Mittel im Rahmen bestehender Gesetze zur Verfügung, um sich zur Wehr zu setzen, Ermittlungen durchzuführen und Zwangsmaßnahmen, die weh tun, durchzusetzen, wie beispielsweise auf privates Eigentum zuzugreifen, und Vermögenswerte wie Autos zu beschlagnahmen.
„Nicht auf Erfolgen ausruhen“
Dennoch dürfe man sich nicht auf vergangenen Erfolgen ausruhen und müsse die Polizeiausstattung ständig verbessern, fordert Schäfer. Dass die Italiener bei der schwierigen Abwägung zwischen der Durchsetzung von Sicherheit und der Gewährleistung der Freiheitsrechte oft zu einer anderen Einschätzung gelangten als die Deutschen, habe man ebenfalls diskutiert. Für eine erfolgreiche Kooperation müssten sich die Partner nicht völlig einander angleichen, aber man müsse eben um die kulturellen Unterscheide wissen.
Die Eindrücke und Erkenntnisse des Austauschs mit den Italienern bringen die Mitglieder der Parlamentariergruppe in ihre Facharbeit vor allem in den Ausschüssen ein. „Das auf der Delegationsreise gewonnene Hintergrundwissen versetzt uns in die Lage, den deutsch-italienischen Beziehungen, zusätzlich zu dem, was auf Regierungsebene und in der Gesellschaft passiert, eigenständige parlamentarische Impulse zu geben,“ sagt Schäfer.
Deutschland und Italien entscheidend für Europa
Bei ihren Treffen mit den italienischen Parlamentariern ging es darüber hinaus um außen- und europapolitische Fragen. „Wir haben uns vor allem darüber Gedanken gemacht, wie sich die Kraft dieser beiden großen Mitgliedstaaten für Erhalt und Vertiefung der Europäischen Union mobilisieren lässt“, berichtet Schäfer.
Bereits die Aufmerksamkeit der Europawahl hatten die beiden Vorsitzenden der Parlamentariergruppen dazu genutzt, in einem gemeinsamen Aufruf in der Presse unter den Bürgern beider Länder für eine hohe Wahlbeteiligung und die Vorteile der EU zu werben. Eine hohe Beteiligung werde Europa stärken und dabei auch die Bedeutung der beiden Gründungsmitglieder der Gemeinschaft für die EU unterstreichen, argumentierten Mariastella Gelmini und Axel Schäfer.
„Mehr Austausch, mehr Begegnungen, mehr Projekte“
„Deutschland und Italien sind weit über die bilateralen Beziehungen hinaus seit jeher entscheidend für unseren Kontinent“, ist Schäfer überzeugt. Auf dem besonders dichten Fundament der deutsch-italienischen Beziehungen – geteilter Werte, der jahrzehntelangen Erfahrung des Vorteils gemeinsamer Entwicklung sowie dem daraus resultierenden gemeinsamen „wichtigsten nationalen Interesse an der europäischen Integration“ – aufbauend, könnten gerade diese beiden Länder die Integration weiter wesentlich voranbringen.
„Dazu wollen wir als Parlamentarier in beiden Parlamenten beitragen und mehr Austausch ermöglichen, mehr Begegnungen vereinbaren, mehr Projekte anstoßen“, sagt Schäfer. Als Parlamentariergruppe im Deutschen Bundestag begreife man es über den Delegationsbesuch hinaus, auch zu Hause, als Aufgabe, für eine Intensivierung der deutsch-italienischen Beziehungen zu werben. An alle in Politik und Wirtschaft Verantwortlichen trage man die Bitte heran, entsprechend dem gestiegenen Gewicht des Landes, Italien größere Bedeutung bei ihrer Arbeit beizumessen. (ll/08.07.2019)