1. Untersuchungsausschuss

Zeuge: Anis Amri war ein Anschlag zuzutrauen

Unweit der Gedächtniskirche wurde eine Gedenkstätte für die Opfer des Anschlags auf dem Weihnachtsmarkt am 19.12.2016 in Berlin eingerichtet

Der Untersuchungsausschuss widmete sich der Frage, wie die Landeskriminalämter in Nordrhein-Westfalen und Berlin im Laufe des Jahres 2016 den Fall des späteren Attentäters Anis Amri behandelt haben. (© dpa)

Das nordrhein-westfälische Landeskriminalamt (LKA) hat Anfang 2016 vergeblich versucht, den späteren Breitscheidplatz-Attentäter Anis Amri hinter Gitter zu bringen, weil ihm nach Einschätzung der Behörde ein Anschlag zuzutrauen war. Seit Ende 2015 sei „zunehmend klar geworden, dass von Amri eine große Gefahr ausgehen könnte“, sagte ein Beamter, der sich als Kriminalhauptkommissar Z. vorstellte, am Donnerstag, 26. September 2019, dem 1. Untersuchungsausschuss („Breitscheidplatz“) unter Leitung von Klaus-Dieter Gröhler (CDU/CSU).

Gröhler neuer Ausschussvorsitzender 

Der Berliner CDU-Abgeordnete Klaus-Dieter Gröhler hat damit den Vorsitz des 1. Untersuchungsausschusses von seinem Vorgänger, dem Lörracher CDU-Abgeordneten Armin Schuster, übernommen. Gröhler gehört dem Bundestag seit 2013 an.

Für Schuster, der aus dem Ausschuss ausgeschieden ist, rückte der Heilbronner CDU-Abgeordnete Alexander Throm nach, der seit 2017 Mitglied des Bundestages ist. 

Im „Dunstkreis“ einer verdächtigen Gruppe

Der heute 50-jährige Zeuge Z. ist seit zehn Jahren mit Verfahren gegen radikalislamische Terroristen befasst und hat seit 2012 mehrere Ermittlungskomissionen geleitet. Amri sei Ende 2015 im „Dunstkreis“ einer Gruppe aufgefallen, die verdächtig war, Rekruten für den Dschihad in Syrien anzuwerben.

Er habe in den Ermittlungen gegen diesen Personenkreis, die das LKA in Düsseldorf unter dem Stichwort „Ventum“ führte, „zunehmend an Relevanz“ gewonnen und sei deswegen als „Nachrichtenmittler“ überwacht worden. Dabei hätten sich Hinweise ergeben, die vermuten ließen, dass Amri sich mit konkreten Anschlagsplanungen trug.

„Wir sehen uns dann im Paradies“

Ende 2015 habe er im Internet nach Bastelanleitungen für Sprengsätze und Handgranaten gefahndet. Im Februar 2016 habe er Nachrichten mit tunesischen Landsleuten ausgetauscht, die offenbar in Libyen für den „Islamischen Staat“ (IS) kämpften. Er habe angekündigt, er wolle „heiraten“, was im islamistischen Sprachgebrauch bedeute, dass er ein Attentat vorbereitete. Auch der Begriff „dugma“ sei gefallen, der gleichbedeutend sei mit „hart zuschlagen“. Sein Kommunikationspartner habe Amri indes empfohlen, er solle noch nicht „heiraten“, sondern Rat bei einem Mentor suchen. Verabschiedet habe er sich mit dem Satz: „Wir sehen uns dann im Paradies.“

Der Zeuge berichtete, er habe daraufhin dreierlei unternommen. Er habe eine Empfehlung formuliert, gegen Amri eine Abschiebungsanordnung nach Paragraf 58a des Aufenthaltsgesetzes zu erlassen. Zudem habe er Strafanzeige wegen „gewerbsmäßige Betrugs“ bei der Staatsanwaltschaft Duisburg erstattet, verbunden mit dem Antrag, Amri in Untersuchungshaft zu nehmen. Amri habe sich unter verschiedenen Falschnamen allein in Nordrhein-Westfalen Zahlungen in Höhe von 3.404,81 Euro nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erschlichen. Darüber hinaus, sagte der Zeuge, habe er Amri weiter observieren lassen.

„Anzeige wegen Betrugs persönlich überbracht“

Paragraf 58a ermächtigt  eine oberste Landesbehörde, auch ohne vorherige Ausweisung eine Abschiebungsanordnung gegen einen Ausländer zu erlassen, von dem eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik zu befürchten ist. Er war Anfang 2016 allerdings noch nie angewandt worden. Aus diesem Grund entschied Ende März die zuständige Sicherheitskonferenz in Nordrhein-Westfalen, auch im Fall Amri davon abzusehen und statt dessen zu versuchen, den Mann auf „konventionellem“ Weg durch Ablehnung seines Asylantrags mit anschließender Ausweisung loszuwerden.

