Parlament

Lamers: Warnungen vor dem Wiedererstarken des „Islamischen Staats“

Prof. h. c. Dr. Karl A. Lamers (CDU/CSU), Leiter der Bundestagsdelegation zur Parlamentarischen Versammlung der Nato

Prof. h. c. Dr. Karl A. Lamers (CDU/CSU), Leiter der Bundestagsdelegation zur Parlamentarischen Versammlung der Nato (DBT/Thomas Trutschel)

Neben der Sorge um das Leben der Zivilbevölkerung haben viele Abgeordnete bei der Parlamentarischen Versammlung der Nato vor einem Wiedererstarken der Terrormiliz „Islamischer Staat“ gewarnt. Darauf weist der CDU-Bundestagsabgeordnete Prof. h. c. Dr. Karl A. Lamers im Interview hin. Lamers leitete die Delegation des Deutschen Bundestages zur 65. Jahrestagung der Versammlung vom 11. bis 14. Oktober 2019 in London. „Ich hoffe sehr, dass unsere türkischen Kolleginnen und Kollegen die in London vorgetragenen Sorgen und Appelle mit zurück nach Ankara nehmen“, sagt Lamers. Das Interview im Wortlaut:


Herr Professor Lamers, konnten die Parlamentarier Auswege aus der eskalierenden Situation in Syrien aufzeigen?

Während der Jahrestagung der Parlamentarischen Versammlung der Nato in London wurde der Einmarsch der türkischen Armee in Nordsyrien in den fünf Fachausschüssen und im Plenum hitzig debattiert. Die türkischen Delegierten haben die Sicherheitsinteressen der Türkei dargelegt. Die Versammlung bietet ein gutes Forum für eine offene Diskussion innerhalb des Bündnisses. Es ist wichtig, dass man sich innerhalb des Bündnisses konstruktiv auseinandersetzt. Das ist uns gelungen. Die Mehrheit hat sich für eine sofortige Einstellung der Kampfhandlungen und einen Rückzug der türkischen Streitkräfte aus Nordsyrien ausgesprochen. Neben der Sorge um das Leben der Zivilbevölkerung haben viele vor einem Wiedererstarken der Terrormiliz „Islamischer Staat“ gewarnt. Ich hoffe sehr, dass unsere türkischen Kolleginnen und Kollegen die in London vorgetragenen Sorgen und Appelle mit zurück nach Ankara nehmen.

Die Nato ist von zahlreichen Krisenherden umgeben. Welche regionalen sicherheitspolitischen Prioritäten sieht die Parlamentarische Versammlung für das Bündnis?

Die Versammlung erkennt an, dass die aggressive Haltung und Handlungen Russlands sowie die Instabilität an der Südflanke der Nato sehr große Herausforderungen für die Sicherheit der Nato-Mitgliedstaaten und Partnerländer sind.  Neue Sicherheitsbedrohungen zwingen die Nato, ihre strategische Perspektive ständig zu überprüfen. Die Versammlung hat unter anderem einen Bericht zur Frage der nuklearen Abschreckung und Waffenkontrolle nach der Beendigung des INF-Vertrages sowie zu den Sicherheitsherausforderungen, die sich in Afrika stellen, verabschiedet. Der Wissenschaftsausschuss hat sich intensiv mit Sicherheitsfragen im Cyberraum und der Künstlichen Intelligenz beschäftigt.

Die Nato und Russland teilen zahlreiche gemeinsame sicherheitspolitische Themen. Gibt es Überlegungen, der russischen Delegation ihren 2014 suspendierten Beobachter-Status in der Parlamentarischen Versammlung zurückzugeben und den Nato-Russland-Ausschuss zu reaktivieren? Ähnliches ist ja gerade im Europarat geschehen, in dem Russland Mitglied ist.

