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Alexander Hoffmann: Ehren­amt­lichen werden Steine in den Weg ge­legt

Ein Mann mittleren Alters mit Glatze sitzt hinter einem Mikrofon.

Alexander Hoffmann (CDU/CSU), Vorsitzender des Unterausschusses Bürgerschaftliches Engagement (© DBT/Melde)

Mehr Wertschätzung für die Millionen ehrenamtlich Tätigen und bürgerschaftlich Engagierten in Deutschland fordert Alexander Hoffmann. Der CSU-Bundestagsabgeordnete aus dem Wahlkreis Main-Spessart beklagt im Interview, dass dem Ehrenamt heute mehr als in der Vergangenheit Steine in den Weg gelegt würden. Übergriffe auf Ehrenamtliche seien an der Tagesordnung, sagt der Vorsitzende des Unterausschusses Bürgerschaftliches Engagement des Familienausschusses aus Anlass des internationalen Tages des Ehrenamtes der Vereinten Nationen, der jährlich am 5. Dezember begangen wird. Hoffmann plädiert dafür, es Vereinen im Steuerrecht so leicht wie möglich zu machen und „keine komplizierten Fragen“ aufzuwerfen, die ein „fatales Signal“ an alle in Traditionsvereinen Engagierten senden. Das Interview im Wortlaut:


Herr Hoffmann, erfährt ehrenamtliches Engagement in Deutschland die Wertschätzung und Unterstützung, die es braucht?

Seit Jahrzehnten läuft in Deutschland unendlich vieles so rund, weil dazu Millionen Bürgerinnen und Bürger tagein, tagaus durch ihr freiwilliges und unentgeltliches Tun beitragen. Davon haben wir alle was. Der Tag des Ehrenamts ist eine Gelegenheit daran zu erinnern. An ehrenamtliches Engagement, das in so vielen gesellschaftlichen Angeboten und Leistungen drinsteckt, haben wir uns gewöhnt. Ich meine, die Arbeit der Ehrenamtlichen wird heutzutage vielfach als zu selbstverständlich angesehen. Es fehlt an der nötigen Wertschätzung, die dem Engagement der Ehrenamtlichen eigentlich gebührt. Ohne die zahlreichen ehrenamtlichen Helfer läuft in vielen Bereichen nichts mehr. Nehmen Sie die Freiwilligen Feuerwehren, die die Berufsfeuerwehren überall im Land unterstützen. Für ihren Einsatz, den die Freiwilligen genauso engagiert tun wie die hauptamtlich Beschäftigten, erfahren sie leider nicht immer die Anerkennung, die ihnen gebührt. Wenn aber mal Stunden oder Dienste ausfallen, ist das Klagen groß. Es ist wie mit dem Fahrradsattel – erst wenn er weggenommen wird, tut es weh.

Wo hakt es noch?

Dem Ehrenamt werden heute mehr als in der Vergangenheit Steine in den Weg gelegt. Freiwillige werden sogar ganz konkret an ihrer Arbeit gehindert. Heute werden Feuerwehrleute beschimpft, wenn sie nicht schnell genug vor Ort sind. Umgekehrt werden sie bei der Ausübung ihrer Arbeit am Unglücksort beleidigt und angegriffen. Übergriffe auf die Arbeit von Ehrenamtlichen sind an der Tagesordnung. Es war leider nötig, dass der Gesetzgeber gegen solche immer weiter um sich greifenden Behinderungen einen neuen Straftatbestand schaffen musste. Das lässt Rückschlüsse auf den Zustand unserer Gesellschaft zu, die immer weiter zu verrohen droht.

