Parlament

Bundestag erinnert an den Mauerfall vor 30 Jahren

In einer mitunter sehr emotionalen Debatte hat der Bundestag am Freitag, 8. November 2019, des Mauerfalls am 9. November 1989 gedacht und den Widerstand der Menschen in der ehemaligen DDR gegen das SED-Regime gewürdigt.

CDU/CSU räumt Fehler im Einigungsprozess ein

Der Unionsfraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus nannte den 9. November den „glücklichsten Tag“ in der deutschen Geschichte. Die friedliche Revolution von 1989 sei ein „großes Wunder“ gewesen. Dies zeige schon, dass im gleichen Jahr in China die Protestbewegung blutig niedergeschlagen worden sei. Würdigen müsste man aber nicht nur die Menschen in der DDR, die 1989 ihre Freiheit erkämpft hätten, sondern auch jene, die das Ende der DDR nicht mehr erlebt hätten, die zwischen dem Volksaufstand von 1953 und 1989 inhaftiert wurden oder ihr Leben an der innerdeutschen Grenze verloren haben. „Wir sollten uns auch vor diesen stillen Helden verneigen“, sagte Brinkhaus.

Zugleich räumte er Fehler im deutschen Einigungsprozess ein. Der „große Fehler der Wiedervereinigung“ sei es gewesen, dass man damals viel über Geld, aber nicht über die Brüche in den Biografien der Menschen in Ostdeutschland gesprochen habe, die „sich komplett neu erfinden mussten“. Brinkhaus appellierte an die Menschen in Deutschland, die Verantwortung für die Freiheit anzunehmen, die sich aus der friedlichen Revolution ergebe. Diese Verantwortung könne nicht an autoritäre Parteien und „starke Männer“ abgetreten werden. Dies sei der „größte Verrat“ an den Frauen und Männern von 1989.

AfD:  Mauer war ein „antideutscher Trennwall“

Für lautstarke Empörung aus den Reihen aller anderen Fraktionen sorgte die Rede des AfD-Abgeordneten Timo Chrupalla. Zu Zeiten des Kalten Krieges sei die Mauer das Symbol für die „Fremdherrschaft zweier Großmächte“ über Deutschland gewesen, die die Deutschen für ihre Zwecke eingespannt hätten.

Heute werde Deutschland wieder von einem „antideutschen Trennwall“ geteilt. Maßgeblich verantwortlich dafür sei Bundeskanzlerin Angela Merkel, erklärte er. Er verstehe nicht, wie Merkel so wenig Mitgefühl und Liebe für das von ihr regierte Volk empfinden könne. Er wünsche sich ein geeintes deutsches Volk, das zu seinen Werten stehe, sagte Chrupalla.

SPD: Die Mauer wurde von innen eingedrückt

Die SPD-Abgeordnete Katrin Budde wies den Begriff „Wende“ für Ereignisse in der DDR im Jahr 1989 zurück. Dieser Begriff sei vom DDR-Staatsratsvorsitzenden Egon Krenz geprägt worden. Leider habe der Begriff „Wende“ die friedliche Revolution im Sprachgebrauch verdrängt. „Wer diese Parole ausgibt, der steht nicht in der Tradition der friedlichen Revolution, der steht in der Tradition von Egon Krenz“, sagte Budde. Sie spielte damit auf den AfD-Wahlkampfslogan „Vollendet die Wende“ bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg an.

Die Mauer sei 1989 nicht „gefallen“, sie sei von innen, von den Menschen in der DDR, eingedrückt worden. Erste Risse habe sie aber bereits erhalten, als sich die sogenannten „sozialistischen Brudervölker“ nicht länger mehr zu Handlangern der Sowjetunion machen lassen wollten. Budde kündigte an, dass sie heute im Gegensatz zu 1989 den Staat verteidigen werde, weil er ein Demokratie sei.

FDP: Es war eine Revolution, keine Wende 

Auch die FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg wandte sich gegen den Begriff „Wende“. Dieser sollte nicht benutzt werden, weil er den Mut der vielen Menschen in der DDR, die gegen das SED-Regime demonstrierten, ignoriere: „Es war eine Revolution.“ Der Kampf um die Freiheit habe schließlich zur deutschen Einheit geführt.

Teuteberg erinnerte daran, dass es nach der Einheit nicht zu einer „Siegerjustiz“ des Westens im Osten gekommen sei. Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen Roland Jahn habe Recht, wenn er sage, dass durch das Ende der DDR auch die „Peiniger“ befreit worden seien. Diese seien nur für Taten belangt worden, die auch nach dem geltenden DDR-Recht Unrecht gewesen seien. Teuteberg rief dazu auf, mehr über die DDR und die Erfahrungen der Menschen in Ostdeutschland zu sprechen. Allerdings dürfe dies nicht zu Relativierungen führe. Eine Diktatur sei eben eine Diktatur, sagte die FDP-Abgeordnete.

Linke: Löhne im Osten an Westniveau anpassen

Dr. Gregor Gysi (Die Linke) wies den von Brinkhaus benutzten Begriff „Unrechtsstaat“ zurück. Es habe in der DDR zwar sehr wohl staatliches Unrecht gegeben, aber der Begriff „Unrechtsstaat“ sei in den 1960er-Jahren vom damaligen hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer für das nationalsozialistische Deutschland geprägt worden und könne nicht auf die DDR übertragen werden. Gysi mahnte, die Lebensleistung der Menschen in der DDR und in den vergangenen 30 Jahren in Ostdeutschland müsse endlich angemessen gewürdigt werden. Dazu gehörte auch die Anpassung der Löhne im Osten an das Westniveau.

Zudem müssten Ostdeutsche aber auch entsprechend ihres Anteils an der Bevölkerung in Führungspositionen staatlicher Behörden vertreten sein. Ihr Anteil an der Bevölkerung betrage 17 Prozent, ihr Anteil an den Führungspositionen liege jedoch nur bei knapp über einem Prozent. Gysi kritisierte zugleich scharf die AfD: „Sie haben nichts mit der friedlichen Revolution zu tun.“ Die Menschen in der DDR seien nicht für Hass, Rassismus und Nationalismus auf die Straße gegangen, sondern um die Mauer zu beseitigen. Die AfD aber wolle neue Mauern errichten.

Grüne: Angst kann nicht Leitidee von Politik sein

Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, erklärte, sie habe während ihrer Teilnahme an der friedlichen Revolution gelernt, sich nicht von Angst leiten zu lassen: „Angst kann niemals die Leitidee von Politik sein.“ Deshalb dürfe man auch nicht den „Rattenfängern“ mit den vermeintlich einfachen Antworten hinterherrennen. Die 1989 errungene Freiheit sei auch mit Zumutungen verbunden gewesen. Und die Bürger im Osten hätten in den vergangenen 30 Jahren viele dieser Zumutungen erlebt.

Diese Erfahrungen sollten für die Zukunft genutzt werden, sagte Göring-Eckhardt. Zu den Zumutungen der Freiheit gehöre es auch, die Meinungen anderer zu ertragen – auch die der AfD. Allerdings bedeute Meinungsfreiheit eben nicht die Abwesenheit von Widerspruch. Und deshalb müsse es die AfD eben auch ertragen, dass man ihren Hassreden entgegentritt: „Die Demokratie ist stärker als Sie“, rief sie in die Reihen der AfD. (aw/08.11.2019)

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