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Anita Schäfer: Äthiopien befindet sich auf einem guten Weg

Gruppenfoto afrikanischer und deutscher Frauen und Männer

Gesprächsrunde äthiopischer und deutscher Abgeordneter im Hotel Adlon in Berlin am 5. November 2019: von links Hermann-Josef Tebroke (CDU/CSU), Lemem Hagdu Yifter (äthiopisches Parlament), Zewdu Kebede Tesema (äthiopisches Parlament), Tagesse Chaffo Dullo (Sprecher des äthiopischen Parlaments), Anita Schäfer (CDU/CSU, Vorsitzende der Parlamentariergruppe Östliches Afrika), Eva-Maria Schreiber (Die Linke), Sabine Zimmermann (Die Linke), Mesrak Mokonnen Yetneberk (Generalsekretärin des äthiopischen Parlaments), Chala Lemi Argene (äthiopische Staatsministerin), Estifanos Alemayehu Chewaka (Chef des Protokolls, Äthiopien) (Parlamentariergruppe Östliches Afrika)

Die Entwicklungszusammenarbeit, regionale sicherheitspolitische Fragen in Ostafrika und der Parlamentarismus und Föderalismus in Deutschland waren die wichtigsten Gesprächsthemen zwischen deutschen Abgeordneten und einer Delegation äthiopischer Parlamentarier, die vom 4. bis 8. November 2019 auf Einladung der Parlamentariergruppe Östliches Afrika den Deutschen Bundestag besuchte, um die bilateralen parlamentarischen Beziehungen zwischen beiden Ländern zu pflegen.

„Große politische und wirtschaftliche Fortschritte“

„Äthiopien hat in den letzten Jahren große politische und wirtschaftliche Fortschritte gemacht“, sagte Anita Schäfer (CDU/CSU), Vorsitzende der Parlamentariergruppe Östliches Afrika, nach dem Besuch. „Wir wollten uns mit der Einladung von Abgeordneten der dortigen Freundschaftsgruppe einen aktuellen Eindruck von der Situation in dem Land verschaffen. Dies besonders vor dem Hintergrund des Friedensabkommens zwischen Äthiopien und Eritrea, welches wir sehr begrüßen.“ Gleichzeitig habe man den Parlamentariern aus Äthiopien Gelegenheit gegeben, sich über das politische System in Deutschland zu informieren. Eine deutsche Delegation hatte Äthiopien 2016 besucht.

Eine blonde weiße Frau steht neben vier afrikanischen Männern und zwei afrikanischen Frauen.

Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (rechts) mit den Abgeordneten des Volksrepräsentantenhauses der Demokratischen Bundesrepublik Äthiopien unter Leitung von Tagesse Chaffo Dullo (Zweiter von rechts) im Reichstagsgebäude (DBT/Melde)

Im Bundestag trafen die Äthiopier Abgeordnete der Parlamentariergruppe Östliches Afrika sowie die Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses und des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Sie wurden außerdem von der Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages Claudia Roth empfangen.

Grenzkonflikt mit Eritrea beendet

Auf dem Programm für die Afrikaner standen darüber hinaus ein Besuch des Bundesrates und des Abgeordnetenhauses von Berlin, Gespräche im Auswärtigen Amt, im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und im Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie mit Durchführungsorganisationen der Entwicklungszusammenarbeit und kulturellen Mittlerorganisationen wie der GIZ, der KfW-Bankengruppe und dem Goethe-Institut.

Grund für die Einladung der äthiopischen Delegation durch die Parlamentariergruppe Östliches Afrika war unter anderem der Friedensschluss zwischen Äthiopien und Eritrea. Mit dem Abkommen vom 9. Juli 2018 fand der zwanzig Jahre währende Grenzkonflikt zwischen den beiden Staaten ein Ende. Dem äthiopischen Premierminister Abiy Ahmed wurde dieses Jahr in Folge seiner Friedens- und Reformpolitik der Friedensnobelpreis verliehen.

Respekt für die Friedensleistung 

Die Vorsitzende der Parlamentariergruppe, Anita Schäfer, erklärte: „Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und ich haben zu Beginn dieses Jahres bereits Äthiopien gemeinsam besucht, um unseren Respekt für die Friedensleistung auszudrücken. Ebenso wollte auch die Parlamentariergruppe stellvertretend für den Deutschen Bundestag mit der Einladung einer äthiopischen Delegation das Abkommen und die Entwicklung im Land würdigen und debattieren.“

„Das Abkommen ist ein wichtiger Meilenstein für die Region und Afrika insgesamt. Wir hoffen sehr, dass die positiven Entwicklungen in Äthiopien ein Beispiel für andere Staaten, allen voran Eritrea, sein werden. Als nächste große Baustelle sehe ich die Befriedung der Spannungen zwischen den unterschiedlichen Ethnien innerhalb Äthiopiens an – eine Herausforderung, vor der viele afrikanische Länder stehen“, so Schäfer.