Auch aus der Politik treffen manchmal unbeabsichtigt Querschläger den Bereich des ehrenamtlichen Engagements

Wer bereit ist, ein Ehrenamt auszuüben, verdient eine hohe Wertschätzung. Dieses Bewusstsein ist in der Politik vielleicht stärker verankert als in der Gesellschaft insgesamt. Wir Politiker und Bundestagsabgeordneten wissen, was unser Gemeinwesen den vielen Ehrenamtlichen zu verdanken hat. Deren Arbeit, deren Spirit, ist der Kitt unserer Gesellschaft. In der Politik lauert aber dieselbe Gefahr wie in der Gesamtgesellschaft: Niemand macht sich genug Gedanken, was passiert, wenn ein gut eingefahrener Zustand, eine geräuschlos funktionierende Maschine, mal nicht mehr da ist. Es passiert in den zahlreichen Politikfeldern, die wir täglich behandeln, immer wieder, dass sich in Gesetzesvorlagen quasi über die Hintertür Erschwernisse für Ehrenamt und Vereinswesen einschleichen.

Zum Beispiel?

Beispielsweise, wenn es um neue Nachweispflichten und Auskunftsrechte geht oder Regeln, bei denen der nichtkommerzielle Anwendungsbereich nicht mitgedacht wurde. So gab es in den letzten Monaten viel Ärger um neue steuerrechtliche Bestimmungen, das polizeiliche Führungszeugnis und die Datenschutzgrundverordnung. Leider geben wir damit dem Ehrenamt oft Steine statt das nötige Brot. Solche gesetzgeberischen Unfälle müssen wir dann schnell wieder korrigieren. Darauf hat der Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement ein Auge. Da heben wir dann unseren Finger und sagen Stopp.

Was bewegt die Ehrenamtlichen zurzeit am meisten?

Momentan ächzen Vereine und Ehrenamtliche am meisten unter überbordender Bürokratie und der Frage: Wie gehe ich als Vereinsvorsitzender oder Verantwortung tragendes Mitglied mit neuen Regelungen um? Nehmen Sie die in der Datenschutzgrundverordnung der EU neu formulierten Anforderungen. Da geht viel von dem privaten und unentgeltlich zur Verfügung gestellten Zeitbudget drauf, um die neuen Vorschriften zu verstehen und umzusetzen – Zeit, die für die eigentliche, inhaltliche Arbeit im Verein fehlt. Wenn dann am Ende weiterhin rechtliche Unsicherheit besteht, ist der Frust groß. Hinzu kommt die Furcht, die mit Haftungsfragen einhergeht. Das lähmt.

Nimmt die Politik das wahr?

Das nehmen wir im Unterausschuss wahr. Darauf zu reagieren, ist unsere Aufgabe. Sachverständige aus allen Bereichen des Verbands- und Vereinswesens berichten uns dort regelmäßig. Wir hören in die Vereinsstrukturen in den Ländern und Kommunen hinein. Und wissen darüber hinaus aus eigener Erfahrung, wovon wir reden. Die Mitglieder des Unterausschusses sind selbst seit langer Zeit in Vereinen aktiv.

Oft prallen auch allgemeine steuerrechtliche Regelungen mit dem Gemeinützigkeitsrecht zusammen …

Leider wahr – denken Sie nur an die Änderungen im Umsatzsteuerrecht, von denen eine den Bereich der Freiwilligen besonders hart traf. Fortbildungsmaßnahmen, wie sie von Vereinen angeboten werden und in Vereinen stattfinden, sollten plötzlich wie entsprechende unternehmerische Dienstleistungen mehrwertsteuerpflichtig sein. Ein finanzieller und nicht zu stemmender Schlag für die Vereine. Glücklicherweise konnten wir diesen Passus im Gesetzestext dann durch hartnäckiges Insistieren wieder abbiegen, und der zuständige Finanzausschuss hat eine entsprechende Änderung vorgenommen.

Der altehrwürdigen Institution des Männergesangvereins drohte jetzt die Aberkennung als gemeinnützig. Ist Rettung möglich?

Dass ein Männergesangverein seine Anerkennung als gemeinnützig verlieren soll, wie kürzlich vom Finanzminister Olaf Scholz vorgeschlagen, nur weil dort keine Frauen mitmachen dürfen, ist natürlich Unfug. Einen geschlechterneutralen Männergesangverein gibt es nicht, ebenso wenig stehen die Landfrauen Männern offen. Es gibt gewachsene Traditionen die fortgeführt werden. Das gehört zu einer lebendigen, breit aufgestellten, sich ergänzenden Vereinskultur. Mit einem entsprechend breiten Fokus sollte man dabei auch die steuerlichen Aspekte betrachten.

