Parlament

Wie Wirtschaft und Wissen­schaft in Süd­korea funktio­nieren

von links: Prof. Young-Bin Park, Mitarbeiter des Lehrstuhls, Dr. Wieland Schinnenburg MdB, Heike Behrens MdB, Thomas Lutze MdB, Katharina Landgraf MdB, Prof. Jung, Moo-young Präsident der Universität, Stefan Gelbhaar MdB, Tobias Matthias Peterka MdB, Alexander Renner Berater BMBF.

Professor Young-Bin Park mit einem Mitarbeiter, Abgeordnete Dr. Wieland Schinnenburg (FDP), Heike Baehrens (SPD), Thomas Lutze (Die Linke), Delegationsleiterin Katharina Landgraf (CDU/CSU), Universitätspräsident Professor Mooyoung Jung, Abgeordnete Stefan Gelbhaar (Bündnis 90/Die Grünen), Tobias Matthias Peterka (AfD), Dr. Alexander Renner (Bundesministerium für Bildung und Forschung) am Ulsan National Institute of Science and Technology (Unist) in der südkoreanischen Stadt Ulsan. (DBT/Büro Katharina Landgraf)

Neue Schritte bei der Annäherung zwischen Nord- und Südkorea, die wirtschaftliche Zusammenarbeit, Umweltschutz sowie die Kooperation in den Bereichen Bildung und Forschung standen im Mittelpunkt der Gespräche, die eine Delegation von Bundestagsabgeordneten der Deutsch-Koreanischen Parlamentariergruppe Ende Mai bis Anfang Juni in Südkorea geführt hat.

Ziel des Besuchs war es, die bilaterale Zusammenarbeit zwischen Deutschland und dem asiatischen Land auszubauen und die parlamentarischen Kontakte zu vertiefen. Dazu kamen die Abgeordneten aus Deutschland mit Abgeordneten des Gukhoe, der südkoreanischen Nationalversammlung, aber auch mit Vertretern der Regierung, der Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft zusammen.

Andere parlamentarische Streitkultur

Aus einem politischen Streit wird schnell einmal ein Handgemenge, Wortgefechte führen zu einer Prügelei mit Verletzten – mit solchen Szenen hat das südkoreanische Parlament in der Vergangenheit gelegentlich Schlagzeilen gemacht.

Im Wahlkampf oder während einer Debatte die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner um die besten Argumente und Lösungen zu suchen und dabei bestimmten Regeln zu folgen oder dann sogar in einer Koalition zusammenzuarbeiten – mit einer demokratischen Streitkultur, dem Wechsel aus verbalem Angriff und Kompromiss, wie sie in Deutschland selbstverständlich zum politischen Alltag gehört, tun sich die Koreaner noch schwer.

„Nachholbedarf bei demokratischen Verhaltensmustern“

In diesem Jahr hat das zerstrittene Parlament in Seoul mittlerweile seit Januar nicht mehr getagt. Es bestehe einfach noch Nachholbedarf, was demokratische Verhaltensmuster betreffe, sagt Katharina Landgraf (CDU/CSU), Vorsitzende der Deutsch-Koreanischen Parlamentariergruppe.

Den Südkoreanern sei es nach dem Krieg ähnlich ergangen wie den Westdeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg und den Ostdeutschen nach der Wende von 1989: Beim Aufbau neuer staatlicher Strukturen hätten sie von außen Hilfe erhalten. Südkorea sei dabei maßgeblich von den USA geprägt worden. Die Koreaner befänden sich noch immer mitten in einem Prozess, sich an die neuen Formen zu gewöhnen und sie als die eigenen anzunehmen, so die Abgeordnete aus dem Wahlkreis Leipzig-Land.

Großes Interesse für den deutschen Weg

Deutschland brächten die Koreaner einige Bewunderung entgegen, für Staat und Wirtschaft, die sie im Westen nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut hätten, sowie für die Wiedervereinigung 1990.

Bei den Gesprächen in Seoul mit den Abgeordneten der Freundschaftsgruppe und dem Generalsekretär der Nationalversammlung, Yoo In-tae, habe man sich über die Rolle des Parlaments in Korea sowie die Erfahrungen beim Aufbau demokratischer Strukturen und bei der staatlichen Wiedervereinigung ausgetauscht. Die südkoreanischen Abgeordneten hätten sich bei ihren deutschen Kolleginnen und Kollegen über die Form des politischen Miteinanders in Deutschland informiert.

„Sie wollten von uns wissen und verstehen, wie man politische Kompromisse schmiedet und Koalitionsverträge aushandelt, und wie gegensätzliche Positionen des politischen Wettbewerbs im Wahlkampf schließlich in ein gemeinsames Regierungsprogramm einfließen können“, berichtet Landgraf.

