EU-Mercosur: Auf dem Weg zur größten Freihandelszone der Welt
Wie sich die Zusammenarbeit Deutschlands mit Chile und Uruguay im Umwelt- und Klimaschutz sowie in Wirtschaft und Wissenschaft ausbauen lässt, darum ging es bei dem Besuch einer Delegation der Parlamentariergruppe Cono Sur-Staaten des Deutschen Bundestages in den beiden Ländern in diesem Frühjahr.
Dazu führten die Bundestagsabgeordneten Gespräche mit den Parlamentariern der dortigen Deutschland-Freundschaftsgruppen sowie mit Regierungsvertretern, aber auch Repräsentanten der regionalen und kommunalen Ebene, sowie mit Angehörigen von Nichtregierungsorganisationen. Den regionalen Schwerpunkt bildete Chile.
EU-Mercosur-Abkommen stärkt Wirtschaftsbeziehungen
Einen politischen Durchbruch, von dem auch die Volkswirtschaften Chiles und Uruguays profitieren werden, hat es Ende Juni gegeben, als die Europäische Union und die Mercosur-Organisation sich nach jahrelangen Verhandlungen im Grundsatz auf ein neues Handelsabkommen geeinigt haben, das eine beiderseitige Marktöffnung vorsieht. Zölle im Wert von etwa vier Milliarden Euro im Jahr werden in den Bereichen Industrieerzeugnisse und landwirtschaftliche Produkte wegfallen. Die Mercosur-Organisation (spanische Abkürzung für Mercado Común del Sur, zu deutsch „Gemeinsamer Markt Südamerikas“), deren Sekretariat sich in Montevideo, Uruguay, befindet, umfasst Brasilien und Argentinien, aber auch kleinere Mitglieder wie Paraguay oder Uruguay, während Chile als assoziiertes Mitglied mitmacht.
Nach dem politischen Erfolg, mit dem die Staaten Europas und Südamerikas sich nun darauf geeinigt haben, einen der größten Märkte und die größte Freihandelszone der Welt zu schaffen, gehe es jetzt darum, zügig die Details auszuhandeln, sodass das fertige Abkommen rasch ratifiziert werden und in Kraft treten könne, mahnt Stefan Müller (CDU/CSU), Vorsitzender der Parlamentariergruppe Cono-Sur-Staaten.
Das neue Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den Ländern der Mercosur-Gemeinschaft sei auch für die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und einzelnen Ländern Südamerikas wie Chile oder Uruguay von hohem Interesse. Während EU-Länder wie Deutschland dann leichter Fertigprodukte nach Südamerika ausführen könnten, sei für Länder wie Chile, aber auch für die Verbraucher in der EU von Vorteil, dass damit die Lieferung hochwertiger landwirtschaftlicher Erzeugnisse in den großen EU-Markt erleichtert werde, so Müller.
Die südamerikanischen Länder gehörten zu den größten Agrarproduzenten der Welt. So stelle Uruguay mit einer Bevölkerungszahl von nur drei Millionen Einwohnern Nahrungsmittel für den Bedarf von etwa 30 Millionen Menschen her und sei ein wichtiger Partner bei der Versorgung Deutschlands und der EU insgesamt mit Lebensmitteln, von Avocado bis zu Rindfleisch.
„Abkommen jetzt zum Abschluss bringen“
Bis zuletzt bremsten allerdings Unstimmigkeiten im Bereich eingeführter geografischer Bezeichnungen, deren Schutz das neue Abkommen garantieren soll, einen Abschluss der Verhandlungen. Hersteller in der EU bestünden zu Recht darauf, dass regionale Produkte wie Parma-Schinken nur aus dieser italienischen Stadt oder Münchener Bier nur aus der bayerischen Landeshauptstadt kommen dürfen.
„Die Parlamentarier in Chile und Uruguay haben uns dagegen gedrängt: Bitte lasst und bald zu einem Abschluss kommen. Wir als Parlamentarier haben uns schon lange für das neue Abkommen eingesetzt, um der Sache auch in schwierigem Fahrwasser neuen Schwung zu verleihen, und auch auf die Bundesregierung eingewirkt, sich auf EU-Ebene dafür stark zu machen, die Verhandlungen von der Arbeitsebene auf die politische Ebene zu heben“, wirbt Müller dafür, nun rasch zu einem Abschluss zu kommen.
Solarenergie als Beitrag zum Klimaschutz
Highlight des Programms in Chile war laut Müller ein Besuch auf der Baustelle des künftig weltgrößten Solarkraftwerks, Cerro Dominador, in der Atacama-Wüste. Lateinamerikas erstes Solarturmkraftwerk mit einer Leistung von 110 Megawatt wird nach seiner Inbetriebnahme mehr als 380.000 Haushalte mit Strom versorgen können, und das dank einer neuen Speichertechnologie rund um die Uhr. Einen hohen dreistelligen Millionenbetrag (etwa 800 Millionen Euro beziehungsweise fast eine Milliarde US-Dollar) lässt sich die Regierung in Santiago das gigantische Projekt kosten.