Werben um ausländische Investoren

Es wurden aber nicht nur sicherheitspolitische Fragen diskutiert. So sei es das erklärte Ziel beider Seiten, Äthiopiens wie Deutschlands, die bilateralen wirtschaftlichen Beziehungen, vor allem im Bereich direkter unternehmerischer Investitionen zu intensivieren, sagte Schäfer. Vor allem Äthiopien werbe um ausländische Investoren und habe dies auch beim jüngsten Besuch in Berlin getan. Dies sei im beiderseitigen Interesse, um den Beziehungen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit zunehmend privatwirtschaftlich getragene unternehmerische Beziehungen zur Seite zu stellen.

Zusätzlich zu den deutschen Firmen wie Volkswagen oder Siemens, die bereits Niederlassungen und Produktionsstätten in Äthiopien haben, wollten weitere Unternehmen Niederlassungen in dem wirtschaftsgeografisch interessant gelegenen Land ins Auge fassen, berichtet Schäfer.

Schwierigkeiten bei Investitionsvorhaben

Trotz vieler Verbesserungen passten allerdings Nachfrage und Angebot in den Wirtschaftsbeziehungen noch nicht optimal zusammen. Häufig berichteten Unternehmer über ihre Schwierigkeiten bei Investitionsvorhaben in Äthiopien. Dabei gehe es, wie hierzulande auch, zumeist um hohe und zeitraubende bürokratische Hürden.

Zu den Erfolgen der Äthiopier bei den Bemühungen, mehr Unternehmen ins Land zu holen, zähle zweifelsohne der Aufbau mehrerer sogenannter Industriezentren. Dort erledigt eine einzige Behörde sämtliche Formalitäten, die für eine wirtschaftliche Ansiedlung nötig sind. Diese Erfahrungen müsse man nun auswerten und die positiven Aspekte im ganzen Land anwenden.

Deutsche Seite legt Wert auf Nachhaltigkeit

Bei den Gesprächen mit der Delegation thematisierte die CDU-Abgeordnete Schäfer zudem die Bedeutung der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit mit den berufsschulischen Einrichtungen in Äthiopien. Bei ihrem Besuch vor Ort zu Beginn des Jahres hatte sie sich einen Eindruck von der wirksamen Arbeit der Berufsschulen in Äthiopien gemacht. Bildung und Berufsbildung seien der Generalschlüssel zum wirtschaftlichen Erfolg.

Schäfer unterstrich, wie umfassend die Beziehungen zu dem ostafrikanischen Land sind. Diese ruhten auf den Wirtschaftsbeziehungen und den offiziellen politischen Kontakten auf Regierungs- und parlamentarischer Ebene ebenso wie auf einem intensiven kulturellen Austausch und Projekten der Entwicklungszusammenarbeit. Bei allen Themen und Vorhaben lege man von deutscher Seite großen Wert auf die Nachhaltigkeit aller Entscheidungen und Maßnahmen, sei es bei wirtschaftlichen Standortüberlegungen, sicherheitspolitischen Fragen oder Entwicklungsprojekten. So müssten Infrastrukturvorhaben, die mit internationaler Unterstützung gebaut würden, auch Arbeitskräfte des Landes einbeziehen, um so einen langfristigen Mehrwert für die Menschen vor Ort zu schaffen.

Eine Frage der Stabilität

Außerdem spiele das Thema Migration für Äthiopien eine wichtige Rolle, werde doch das Land jährlich von Tausenden von Menschen aus den Nachbarländern aufgesucht, die sich beispielsweise nach den Dürreperioden auf den Weg machen – entweder, um eine benachbarte Region aufzusuchen, der es weniger schlimm ergangen ist, oder mit ferneren Zielen. Dies sei über die humanitäre Dimension hinaus eine Frage der Stabilität für die gesamte Region und eine Aufgabe für die internationale Gemeinschaft. Hier seien Deutschland wie auch andere Länder im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit bereits tätig, aber es brauche einen langen Atem und eine breite Palette an Instrumenten, um eine Verbesserung der Lage zu erreichen, so die Afrika-Kennerin Schäfer.

