Aktuelle Stunde

Nach türkischem Syrien-Einmarsch: Oppo­sition rügt Handlungs­unfähigkeit

Die Bundesregierung steht wegen ihres Agierens gegenüber der Türkei in der Kritik: In einer Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Haltung der Bundesregierung zum Einmarsch der Türkei in Syrien – Einmarsch als völkerrechtswidrig verurteilen“ warfen die Oppositionsfraktionen am Mittwoch, 16. Oktober 2019, der Regierung mangelnde Konsequenz und Handlungsunfähigkeit vor. Vertreter der Koalitionsfraktionen kritisierten den Kurs des türkischen Präsidenten Erdoğan und bezeichneten dessen militärische Intervention in Nordsyrien, die kurz nach dem Abzug von US-Truppen auf Befehl von US-Präsident Donald Trump folgte, als völkerrechtswidrig. 

Sevim Dağdelen (Die Linke) verwies auf Presseberichte, nach denen die Bundesregierung ein entschlossenes Waffenembargo der EU gegenüber Ankara verhindert habe: „In Berlin Krokodilstränen weinen, in Brüssel Erdoğan in Schutz nehmen“ – das sei die „Schaufensterpolitik“ von Außenmister Heiko Maas (SPD) und Bundeskanzlerin Merkel (CDU).

Seit dem Jahrtausendwechsel habe Deutschland Kriegswaffen im Wert von 1,74 Milliarden Euro an die Türkei geliefert, davon allein im vergangenen Jahr in Höhe von 243 Millionen Euro. „Das ist alles andere als restriktiv, das ist Beihilfe zur Instabilität“, sagte Dağdelen. 

CDU/CSU: Zwangsumsiedlungen werden nicht gebilligt

Dr. Johann David Wadephul (CDU/CSU) verurteilte im Namen seiner Fraktion die Intervention der Türkei im Norden Syriens, für die es klar keine völkerrechtliche Grundlage gebe. Er wandte sich auch gegen Pläne der türkischen Führung, in der Türkei lebende syrische Flüchtlinge nach Nordsyrien umzusiedeln. „Zwangsweise Umsiedlungen wird Europa, wird Deutschland niemals billigen.“

Wadephul unterstrich jedoch, dass die Türkei in der Nato bleiben solle. Ankara müsse jedoch klar gemacht werden, dass es die EU nicht als größten Handelspartner haben und gleichzeitig die Werte von EU und Nato-Bündnis „mit den Füßen treten“ könne. 

SPD: Wir behalten uns weitere Maßnahmen vor

Niels Annen (SPD) sprach zwar von einem berechtigten Sicherheitsinteresse der Türkei. „Aber das rechtfertigt nicht diesen Einsatz.“ Dieser löse auch keines der Probleme der Region, sondern erschwere den fragilen UN-Friedensprozess für Syrien. Zudem richte er sich gegen ausgerechnet jene kurdischen Kräfte, die den „Islamischen Staat“ maßgeblich mit zurückgedrängt hätten, was die Gefahr eines Wiedererstarkens der Terrororganisation heraufbeschwöre.

Mit der Forderung nach einem Rückzug der türkischen Armee und der Ankündigung eines Waffenexportstopps gebe es seitens der EU ein „klares Signal“ in Richtung Ankara, sagte Annen. Und: „Wir behalten uns weitere Maßnahmen vor.“

AfD: Außenpolitische Verzwergung Deutschlands offengelegt

Rüdiger Lucassen (AfD) sagte, dass der „türkische Feldzug“ in Nordsyrien „die außenpolitische Verzwergung“ Deutschlands offenlege. Er zeige zudem, dass die EU im Ernstfall kein verlässlicher Akteur sei. Die Bundesregierung spreche mit Blick auf die Nato von einem Wertebündnis; „Da ist falsch.“

Die Nato sei ein strategisches Bündnis für die Sicherheit Deutschlands, „und es ist im Begriff zu zerfallen“. Wenn Erdoğan den Bündnisfall nach Artikel 5 einfordere, könne dies das Fundament der Nato sprengen. „Das ist brandgefährlich.“

FDP: Erdoğan ermöglicht Wiedererstarken des IS

Bijan Djir-Sarai (FDP) bezeichnete es als „außerordentlich bitter und beschämend“, die Kurden in Nordsyrien jetzt allein zu lassen. Nicht zuletzt aus innenpolitischen Erwägungen „stürzt Erdoğan die gesamte Region ins Chaos und ermöglicht ein Wiederstarken des IS“.

Dass es allerdings überhaupt zu dieser Entwicklung kommen konnte, liege auch im außen- und sicherheitspolitischen Versagen Europas begründet, das in Syrien die Nachkriegsordnung verschlafe. Europa müsse endlich aufwachen und vor der eigenen Haustür politisch handlungsfähig werden. 

Grüne: Der nächste Brandbeschleuniger

Agnieszka Brugger (Bündnis 90/Die Grünen) stellte in Abrede, dass es Erdoğan um die Sicherheit der Türkei gehe, sondern um Zwangsumsiedlungen und Vertreibungen. „In einer Region, die schon in Flammen steht, ist das der nächste Brandbeschleuniger.“

Wie ihr Vorredner warb sie dafür, Hermes-Bürgschaften für Exporte in die Türkei einzufrieren, und sie kritisierte, dass die Bundesregierung beim Waffenexport in die Türkei auf EU-Ebene offenbar noch gebremst habe. „Stoppen Sie endlich alle Rüstungsexporte und nehmen Sie bereits erteilte Genehmigungen zurück.“ (ahe/16.10.2019)

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