„Das Vorhaben führt eindrucksvoll vor Augen, dass auch ein mittelgroßes, aufstrebendes Land wie Chile versucht, die erneuerbaren Energieträger für sich besser zu erschließen“, so Müller. Im Süden des Landes geschehe dies traditionell bereits vor allem mit Wasserkraft. Jetzt komme im Norden die Solarkraft als Energiequelle hinzu. Obwohl Chile nicht zu den großen CO2-Sündern der Welt gehöre, sei dies ein wichtiger, konkreter Beitrag zum globalen Klimaschutz. Bei der Finanzierung hätten internationale Kreditgeber wie die deutsche KfW-Bank geholfen. Die zügige Umsetzung eines solchen Projekts sei ermutigend und biete auch der deutschen Seite wertvolle Erkenntnisse über den Bau und Betrieb einer solchen Anlage.
Kupfer: Herausforderung für den Umweltschutz …
Über die Auswirkungen des Kupferbergbaus auf die Umwelt und den Ausbau der bislang größten Kupfermine der Welt, der gerade unter Tage weiterbetrieben wird, informierten sich die deutschen Abgeordneten in der ebenfalls in der Region Antofagasta gelegenen Kupfermine Chuquicamata. Seit 1912 wird in dem mittlerweile etwa 13 Quadratkilometer großen Areal Erz abgebaut.
Nachdem die im Tagebau zugänglichen Ressourcen weitgehend abgebaut waren, begann die Minengesellschaft damit, neue, in bis zu zwei Kilometern Tiefe entdeckte Lagerstätten zu erschließen. Für die deutschen Abgeordneten war nicht nur von Interesse, wie Chile mit den Altlasten und Umweltschäden aus über einhundert Jahren Tagebau umgeht und welche Umweltstandards beim Weiterbau der Mine zugrunde gelegt werden.
.. und gefragter Industrierohstoff
Auch außenwirtschaftlich seien der Erzbergbau und die Kupferproduktion ein relevantes Thema. In Hightechländern wie Deutschland bestehe ein starkes Interesse der Industrie an dem Rohstoff, der hierzulande in Form zahlreicher Produkt-Bauteile eine Veredelung erfährt, erläutert Müller. „Wir arbeiten daran, in diesem Bereich eine strategische Partnerschaft mit Chile und der dortigen staatlichen Bergbaugesellschaft Codelco“ einzugehen.„
Dabei sei Deutschland keineswegs allein. “Auch andere Industrieländer sind hier bereits unterwegs und erkunden Möglichkeiten der Zusammenarbeit, um sich Anteile an den Rohstoffreserven und Rohstoffprodukten zu sichern.„ Der Bergbau ist einer der wichtigsten Wirtschaftssektoren Chiles, er steht für mehr als 50 Prozent der Exporte. Umso besser, dass mit der Parlamentariergruppe nun seit Langem wieder eine Delegation aus dem Bundestag vor Ort gewesen sei, die sich dieses industriepolitischen Themas annehme, betont Müller. Ein solcher Besuch werde auch von der chilenischen Regierung wahrgenommen. “In der Frage der Rohstoffversorgung konnten wir sicher einen wichtigen Impuls geben und den Interessen der deutschen Wirtschaft Nachdruck verleihen„, ist Müller überzeugt.
“Wissenschaftliche Kooperation intensivieren„
Auch im Bereich der Wissenschaft bestehe eine intensive Zusammenarbeit, die allerdings weiter ausgebaut werden sollte, sagt Müller. Um sich über bestehende Kooperationen zu informieren, Ideen für weitere Vorhaben zu sammeln und Impulse für neue Partnerschaften zu geben, traf sich die Delegation in Santiago mit Vertretern aus Wissenschaft und Wirtschaft aus Chile und Deutschland, so etwa von der Fraunhofer-Gesellschaft für angewandte Forschung und dem Max-Planck-Institut.
Weiterer Programmpunkt war ein Besuch der Europäischen Südsternwarte (englisch European Southern Observatory, ESO) in Paranal. Mitten in der chilenischen Atacama-Wüste, auf 2.600 Metern Höhe, ermöglicht die führende europäische Organisation für astronomische Forschung Wissenschaftlern ihrer Mitgliedsländer astronomische Spitzenforschung unter optimalen geografischen und technischen Bedingungen. In Paranal verfügt die ESO über einige der leistungsstärksten Teleskope zur Erkundung des Weltraums.
Ohne die ESO, deren Hauptsitz sich in Garching bei München befindet und die von Deutschland zu fast einem Viertel mitfinanziert wird, wären bahnbrechende astronomische Entdeckungen nicht möglich gewesen. “Die Südsternwarte ist ein herausragender Ort der Grundlagenforschung, der gleichzeitig Möglichkeiten für die Zusammenarbeit mit der Industrie und für den Technologietransfer bietet„, erläutert Müller.