Wiedervereinigung als gemeinsames Thema

Die Perspektive einer Wiedervereinigung mit dem Norden des Landes sei nach wie vor ein wichtiges politisches Thema in Südkorea. Dabei würden die Koreaner immer wieder einen Blick auf Deutschland werfen, das seine Zweistaatlichkeit 1990 überwunden habe. Die praktischen Schritte der Zusammenführung der beiden Landesteile hätten die koreanischen Verantwortlichen längst durchgespielt, Wirtschaft und Verwaltung seien vorbereitet.

Der koreanische Minister für Wiedervereinigung habe gegenüber der deutschen Delegation bekräftigt, dass die Vereinigung mit dem Norden das Ziel der Regierung in Seoul bleibe. Aber auf der politischen Ebene seien die Dinge nun mal ins Stocken geraten.

„Abgekühltes Verhältnis zwischen Pjöngjang und Seoul“

Die Schritte der Annäherung zwischen beiden Staaten, die in den vergangenen Jahrzehnten gegangen wurden, von einem Programm der Familienzusammenführung über die Reaktivierung einer durchgehenden Eisenbahnverbindung bis hin zur Einrichtung einer Sonderwirtschaftszone und zahlreichen Projekten im Grenzgebiet und in der Nordhälfte der Halbinsel – diese Entwicklungen wurden in jüngster Zeit zu einem großen Teil wieder zurückgeschraubt. Das Verhältnis zwischen Pjöngjang und Seoul habe sich im Lauf der letzten Jahre immer weiter abgekühlt.

Die südkoreanische Seite habe nun den deutschen Parlamentariern gegenüber den Wunsch zum Ausdruck gebracht, die Bundesregierung möge doch ihre Diplomatie mobilisieren und mit den Nordkoreanern reden, um so neue Verhandlungsmöglichkeiten über die nukleare Abrüstung des Nordens und eine Vereinigung der beiden Staaten zu eröffnen.

„Schlüssel für Konfliktlösung liegt in Washington“

Den Schlüssel für eine Lösung des Konflikts, der weit mehr sei als eine innenkoreanische Streitfrage, sondern eine Herausforderung für die internationale Politik insgesamt, habe allerdings nach wie vor die Diplomatie der USA in der Hand, gibt Landgraf zu bedenken.

Es komme hinzu, dass sich US-Präsident Donald Trump in die innerkoreanische Politik und die internationalen Bemühungen um eine Beendigung des nordkoreanischen Nuklearprogramms eingeschaltet habe. Mit seinen direkten Gesprächsangeboten an den nordkoreanischen Machthaber betritt der US-Präsident Neuland. Mittlerweile hat Trump Kim Jong-un dreimal getroffen und symbolisch nordkoreanischen Boden betreten.

„Wichtiger Knoten im Netz der Weltwirtschaft“

Jenseits der großen Streitfragen der internationalen Politik: Südkorea ist in den vergangenen Jahrzehnten von einem Land, das nach seiner Gründung 1948 zunächst auch von Deutschland Entwicklungshilfe erhielt, zu einer bedeutenden Volkswirtschaft in Asien aufgestiegen, mit einer starken Industrie in Schlüsselbranchen, weltweit bekannten Marken wie Kia oder Samsung, und ein wichtiger Knoten im Netz der weltweiten wirtschaftlichen Arbeitsteilung geworden.

Mit der Europäischen Union besteht ein Freihandelsabkommen, Deutschland und Südkorea unterhalten intensive bilaterale Wirtschaftsbeziehungen mit zahlreichen unternehmerischen Direktinvestitionen. Sich davon einen aktuellen Eindruck zu verschaffen und diese Beziehungen voranzutreiben, auch darauf zielte die Delegationsreise der deutschen Abgeordneten.

„Verstärkte Investitionen in Forschung und Entwicklung“

Die südkoreanische Volkswirtschaft befinde sich, gerade durch ihre Doppelrolle sowohl als technologischer Schrittmacher wie auch als Getriebener des Fortschritts im Bereich der Informationstechnologie, in einem anspruchsvollen Transformationsprozess, sowohl was die Unternehmenslandschaft betreffe als auch den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft als Ganzes, erläutert Landgraf.

Durch verstärkte Investitionen in Forschung und Entwicklung versuchten die Südkoreaner die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Volkswirtschaft zu verbessern und ihren Rang, vor allem gegenüber den Konkurrenten in Asien, zu halten. Dazu suchten sie die Zusammenarbeit mit ausländischen Partnern. Für international ausgerichtete deutsche Unternehmen wiederum biete das Land einen interessanten Brückenkopf und Testmarkt in Asien, mit Investitionssicherheit, gut ausgebauter Infrastruktur und gut ausgebildeten Arbeitskräften.