Für politische Spannungen in der Region sorgt seit einigen Jahren auch das Bauprojekt der Grand-Ethiopian-Renaissance-Talsperre, mit der Äthiopien den Flusslauf des oberen Blauen Nils zur Elektrizitätsgewinnung aufstauen will. Vom Wasser des Blauen Nils profitieren seit jeher auch der Sudan und Ägypten. Vor allem Kairo fürchtet nun, dass Äthiopien künftig nur noch eine geringere Menge durchlassen könnte.

Misstrauen und Furcht

Momentan herrsche eine Atmosphäre des Misstrauens und der Furcht, Nachteile zu erleiden, bei den Anrainern des Flusses. Um zu einer umfassenden Lösung im Einzugsbereich des Flusssystems zu kommen, war bereits 1999 die Nile Basin Initiative ins Leben gerufen worden.

Äthiopische Verantwortliche beteuerten immer wieder, die Talsperre nur zur Stromerzeugung nutzen und kein Wasser entnehmen zu wollen. 70 Prozent der Einwohner Äthiopiens, vor allem auf dem Land, sind noch ohne Stromversorgung. Diesen Zustand zu überwinden, ist nicht nur eine Frage des Netzausbaus, sondern auch der Energiegewinnung.

Gesprächsrunde mit Botschaftern

Allerdings könnte das Land, das immer wieder unter extremer Dürre leidet, einen Teil des Wassers auch gut zur Bewässerung landwirtschaftlicher Flächen gebrauchen. Man müsse, je weiter der Bau des Staudamms nun gedeihe, umso intensiver daran arbeiten, dass es zu einer friedlichen Lösung komme, von der alle Flussanrainer und die Menschen im Einzugsgebiet des Blauen Nils profitieren, fordert Schäfer.

Am Ende werde es vermutlich darum gehen, wie schnell die Äthiopier den Stausee füllen dürfen sowie, dass möglichst annähernd so viel Wasser wie bisher durchgelassen wird. Gegebenenfalls müsse die internationale Staatengemeinschaft vermitteln. Aus diesem Grund hatte die Parlamentariergruppe Östliches Afrika mit den Botschaftern der Anrainerstaaten Ägypten, Sudan und Äthiopien bereits eine gemeinsame Gesprächsrunde veranstaltet.

Seit 20 Jahren eine Demokratie

Neben den wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Fragen sei es bei dem Treffen auch um innenpolitische Aspekte gegangen, berichtet die Vorsitzende der Parlamentariergruppe. So hätten sich die Deutschen erkundigt, wie Äthiopien seine inneren, ethnischen Konflikte in den Griff bekomme und welche Fortschritte es bei der politischen Liberalisierung des Landes gebe.

Der Ansatz des vorigen Ministerpräsidenten Hailemariam Desalegn Bosche, die Opposition zu entkriminalisieren, sei ein entscheidender Schritt auf dem Weg hin zur weiteren Demokratisierung des Landes gewesen, das seit 20 Jahren eine Demokratie ist und in dem 2020 die nächsten freien Wahlen stattfinden sollen, sagt Schäfer.

39 Prozent weibliche Abgeordnete

Momentan erscheine das Land stabil, das Parlament in Addis Abeba, in dem etwa 39 Prozent weibliche Abgeordnete sitzen (Deutscher Bundestag: 31 Prozent), befasse sich mit einer Wahlrechtsreform als Teil einer umfassenden Verfassungsreform und bereite die Wahlen im kommenden Jahr vor. Neben den Themen Rechtsstaatlichkeit und demokratische Regierungsführung hätten die äthiopischen Kolleginnen und Kollegen auch großes Interesse am deutschen Wahlrecht, am Parlamentarismus sowie an den deutschen föderalen Strukturen gezeigt, um Anregungen für ihren eigenen, ebenfalls föderal aufgebauten und außerdem aus verschiedenen Ethnien zusammengesetzten Staat mitzunehmen.

„Insgesamt befindet sich Äthiopien auf einem guten Weg“, zeigt sich Schäfer, die Afrika seit 40 Jahren kennt, optimistisch. Vielleicht gelinge dem Land am Horn von Afrika ja eine Entwicklung wie sie Kenia innerhalb der vergangenen 20 Jahre geschafft hat. Das Beispiel Kenias zeige, was gehe: „Entwicklung ist möglich.“ (ll/18.11.2019)

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