“Übergangsregelung bei DAAD-Stipendien schaffen„
Zu den bilateralen politischen Baustellen zwischen Deutschland und Chile zähle seit Kurzem, dass der Pazifikstaat aufgrund seiner positiven wirtschaftlichen Entwicklung nach offizieller Definition nicht mehr als Schwellenland zu bezeichnen und somit nicht mehr Ziel von Entwicklungshilfe sei. 2010 wurde es als erstes Land Südamerikas in die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) aufgenommen. Daher können seit einiger Zeit Stipendien des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) nicht mehr wie bisher vergeben werden.
“An einer Stelle ist das Netz zwischen unseren beiden Ländern nun dünner geworden, da müssen wir nachsteuern und mindestens einen Übergangsprozess definieren„, mahnt Müller. “Wir Parlamentarier werden auf unsere Bildungspolitiker in Berlin einwirken, sich für einen Übergangszeitraum einzusetzen, um diese ungewollten Folgen der Neueinstufung Chiles abzumildern.
„Dem Fachkräftemangel begegnen“
„Wir werden außerdem auf den Wunsch der Chilenen eingehen und mit dem Land im Bereich der beruflichen Bildung kooperieren“, unterstreicht der CSU-Abgeordnete aus dem Wahlkreis Erlangen. Der Mangel an Fachkräften drohe den wirtschaftlichen Aufschwung zu bremsen. Daher habe die Regierung in Santiago ihr Interesse an einem berufsbildenden System, wie es in Deutschland funktioniert, bekundet. Deutsche und chilenische Unternehmen hätten bereits ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit erklärt. Ohne die deutschen Pläne eins zu eins zu kopieren, werde man doch das in Deutschland Erreichte als Vorbild nehmen.
Sehr erleichtert werde die Zusammenarbeit mit dem Land an der Pazifikküste durch die weiterhin starke Präsenz von Chilenen mit deutschen Wurzeln wie auch der deutsche Sprache. Einige deutsche Familien spielten eine bedeutende Rolle für die chilenische Volkswirtschaft, sagt Müller, und weist auf die Bedeutung der deutschen Auswanderer für den Aufbau des Landes seit 200 Jahren hin, von denen zahlreiche Familien weiter ihre Kultur pflegen und zum Teil noch deutsch sprechen. Vermutlich könne auch kein anderes Land eine solche Dichte an deutschen Schulen aufweisen, nämlich 27.
Dichtes und buntes Flechtwerk der Kontakte
Insgesamt seien die Beziehung zwischen Deutschland und dem südamerikanischen Land sehr gut und intensiv, egal in welchen Bereich man schaue, von der Politik über die Wirtschaft und Wissenschaft bis hin zur Kultur blicke man auf „ein dichtes und buntes Flechtwerk der Kontakte“, erklärt Müller.
Im chilenischen Parlament in Valparaíso haben die deutschen Abgeordneten an einer Plenarsitzung teilgenommen und Mitglieder der dortigen einladenden Chilenisch-Deutschen Freundschaftsgruppe getroffen. Auch wurden sie vom Parlamentspräsidenten empfangen. Gespräche führten sie auch mit Regierungsvertretern und Repräsentanten der regionalen und kommunalen Ebene, so dem dortigen Provinzgouverneur und dem Bürgermeister. Der Austausch mit Unternehmen, der Zivilgesellschaft und Nichtregierungsorganisationen rundete das Programm ab.
Außenpolitische Impulse aus dem Parlament
Die Parlamentariergruppe Cono Sur-Staaten ist für die Beziehungen des Deutschen Bundestages zu vier südamerikanischen Ländern (Argentinien, Chile, Paraguay und Uruguay) zuständig. Ihre zweite Reise in dieser Wahlperiode wird nach Argentinien und Paraguay führen, kündigt Stefan Müller an. Mit ihrer internationalen Arbeit wollen die Bundestagsabgeordneten die bilateralen Beziehungen zwischen den Regierungen sowie auf gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Ebene durch eine zusätzliche Plattform ergänzen. „Die Pflege von bilateralen Beziehungen ist nicht nur Sache von Regierungsvertretern, sondern auch Aufgabe der Volksvertreter“, reklamiert Müller für das Parlament einen Anteil an der Außenpolitik.
„Es geht darum, auch auf parlamentarischer Ebene, auf einer breiten politischen Basis, in einem weniger formalen Rahmen bilateral Kontakte zu unseren dortigen Kolleginnen und Kollegen und darüber hinaus zu knüpfen und Impulse für die Beziehungen insgesamt zu geben. Jeder von uns in der Parlamentariergruppe, die Mitglieder aller Fraktionen umfasst, bringt seine Themen und seine Meinung ein, auch für das Arbeitsprogramm der Delegationsreise.“
Unterwegs biete sich den Angeordneten die Chance, die eigenen regionalen Kenntnisse um die vor Ort gesammelten Eindrücke und Erfahrungen zu erweitern. So bekomme man ein vertieftes Verständnis für die in den Beziehungen behandelten Sachverhalte sowie für die Partner und deren Anliegen. Diese fachliche Expertise brächten die Abgeordneten dann in ihre parlamentarische Arbeit zu Hause sowie gegenüber der Bundesregierung ein, erläutert Müller. (ll/29.07.2019)