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Experten streiten über Social Media im politischen Diskurs

Fünf Männer und zwei Frauen stehen gestikulierend und miteinander sprechend im Halbkreis

Experten streiten über die Rolles sozialer Medien für den politischen Diskurs: von links Professor Otfried Jarren, Johannes Dimroth, Professor Heinrich Oberreuter, Katrin Grothe, Anita Fünffinger, Robert Birnbaum, Johann Wadephul. (DBT/Melde)

Im Mai 2019 veröffentlichte der Youtuber Rezo eine mittlerweile auch als „Rezo-Video“ firmierende Angriffsrede gegen die Politik der Großen Koalition. Diese erreichte enorme Zuschauerzahlen und löste in der Folge große politische Wellenschläge aus. Gegenwärtig verzeichnet Youtube über 16 Million Zugriffe auf das Video. Vor dem Hintergrund dieses Phänomens sind sich Experten einig: moderne Kommunikationssysteme lassen sich nicht mehr jenseits der Sozialen Medien denken. Aber welche Rolle spielen die neuen und die klassischen Medien in der politischen Diskussion? Wie ist diese jeweils zu bewerten? Und welche soziopolitischen Implikationen lassen sich historisch ableiten?

Zu diesen Fragen stritten Wissenschaftler, Journalisten und Experten aus der politischen Öffentlichkeitsarbeit am Mittwoch, 23. Oktober 2019, im Rahmen einer Podiumsdiskussion mit dem Titel „Im Griff der Netzwerke? Wandel und Herausforderungen der politischen Kommunikation“.

Wer bezahlt für Journalismus?

Strittig wurde unter den geladenen Experten die Frage diskutiert, welche Auswirkungen die neue Medienlandschaft auf den Journalismus hätten. Prof. Dr. Otfried Jarren vom Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich sprach von einem „Zahlungsbereitschaftsdilemma“, dem sich die klassischen Medien ausgesetzt sähen. Die ökonomische Tendenz gehe immer mehr dahin, dass Werbende in Suchmaschinen und soziale Netzwerke investierten, anstatt Anzeigen in klassischen Medien zu platzieren.

Das habe auch damit zu tun, dass der Erfolg der Werbung in diesen Kanälen deutlich besser evaluiert werden könne, weil sich Nutzerdaten und -verhalten auswerten ließen. Im Radio und in der Zeitung könne man nicht eruieren, wer sich durch Werbeanzeigen affizieren lässt und wer nicht. Gleichzeitig seien es Nutzer und Leser gewöhnt, für Informationen nicht zu bezahlen. Der Journalismus stehe daher vor großen Finanzierungsfragen.

„Die Medienkrise hat begonnen“

Insgesamt gehe mit den Sozialen Medien eine „vollständige Veränderung der Kommunikationsstruktur“ einher, analysierte Jarren in seinem Impulsvortrag zu Beginn der Veranstaltung. Diese Veränderungen seien auch nicht einfach nur auf die Digitalisierung zurückzuführen. Diese würde vielmehr nur die technischen Voraussetzungen liefern, durch die bereits zuvor bestehende gesellschaftliche Phänomene sichtbar würden. Es gebe große Veränderungen etwa was die Frage betrifft, was heute als relevant wahrgenommen wird und was nicht. Auch hätten sich Öffentlichkeitsstrukturen – einstmals von nationalstaatlichem Zuschnitt – radikal gewandelt und müssten heute global gedacht werden. Als Beispiele für die Entgrenzung klassischer Geltungsräume führte er die Me-Too-Debatte oder den Arabischen Frühling an.

„Die Medienkrise hat begonnen“ schloss der Kommunikationswissenschaftler, der diese These nicht zuletzt mit dem Zeitungssterben untermauerte. In der Schweiz gebe es bereits ganze Kantone, die von keiner lokalen Presse mehr abgedeckt würden. 

Positive Umarmung der Sozialen Medien

Dieser Makroanalyse widersprach Katrin Grothe, die die Abteilung für Soziale Medien der FDP-Bundestagsfraktion leitet, in Teilen und verwies auf historische Analogien. Über die Zukunft von Zeitungen, Radio und Fernsehen sei zwar fatalistisch gesprochen worden, meinte sie. Gleichwohl gebe es diese Nachrichtenkanäle immer noch. Es müsse daher kein „Gegeneinander, sondern ein Miteinander“ neuer und alter Medien produktiv gemacht werden. Zwar stimme es, dass Donald Trump mehr Follower auf Twitter habe als die New York Times. Die Zeitung habe zugleich aber auch durch die Wahl Trumps zum US-Präsidenten 40.000 neue Abos verzeichnen können. Das Vertrauen in die klassischen Nachrichtenmedien sei daher immer noch groß. 

Anita Fünffinger vom ARD-Hauptstadtbüro und Robert Birnbaum, Journalist beim Berliner Tagesspiegel, sahen dies ähnlich. Letzterer verwies etwa darauf, dass das Rezo-Video erst dann breite Aufmerksamkeit erreichte, als die herkömmlichen Nachrichtenmedien darüber berichteten. Daran knüpfte er die Zuversicht, dass die klassischen Medien auch weiterhin als Relevanzstifter wahrgenommen würden, auch wenn große Veränderungen einzuräumen seien.

Fünffinger plädierte für eine positive Umarmung der Sozialen Medien. Tweets von Politikern seien etwa eine hervorragende, schnell zugängliche und verlässliche Quelle für Journalisten. Journalisten dürften aber den direkten Kontakt zu den Akteuren ihrer Berichterstattung nicht verlieren und müssten weiterhin das persönliche Gespräch führen. Dies – so zeigte sie sich überzeugt – führe zu einer Glaubwürdigkeit, die auch weiterhin Anerkennung in der Gesellschaft fände. Essenziell sei dafür aber auch eine gute Medien- und Quellenbildung in der Schule. In diesem Bereich sei in der Vergangenheit politisch viel verschlafen worden, kritisiere sie.

Die Frage nach dem „Wie“       

Was die Vermittlung dieser Kompetenzen betrifft, nehme das Bundespresseamt (BPA) seine Verantwortung wahr, sagte Dr. Johannes Dimroth, Leiter der Abteilung Politische Kommunikation im BPA. Auch er zeigte sich überzeugt davon, dass die klassischen Nachrichtenmedien weiterhin als glaubwürdig eingeschätzt würden. Es gehe auch nicht darum zu fragen, wo verlässliche Informationen generiert und eingeholt würden, sondern vielmehr um die Frage nach dem „Wie“.  

Die Bundesregierung sei auf den einschlägigen sozialen Medienkanälen präsent, um dort ihre „Entscheidungsprozesse transparent zu erklären“, sagte Dimroth. Bei allen datenschutzrechtlichen Bedenken, die ernst genommen würden, müsse aber der Verfassungsauftrag wahrgenommen werden, die Bevölkerung über das politische Handeln zu unterrichten. Und das hieße eben auch, dorthin zu gehen, wo die Bevölkerung ist. Es mache keinen Sinn, das anderen Akteuren zu überlassen, mahnte er.

Zu der Podiumsdiskussion im Jakob-Kaiser-Haus des Deutschen Bundestages hatte die Deutsche Vereinigung für Parlamentsfragen (DVParl) unter dem Vorsitz von Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) eingeladen. Die DVParl wurde 1970 von Parlamentariern, Journalisten und Wissenschaftlern gegründet – mit dem Ziel, vermittels Publikationen, Veranstaltungen oder Seminaren ein breiteres Verständnis für das parlamentarische System zu schaffen. (ste/24.10.2019) 

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