Muss das Gemeinnützigkeitsrecht geändert werden?

Selbstverständlich müssen wir das Gemeinnützigkeitsrecht anpassen, aber aus zahlreichen anderen Gründen. Mittlerweile haben sich Vereine für neue Betätigungsfelder geöffnet. Dem muss der Gesetzgeber Rechnung tragen. Aber dabei sollten wir darauf achten, dass wir es Vereinen im Bereich des Steuerrechts so leicht wie möglich machen und keine komplizierten Fragen aufwerfen, die ein fatales Signal an alle in Traditionsvereinen Engagierten senden. Genauso wenig darf die Gemeinnützigkeit des Sportvereins infrage gestellt werden, wenn er einmal im Jahr ein Sportfest veranstaltet, bei dem dann Einnahmen erzielt werden.

Der Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend kümmert sich um die Belange von Ehrenamtlichen und Vereinen und setzt sich dafür ein, die Rahmenbedingungen für deren Arbeit zu verbessern. Mit welchen Themen beschäftigt sich das Gremium momentan?

Gerade in unserer jüngsten öffentlichen Sitzung im November haben wir die Hindernisse, die dem Vereinswesen durch die Bürokratisierung entstehen, auf die Tagesordnung gesetzt. Die Ergebnisse aus diesem breit angelegten Brainstorming mit mehreren Sachverständigen werden wir in den kommenden Sitzungen zu jeweils einzelnen Themenblöcken weiter vertiefen. Dabei nimmt natürlich die Datenschutzgrundverordnung breiten Raum ein…

… die die EU als großen Erfolg preist …

… genau – die allerdings lediglich auch bisher gültige Selbstverständlichkeiten in eine neue rechtliche Form gegossen hat. Dazu werden wir zu einem der kommenden Sitzungstermine noch eine Anhörperson aus dem Justizkommissariat der EU einladen, mit der wir die Anwendbarkeit und Auswirkungen auf die Vereinsarbeit besprechen wollen.

Wo liegen die Probleme?

Das Problem ist, dass dieser Rechtsbereich jetzt eine Struktur bekommen hat, die über bestimmte Sanktionsmechanismen verfügt, beispielsweise wenn es zu Haftungsfragen kommt, was bei den Verantwortlichen zu großer Unsicherheit bei der Handhabung geführt hat. Stellen Sie sich den örtlichen Karnevalsverein vor, der eine Sitzung abhalten will. Die Verantwortlichen fragen sich: Wie stelle ich sicher, dass die Teilnehmer damit einverstanden sind, bei der Sitzung fotografiert zu werden? Brüssel vertritt dabei den Standpunkt: Wenn jemand sich in eine Prunksitzung in der ersten Reihe niederlässt, muss er davon ausgehen, dass er auf Fotos erscheint und hat somit automatisch sein Einverständnis gegeben. Der Vereinsvorsitz aber sucht nach absoluter Rechtssicherheit, nach einem rechtsverbindlichen Text, einer Handlungsanleitung, um Anzeigen und Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden. Kann man wie bisher verfahren? Sind Hinweisschilder aufzustellen? Zunächst sieht sich die Vereinsführung der komplexen Rechtsmaterie gegenüber. Im Zweifel unterlässt man es dann lieber erst mal, Bilder für die Webseite zu machen.

Beim Umgang mit Daten und Bildern scheint die Unsicherheit besonders groß zu sein.