Viertgrößter Hafen der Welt vernetzt sich mit Berlin

Heute befindet sich hier der viertgrößte Hafen der Welt. In der zweitgrößten südkoreanischen Stadt Busan kam die Delegation mit Unternehmensvertretern deutscher und koreanischer Firmen sowie mit dem Bürgermeister der 3,5-Millionen-Metropole zusammen, um sich über aktuelle wirtschaftliche Trends und Fragen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit auszutauschen.

Deren Bürgermeister, Oh Geodon, werbe nicht nur für seine Stadt als modernen Wirtschaftsstandort, sondern setze sich darüber hinaus für die Wiedervereinigung beider koreanischer Staaten ein, berichtet Landgraf. Um ein Signal für eine Wiederaufnahme von Friedensgesprächen und einen Impuls für Investitionen und Handel entlang des eurasischen Handelskorridors zu geben, wolle er noch dieses Jahr mit der Eisenbahn von Busan nach Berlin reisen.

Bei einer Workshop-Diskussion in der „Maritime and Ocean University“ erfuhren die deutschen Politiker von den dortigen Wissenschaftlern, wie sich beispielsweise im Rahmen gemeinsamer Ausbildungsgänge und gemeinsamer Arbeitsprojekte die innerkoreanische Zusammenarbeit und Annäherung vorantreiben lässt.

Vom Entwicklungs- zum Industrieland

Landgraf ruft in Erinnerung, wie wichtig es bei den Beziehungen zu Ländern in Asien sei, dass man sich gegenseitig Zeichen der Anerkennung gebe, Gesten der Freundlichkeit austausche. Wobei man in den deutsch-koreanischen Beziehungen ja nicht auf dieser Stufe stehen bleibe, gebe es doch genug Positives und Beachtenswertes, was diese beiden Länder vorweisen könnten und verbinde.

So habe man gegenüber den Gastgebern die Hochachtung zum Ausdruck gebracht über das, was diese aus dem nach dem Krieg darniederliegenden Land seit den 1950er-Jahren gemacht hätten. Südkorea sei immerhin das einzige Land, das früher Hilfen auch aus der deutschen Entwicklungszusammenarbeit  bekommen habe und jetzt bereits seit etlichen Jahren als Industrieland zu einem Geberland von Entwicklungshilfe geworden sei.

Partnerschaft hält konstruktive Kritik aus

Die Gespräche zwischen Deutschland und Südkorea fänden heutzutage auf Augenhöhe statt und seien geprägt von gegenseitigem Wohlwollen und Vertrauen, so Landgraf. Sie hielten deshalb auch konstruktiv gemeinte Kritik aus. „Wir stellen bei unseren Treffen auch mal kritische Fragen zu Bereichen, in denen es unserer Meinung nach nicht so glatt läuft im Partnerland, beispielsweise zur niedrigen Geburtenrate oder zur sozialen Sicherheit“, so die Vorsitzende der Parlamentariergruppe. Beide Themen seien für Südkorea gesellschaftspolitisch brisante und eng miteinander verbundene Fragen.

Niedrige Geburtenrate …

Eine der unter den OECD-Ländern niedrigsten Geburtenraten von nur 0,9 Prozent sei eine Katastrophe und stelle ein großes Hemmnis für die wirtschaftliche Entwicklung dar. „Das ist ganz schlimm für das Land“, so die CDU-Politikerin. Nicht nur fehlten der Wirtschaft Arbeitskräfte.

Die gesamte südkoreanische Gesellschaft sei getrieben von einem atemberaubenden Arbeitsethos und bildungsbürgerlichen Elan. Dazu verlangten Eltern ihren Kindern – wie sich selbst – viel ab, wollten, dass diese die bestmögliche Ausbildung erhalten. Dabei hätten die meisten Familien nur ein Kind, auf das sich dann sämtliche Wünsche und Anstrengungen konzentrieren.

Der Alltag gestalte sich für die koreanischen Familien vergleichsweise hart:  Sechs Tage in der Woche arbeiteten sie bis zu zwölf Stunden am Tag. Größter Ansporn sei den Koreanern ihre Verlustangst – vor dem Hintergrund, dass sie viel erreicht hätten und es ihnen momentan wirtschaftlich und finanziell ziemlich gut gehe.

… und Fachkräftemangel bremsen die Wirtschaft

Zu den drängendsten Problemen der südkoreanischen Volkswirtschaft gehöre der Mangel an Fachkräften in vielen industriellen Spezialbereichen. Auch deutsche Unternehmen, die dort investiert haben, bekämen dies zu spüren. So suche etwa Mercedes Benz in Korea ständig qualifizierte Arbeitnehmer und habe daher begonnen, bei der Ausbildung von Arbeitskräften mitzumachen.