Die Anzeige wegen Betrugs hätten er und sein für die „Ventum“-Ermittlungen zuständiger Kollege am 20. April 2016 persönlich überbracht, berichtete der Zeuge. Sie hätten ausdrücklich auf die Gefährlichkeit Amris hingewiesen, um die Dringlichkeit eines Haftbefehls zu unterstreichen. Sie hätten mit Absicht auch nicht bei einem für Betrugsdelikte zuständigen, sonder bei einem mit politischen Strafsachen befassten Staatsanwalt vorgesprochen, von dem sie sich mehr Verständnis erhofft hätten. Ein Haftbefehl sei dennoch ausgeblieben.

„Diese Aussagen habe ich so nie getätigt“

Im weiteren Verlauf der Sitzung bestritt ein Beamter des nordrhein-westfälischen LKA, Ende 2015 Ermittlungen des Polizeilichen Staatsschutzes in Krefeld gegen den späteren Attentäter Anis Amri unterbunden zu haben. „Diese Aussagen habe ich so nie getätigt“, betonte Kriminaloberkommissar E. und widersprach damit einer Darstellung, die der damals in Krefeld zuständige Kriminalhauptkommissar D. in seiner Vernehmung durch den Ausschuss am 14. März 2019 gegeben hatte.

Der Polizeiliche Staatsschutz in Krefeld hatte auf den Hinweis eines Mitbewohners Amris in der Emmericher Flüchtlingsunterkunft hin am 28. Oktober 2015 einen „Prüffall Islamismus“ eröffnet, allerdings unter dem Namen „Mohammed Hassa“, den Amri in Emmerich führte. Bei seinem Auftritt vor dem Ausschuss im März schilderte der Zeuge D., wie er am 11. Dezember 2015 in der Ausländerbehörde in Kleve dem Hinweisgeber, dem syrischen Kurden Lokman D., begegnet war. Der Mann habe auf ihn überzeugend gewirkt.

„Große Chance, an Amri heranzukommen“

Wenig später habe er allerdings einen Anruf des Kollegen E. aus dem LKA erhalten, der ihn dringend gebeten habe, im Fall „Mohammed Hassa“ alle weiteren Schritte zu unterlassen. Den Mann habe das LKA auf dem Schirm; parallele Ermittlungen der Krefelder Polizei könnten da nur kontraproduktiv wirken.

„Ich kann mir nicht erklären, wie der Kollege zu dieser Wahrnehmung kommt“, sagte dazu jetzt der Zeuge E. Er bestätigte, mehrfach in Krefeld angerufen zu haben, nachdem er festgestellt hatte, dass dort ein Amri betreffender „Prüffall Islamismus“ bestand. Es sei ihm aber keineswegs darum gegangen, die Aktivitäten der Krefelder Polizei zu unterbinden, sondern im Gegenteil, sie für die eigenen Ermittlungen zu nutzen: „Ich war froh, dass wir vor Ort jemanden hatten, um Informationen über Amri für unser Verfahren zu gewinnen. Es war die große Chance, an ihn heranzukommen.“

„Das erinnert mich an einen schlechten Hollywood-Film“

So habe er gehofft, die Krefelder Kollegen könnten den Verdächtigen womöglich in Kleve oder Emmerich vernehmen und einen Bericht dem LKA überlassen. Ob es zu einer solchen Vernehmung gekommen sei, wisse er nicht, sagte der Zeuge. „Das ist für mich nicht erklärbar und erinnert mich an einen schlechten Hollywood-Film“, kommentierte er die Darstellung des Krefelder Kollegen.

Der heute 39-jährige Zeuge ist seit Juli 2015 im Düsseldorfer LKA beschäftigt und war im Herbst jenes Jahres Sachbearbeiter in der Ermittlungskommission (EK) „Ventum“. Diese richtete sich gegen fünf Islamisten um den Hildesheimer Prediger Abu Walaa, die verdächtig waren, Rekruten für den Dschihad zu rekrutieren. Unter anderem oblag ihm die technische Überwachung der Kommunikation Amris über Mobiltelefon und im Internet. Er gewann dabei nach eigenen Worten schnell einen nachhaltigen Eindruck von der Gefährlichkeit des Mannes.

„Amri gab jede konspirative Zurückhaltung auf“

Auffällig sei unter anderem gewesen, dass Amri im Laufe der Zeit jede konspirative Zurückhaltung aufgegeben und seine Sympathien für den „Islamischen Staat“ (IS) im virtuellen Raum immer offener zur Schau gestellt habe. Eine Zusammenfassung der Erkenntnisse des Zeugen lag im Februar 2016 dem Gemeinsamen Terrorismus-Abwehrzentrum (GTAZ) der deutschen Sicherheitsbehörden vor.

Dort sei die von Amri ausgehende Gefahr indes als gering eingestuft worden. Dagegen sei er damals überzeugt gewesen, „dass die Person sehr gefährlich war und ein Anschlag wahrscheinlich kurz bevorstand“, betonte der Zeuge. (wid/26.09.2019)

Liste der geladenen Zeugen

  • Z., Kriminalhauptkommissar, Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen
  • B., Kriminaloberkommissarin, Landeskriminalamt Berlin
  • E., Kriminaloberkommissar, Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen

Marginalspalte