Geschichte

„Reichstagsbabys“ feiern Jubiläum im Reichstags­gebäude

Geburtsort Reichstagsgebäude? Ja, es gibt tatsächlich Menschen, in deren Geburtsurkunden als Geburtsort das Reichstagsgebäude angegeben ist. Sie sind in den letzten Kriegsjahren in den Kellerräumen des Parlamentsgebäudes zur Welt gekommen. Weite Teile der Stadt Berlin lagen in Trümmern. Doch während oben Bomben fielen, geschahen im Bunker unter dem Reichstagsgebäude kleine Wunder. Das benachbarte Charité-Krankenhaus hatte im Jahr 1943 tief unter dem Plenarsaal einen Kreißsaal in die Kellergewölbe unter dem Reichstag ausgelagert.

Heute erinnert äußerlich nichts mehr an die Schrecken des Krieges – das Reichstagsgebäude ist Sitz des Deutschen Bundestages. Aber viele Kinder, die in den Katakomben zur Welt kamen, leben noch. Auf Einladung des Bundestages kamen sie nun an ihren Geburtsort zurück. Sie selbst nennen sich Reichstagsbabys. Die Führung durch das Gebäude war für viele eine Zeitreise. „Ich weiß nur, dass meine Mutter in der Charité gearbeitet hat. Sie wurde dann hier reinverlegt, durfte zwei Tage hier drin bleiben und hat nur erzählt, dass ganz viele Kinder geboren wurden und dass die Bomben ganz weit weg waren. Es muss sehr tief hier gewesen sein“, erinnert sich Marita Vorwerk.

Mutter und Tochter gemeinsam im Reichstagsgebäude

Weil im Laufe des Jahres 2019 die im Jahr 1944 in der provisorischen Geburtsstation zur Welt gekommenen Kinder ihren 75. Geburtstag feiern, hat der Deutsche Bundestag auf Anregung des Rostocker Abgeordneten Peter Stein (CDU/CSU) das Jubiläum zum Anlass genommen, alle in den letzten Kriegsjahren im Reichstagsgebäude Geborenen am Sonntag, 8. September 2019, nach Berlin einzuladen, um mit ihnen zu feiern. An diesem Tag fand der Tag der Ein- und Ausblicke des Parlaments statt, an dem Besucher hinter die Kulissen des parlamentarischen Betriebs schauen konnten.

Annemarie Lehmann ist heute 95 Jahre alt. Als damals 20-Jährige bekommt die Hochschwangere einen Platz im Keller des Reichstags zugewiesen. Annemarie Lehmann brachte dort ihre Tochter Heidi zur Welt: „Meine Mutti konnten sie nicht erreichen, die war im Zoobunker hängengeblieben. Also war ich alleine mit dem Baby. Das war keine schöne Erinnerung. Aber ich freue mich, dass wir jetzt beide hier sind. Kinder, das kann uns keiner mehr nehmen.“

„Selbst im größten Elend brennt irgendwo ein Lichtlein“

Einen Gruppe von 16 Frauen und Männern steht zusammen in einem Halbkreis

Im Rahmen des Tages der Ein− und Ausblicke wurden Menschen, die während des Zweiten Weltkrieges in der provisorischen Geburtsstation der Charité im Keller des Reichstagsgebäudes zur Welt kamen, eingeladen. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat die im Reichstag Geborenen und ihre Angehörigen begrüßt. (DBT/Sylvia Bohn)

Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble erklärte, dass er die Anregung des Abgeordneten Stein gerne aufgegriffen habe. „Der Reichstag hat eine unglaubliche Geschichte in so vielerlei Beziehungen. Aber das zeigt, selbst im größten Elend brennt irgendwo ein Lichtlein und es geht dann doch wieder weiter. Und das Symbol, dass in diesen entsetzlichen Kriegsjahren in diesem Gebäude Leben entstanden ist, ist eigentlich auch phantastisch“, sagte der Bundestagspräsident. Die Jubilare von heute seien damals Kinder gewesen, die Hoffnung gaben „in einer dunklen Zeit für unser Land“.

Für die besonderen Gäste gab es im Anschluss eine Sonderführung des Besucherdienstes und ein gemeinsames Essen. Auf einen im Frühjahr veröffentlichten Aufruf hatten sich insgesamt 14 Personen gemeldet. (eis/09.09.2019)

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