Außerdem misst die neue Verordnung Groß und Klein mit demselben Maßstab. Der TV 1860 Zellingen wird genauso behandelt wie Facebook. So ist im kleinen Maßstab, im Bagatellbereich, viel Wirbel um Sachverhalte entstanden, deren Regulierung bei Unternehmen durchaus Sinn macht. Auf Vereinsebene fragt man sich jetzt: Darf ich mir noch eine Liste mit lokalen Unternehmen anlegen und denen einen Spendenbrief schreiben? Hier müssen wir einen deutlichen, rechtssicheren Schnitt zum kommerziellen Bereich machen, wo die Daten der Geschäftszweck sind, während im Verein solche Datensammlungen nur Mittel zum Zweck sind. Wir wollen ausschließen, dass die Datenschutzgrundverordnung an mancher Stelle katholischer umgesetzt wird als sie eigentlich gedacht ist.

Was schlagen Sie vor?

Wir als Unterausschuss plädieren dafür, einen allgemeinverbindlichen und verständlichen Leitfaden für die Ehrenamtlichen und Vereine zu schaffen. Der würde Vereinsführungen vorgeben, wann welche Maßnahmen im Verein überhaupt nötig sind und damit Handlungs- und Rechtssicherheit schaffen. Hätten wir einen solchen Leitfaden bereits zum Start der neuen Datenschutzgesetzgebung gehabt, wäre den ehrenamtlich Tätigen eine Menge an Unannehmlichkeiten erspart geblieben. Künftig werden wir für uns reklamieren, noch frühzeitiger und umfassender in neue Rechtssetzungsvorhaben einbezogen zu werden, die Auswirkungen auf den Bereich des Ehrenamts haben. Wir werden vorschlagen, dass der zuständige Familienausschuss das Thema eines Leitfadens aufgreift.

Ein paar Worte zur geplanten Engagement-Stiftung des Bundes. Nach langem Vorlauf liegt jetzt der Gesetzentwurf der Bundesregierung auf dem Tisch. Eine neue Institution soll eingerichtet werden, um das Umfeld für bürgerschaftliches Engagement weiter zu verbessern. Welche Hoffnung verbinden Sie mit der neuen Einrichtung und wo sehen Sie Schwächen?

Die Regierungsparteien haben im Koalitionsvertrag vereinbart, das Ehrenamt zu stärken. Etwa 30 Millionen Euro pro Jahr sind dafür im neuen Bundeshaushalt vorgesehen. Neue Bundesmittel effektiv und effizient zu verteilen, sodass am Ende das Geld da ankommt, wo es gebraucht wird, und dabei die relevanten gesellschaftlichen und politischen Akteure zu beteiligen, ist eine herausfordernde Aufgabe, die man auf unterschiedliche Weise lösen kann. Entweder durch eine Bundesstiftung oder dezentral über Servicestellen, die es in einigen Bundesländern in unterschiedlicher Form bereits gibt.

Der Gesetzentwurf zur Errichtung einer Stiftung wird nun in Kürze im zuständigen Familienausschuss beraten.

Wir Parlamentarier im Unterausschuss für bürgerschaftliches Engagement werden die Gründung der neuen Einrichtung mit kritischem Wohlwollen begleiten. Wir werden genau darauf schauen, wie die neuen Mittel verwendet werden. Der Bund kann damit in Gegenden, in denen es noch keine entsprechenden Verbandsstrukturen gibt, sinnvolle Unterstützung leisten. Und auch in Regionen, wo das Ehrenamt seit Jahrzehnten in der Breite gelebt wird und über gut ausgebaute institutionelle Voraussetzungen verfügt, macht eine solche Anlaufstelle mit zusätzlichem Know-how und finanziellen Mitteln Sinn. Was nicht passieren darf, ist, dass zu viel von dem Geld zum Aufbau neuer institutioneller Strukturen verwendet wird. Oder dass wir damit Doppelungen finanzieren. Beim Aufbau der Stiftung muss sichergestellt werden, dass die Strukturen so schlank wie möglich werden und dass möglichst viel von dem neuen Stiftungsetat in Form von Geld, Know-how und Service bei den Ehrenamtlichen in der Fläche ankommt, um deren Arbeit zu erleichtern. Dann wäre die Stiftung ein echter Gewinn. (ll/28.11.2019)