Parlament

André Berghegger spricht sich für Mindest­besteue­rung auf OECD-Ebene aus

Ein Mann mit braunem Haar und einem dunklen Anzug

André Berghegger, Delegationsleiter der Bundestagsabgeordneten zur Interparlamentarischen Konferenz über Stabilität, wirtschaftspolitische Koordinierung und Steuerung in der EU in Helsinki (© DBT/Thomas Trutschel)

Den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft in der EU durch Strukturreformen betrachtet Dr. André Berghegger (CDU/CSU), Delegationsleiter der Bundestagsabgeordneten zur Interparlamentarischen Konferenz über Stabilität, wirtschaftspolitische Koordinierung und Steuerung in der EU, kurz SWKS-Tagung, als vordringliche Aufgabe. Um einen ungesunden Steuerwettbewerb zu vermeiden, spricht er sich im Interview für eine Mindestbesteuerung auf Ebene der OECD-Länder (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) aus. Über die Wahrung der Haushaltsdisziplin und die Stärkung der Wirtschaftsleistung in den Mitgliedsländern haben am Montag, 30. September, und Dienstag, 1. Oktober 2019, Parlamentarier der Mitgliedsländer der Europäischen Union bei der Herbsttagung der SWKS in Helsinki beraten. Das Interview im Wortlaut:


Herr Dr. Berghegger, bei der SWKS-Tagung beraten Parlamentarier der EU-Länder, also auch Sie als Bundestagsabgeordneter, regelmäßig über die Erfolge und Versäumnisse der EU-Länder, im Rahmen des sogenannten Fiskalpaktes beziehungsweise des sogenannten „Europäischen Semesters“ ihre Haushalte und Staatsschulden in den Griff zu bekommen. Welche Hausaufgaben müssen die Regierungen jetzt vordringlich erledigen? 

Das „Europäische Semester“ ermöglicht die Überprüfung der nationalen Haushalts- und Reformentwürfe vor der Verabschiedung durch die jeweiligen nationalen Parlamente. Hauptziele sind hierbei die Sicherung von Haushaltsdisziplin und die Stärkung der Wirtschaftsleistung in den Mitgliedstaaten. Dafür gibt die EU-Kommission mit „länderspezifischen Empfehlungen“ realistische Vorschläge für die kommenden Monate. Diese beziehen sich auf verschiedene Themen wie öffentliche Finanzen, Strukturerneuerungen und Arbeitsmarktfragen. Von besonderer Bedeutung scheinen mir die Strukturreformen in den Mitgliedstaaten zu sein, die die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft dauerhaft verbessern. Das sichert die Handlungsfähigkeit und stärkt die Krisenfestigkeit der Staaten.

In der EU geraten immer wieder die unterschiedlichen Steuersysteme und Steuersätze der einzelnen Mitgliedsländer in den Blick, eine wesentliche Einnahmequelle der Länder. Manche reden von einem Steuerwettbewerb innerhalb der EU, beispielsweise bei der Unternehmenssteuer. Stichwort: Besteuerung von Digitalkonzernen. Welche Vorschläge gibt es von parlamentarischer Seite, um die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen des unterschiedlichen Steuerrechts in den Mitgliedstaaten abzufedern?

Die Unternehmensbesteuerung muss besser an digitale Geschäftsmodelle angepasst werden. Dies macht es erforderlich, das Betriebsstättenkonzept in seiner bisherigen Form weiterzuentwickeln, ohne dabei im großen Umfang die Steueransprüche in Deutschland zu gefährden. Wir halten eine Mindestbesteuerung auf OECD-Ebene für einen möglichen Weg, um eine gerechtere Besteuerung zu erreichen. Auch die vorgesehene gemeinsame Bemessungsgrundlage für die Körperschaftssteuer ist grundsätzlich zu begrüßen.

Immer dann, wenn, wie momentan, die Konjunktur schwächelt, aber regelmäßig auch dann, wenn es darum geht, einen Ausgleich zu schaffen zwischen prosperierenden und wirtschaftlich schwächeren Regionen, gerät das Thema Investitionsförderung in den Blick, um neues Wachstum zu stimulieren und Beschäftigung zu sichern. Welche Ideen liegen auf dem Tisch, um in der aktuellen Situation neue Anreize für öffentliche und private Investitionen in der EU zu setzen?

Das Programm „InvestEU“ wird ab 2021 bestehende europäische Finanzierungsinstrumente zusammenführen. Es tritt die Nachfolge von EFSI (Europäischer Fonds für strategische Investitionen) an. Mit finanziellen Mitteln und Beratungsangeboten soll es besonders die nachhaltige Infrastruktur, die Forschung, Innovation, Digitalisierung, die Mittelstandsförderung und die sozialen Investitionen bzw. Kompetenzen stärken. InvestEU soll effizient auf die bestehenden Investitionslücken reagieren. Investitionen werden aber nicht nur durch die Haushaltsansätze bestimmt. Wir müssen auch andere Investitionshemmnisse lösen. Hierzu zählen insbesondere zu komplexe Ausschreibungsverfahren, begrenzte öffentliche und private Planungskapazitäten, begrenzte Baukapazitäten und die zu umfangreiche Bürokratie.

Der Vorschlag der EU-Kommission, wirtschaftliche Reformen in den einzelnen Mietgliedstaaten mit EU-Mitteln zu unterstützen, ruft in vielen Ländern Widerspruch hervor: ein Eingriff in die nationale Souveränität sei dies. Wie viel wirtschaftspolitische Steuerung auf EU-Ebene soll sein? Was sagen die Parlamente?

Bisher bekannte Steuerungsmechanismen wie das „Defizitverfahren“ in den Mitgliedstaaten haben aufgrund der guten wirtschaftlichen Entwicklung an Bedeutung verloren. Aktuell wird eine Reform des Europäischen Stabilitätsmechanismus diskutiert, damit dieser auch im Rahmen einer Bankenabwicklung als „letzte Sicherung“ zum Einsatz kommen kann. Bei der Debatte um das „Eurozonenbudget“ gibt es ungelöste Fragen, die sowohl den Umfang, die Finanzierung, die Steuerung, als auch den Teilnehmerkreis dieses Budgets betreffen. Strittig ist ebenfalls das europäische Einlagensicherungssystem (EDIS). Vor einer Ausgestaltung von EDIS ist entscheidend, dass die Risiken in den Bankenbilanzen reduziert werden. Langfristig wird über die Kapitalmarktunion diskutiert, die grenzüberschreitende Investitionen verbessern könnte. 

Stichwort EU-Budget: Hat eigentlich die EU zu viel oder zu wenig Geld, um ihren Aufgaben gerecht zu werden?

Neben den wirtschaftlich sich auswirkenden Risiken aus Handelskonflikten führt ein möglicher Brexit dazu, dass ein wichtiger Netto-Einzahler die EU verlässt. Das hinterlässt eine Finanzierungslücke. Wir setzen uns dafür ein, dass weiterhin ein Prozent des nationalen Bruttoinlandsprodukts als Finanzierung an die EU geht. Dies schafft eine verlässliche Grundlage für den neuen mehrjährigen Finanzrahmen 2021 bis 2027. Der Wegfall des britischen Beitrages wird zwar teilweise durch die weiterhin relativ gute konjunkturelle Entwicklung kompensiert, aber dennoch müssen bei den Ausgaben Prioritäten gesetzt werden. Dass eine gemeinsame Migrations-, Sicherheits- oder Verteidigungspolitik, um nur wenige Beispiele zu nennen, höhere Teil-Budgets bei der EU erfordern, dürfte auf der Hand liegen. 

(ll/04.10.2019)

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