Um mehr Menschen für seinen differenzierten, hoch spezialisierten Arbeitsmarkt zu mobilisieren und dem Fachkräftemangel zu begegnen, versuchten die Koreaner, Strukturen in Anlehnung an das deutsche duale System aufzubauen. Wie die Zusammenarbeit in einem solchen aus praktischen und theoretischen Modulen kombinierten Ausbildungsgang in Korea funktioniert, darüber informierten sich die Bundestagsabgeordneten bei der Besichtigung eines Pilotprojektes bei Mercedes, in dem das Unternehmen gemeinsam mit Trainern der Handwerkskammer Mechatroniker ausbildet.

Land des Wissens und der Forschung

Um wettbewerbsfähig zu bleiben, investiere Korea zudem verstärkt in die Entwicklung und Anwendung neuer Technologien sowie in die Ausbildung der Arbeitnehmer. Korea sei ebenso wie Deutschland ein Land des Wissens und der Forschung, sagt Landgraf. Unterschied: Die Mentalität der Menschen begünstige in Südkorea die rasche wirtschaftliche Umsetzung technologischer Erfindungen, Forschung finde in einer sehr anwendungsbezogenen Atmosphäre statt.

Die Koreaner wiederum hätten auch bei dem jüngsten Treffen ihren Respekt vor der Grundlagenforschung in Deutschland zum Ausdruck gebracht. Bei der bilateralen Zusammenarbeit gehe es darum, voneinander zu lernen und das Beste beider Welten zusammenzubringen, darin seien sich beide Seiten einig. Dazu wollten die Parlamentarier beider Länder neue Denkanstöße geben.

Anwendungsnahe universitäre Forschung

Um aktuelle Eindrücke zu sammeln, besichtigten die Abgeordneten aus Deutschland als Beispiel für anwendungsnahe universitäre Forschung in Südkorea das „Ulsan National Institute of Science and Technology“. Diese öffentliche Universität betreibe gemeinsam mit Partnern aus dem In- und Ausland hochmodernen Forschungseinrichtungen, die sich mit Fragen der Materialforschung, des  Recyclings oder der erneuerbaren Energiequellen beschäftigen. Zu den praktischen Aufgabenstellungen gehöre beispielsweise, superleichte Karosserien für künftige E-Autos zu entwickeln.

Aus Deutschland seien renommierte Institutionen wie die Fraunhofer-Gesellschaft, das Forschungszentrum Jülich und die Max-Planck-Gesellschaft beteiligt. Diese hätten Forschungsaufträge nach Südkorea vergeben und Labore eingerichtet, da sie dort auf sehr gute Bedingungen träfen, so Landgraf.

„Wie sich überkommene Strukturen entbürokratisieren lassen“

Die internationale Arbeit der Abgeordneten in den Parlamentariergruppen, die pro Wahlperiode eine Delegationsreisen beinhaltet, ergänze und bereichere die Außenpolitik auf Regierungsebene um eine wichtige Perspektive. Sie trage auf beiden Seiten, sowohl in Südkorea als auch in Deutschland, dazu bei, die Dinge in beiden Ländern noch weiter zu verbessern und globale Probleme und Streitfragen anzugehen, resümiert Landgraf.

Durch den Blick ins andere Land lerne man zudem die eigenen historisch gewachsenen Strukturen und Erfahrungen Deutschlands besser schätzen – die die Koreaner allesamt erst noch aufbauen müssten. Deutschland wiederum erhalte neue Ideen, wie sich überkommene Strukturen, beispielsweise in Forschung und Lehre, entbürokratisieren lassen, um schneller von einer Idee zur wirtschaftlichen Anwendung zu kommen.

„Die jungen Leute müssen sich kennenlernen“

Zum internationalen Austausch gehöre neben den bilateralen staatlichen und wirtschaftlichen Beziehungen auch die gesellschaftliche Dimension. „Gerade die jungen Leute müssen sich kennenlernen. Dadurch bringen wir neues Denken in festgefahrene Strukturen und Muster.“

Indem man einen internationalen Blickwinkel einnehme und die bilateralen Beziehungen ausbaue, werde mehr Wohlstand herauskommen, und zwar für beide Seiten, sei es in Form von besseren Produkten, mehr Arbeitsplätzen oder einer besseren Lebensqualität. Vor zehn Jahren hätten die Koreaner noch gesagt, körperliche Erholung spiele keine Rolle. Heutzutage dagegen sehe man im Seouler Stadtbild schon den ein oder anderen Jogger, der sich von der Arbeit regeneriert. (ll/19.08.2019)

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