Nach Ende des Kalten Krieges versuchte das Bündnis, eine strategische Partnerschaft mit Russland aufzubauen. In der Versammlung traf man sich  im parlamentarischen Nato-Russland-Ausschuss. Nach der illegalen Annexion der Krim durch Russland hat die Versammlung das Gremium bis auf Weiteres auf Eis gelegt. Da Russland an der völkerrechtswidrigen Annexion festhält und die illegalen bewaffneten Gruppen, die in den besetzten Teilen der ukrainischen Regionen Donezk und Lugansk operieren, unterstützt, gibt es derzeit keine Überlegungen für eine Rückgabe des Beobachterstatus. Russland führt Desinformationskampagnen und hybride Aktivitäten durch. Die Nato muss daher weiterhin geschlossen auftreten und bei Vermeidung jeglicher Eskalation ihre Verteidigungs- und Abschreckungsfähigkeiten stärken. Das politische Instrument der Sanktionen kann wichtige Signale setzen und Anreize schaffen für eine Änderung des russischen Verhaltens. Die Versammlung fordert Russland auf, zu der an Regeln gebundenen internationalen Ordnung zurückzukehren. Bislang sehe ich leider keine positiven Anzeichen für ein verändertes Vorgehen Russlands.

Das Bündnis ist 70 Jahre alt geworden. Welche Rolle spielte das Jubiläum?

Das 70-jährige Bestehen der Nato  bot Gelegenheit, über Grundsätzliches nachzudenken und Perspektiven aufzuzeigen. So bekräftige man trotz aller Zwischenrufe aus Washington, dass die Nato als Militärbündnis und Wertegemeinschaft relevant ist und bleibt. Erklären Sie mal allen, die zurzeit an der Rolle der USA verzweifeln und die Allianz am Ende sehen, warum die Nato weiterhin unverzichtbar ist und noch viele weitere runde Jubiläen begehen wird. Die Nato ist nach wie vor Eckpfeiler der transatlantischen Sicherheit. Alle Partner sind dem in Artikel 5 des Nato-Vertrages enthaltenen Grundsatz verpflichtet, demzufolge ein Angriff gegen einen Mitgliedsland ein Angriff gegen alle darstellt. Der Erfolg der Allianz basiert auf ihrer Glaubwürdigkeit, die sich neben den militärischen Fähigkeiten aus den gemeinsamen politischen Zielsetzungen ergibt. Sie ist eben nicht nur ein militärisches, sondern auch ein politisches Bündnis. Die Nato tritt für ihre gemeinsamen Werte ein und bekennt sich zu Demokratie, Freiheit, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit.

Und welche Rolle spielt dabei die Parlamentarische Versammlung?

In der Vergangenheit hat die Versammlung vehementer als die Nato ihre Mitglieder zur Achtung demokratischer Werte ermahnt und ist gelegentlich so weit gegangen, die Mitgliedschaft bestimmter Delegationen aufgrund ihres geringen demokratischen Verhaltens auszusetzen. Die Rolle der Versammlung ist meines Erachtens für die Nato hilfreich gewesen, da sie die umfassendere Reaktion der Nato-Staaten auf Rückschritte bei der Demokratie darstellen und damit fehlende Reaktionen von Seiten der Nato-Regierungen ausgleichen konnte. Da die freiheitliche-demokratische Weltordnung gefährdet ist, bedarf es wieder stärker einer solchen proaktiven Rolle der Versammlung.

In London kann man als Europäer nicht sein, ohne an den Brexit zu denken. Was macht der EU-Austritt eines Nato-Mitglieds mit dem Bündnis?

Die Beziehungen zwischen der Nato und der EU kann dadurch vertieft werden, wenn sich die EU auf gemeinsame Grundsätze in den Fragen der Außen- und Sicherheit verständigen kann. Im Rahmen der Pesco, der „Permanent Structured Cooperation“, sind in den letzten Jahren sehr viele Fortschritte erzielt worden. Die Nato profitiert davon. Herausforderungen der Interoperabilität innerhalb der Nato müssen von der EU durch verstärkte Investitionen in ihre Infrastruktur begegnet werden. Nach dem Brexit stellt sich die Frage, wie eine besondere Beziehung zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich hergestellt werden kann. Besonders im Sicherheitsbereich sind wir weiterhin aufeinander angewiesen. Womöglich wird das Vereinigte Königreich sich noch enger an die Nato binden, was für die Allianz vorteilhaft ist. (ll/18.10.2019)

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