Parlament

Ratspräsident­schaft und Schen­gen: Kroa­tische Ab­geordnete im Bundes­tag

Vier Männer und zwei Frauen stehen nebeneinander vor einer gürnen Wand.

Kroatische Abgeordnete Domagoj Ivan Milošević (HDZ), Delegationsleiter Božo Ljubić (HDZ), Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau, Željka Josić (HDZ), Saša Đujić (SDP) und Joško Klisović (SDP) im Reichstagsgebäude (DBT/Melde)

Kroatien und Deutschland– die beiden Länder haben im kommenden Jahr nacheinander die Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union inne. Um die parlamentarischen Beziehungen zu pflegen und sich im Vorfeld der Ratspräsidentschaft auszutauschen, war vom 10. bis 12. Dezember 2019 auf Einladung der Parlamentariergruppe Nördliche Adria im Deutschen Bundestag eine Delegation kroatischer Parlamentsabgeordneter zu Gesprächen in Berlin.

Der bevorstehende Beitritt Kroatiens zum Schengen-Raum, Fragen zu Grenzsicherung und Migrationsbewegungen auf dem Balken sowie die Beitrittsperspektive der Ländern des westlichen Balkans gehörten zu den wichtigsten Themen, berichtet Oliver Luksic (FDP), Vorsitzender der Parlamentariergruppe Nördliche Adria. Die Abgeordneten aus Zagreb trafen im Bundestag Mitglieder der Parlamentariergruppe Nördliche Adria sowie der Fachausschüsse für Auswärtiges, Europa und Inneres und wurden von Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau empfangen.

Auf dem Besuchsprogramm standen außerdem Gespräche mit Vertretern der Bundesregierung, des Auswärtigen Amtes und des Ministeriums für Wirtschaft und Energie. Zudem lernten die Gäste aus Kroatien den „Organisationsstab EU-Ratspräsidentschaft“ der Bundesregierung kennen.

Schengen, Grenzschutz, Migration

Wichtigstes Thema sowohl für Kroatien als auch für die Europäische Union insgesamt ist der bevorstehende Beitritt des Balkanlandes zum Schengen-Raum, der den ungehinderten Verkehr von Personen ermöglicht. Nachdem die EU-Kommission kürzlich die Fortschritte Kroatiens bei der Grenzsicherung und der polizeilichen Zusammenarbeit gewürdigt und die Aufnahme des Landes empfohlen hatte, müssen nun noch die EU-Mitgliedstaaten der Aufnahme Kroatiens in den Schengen-Raum zustimmen.

Gegenstand des Gedankenaustauschs war zudem die Regulierung von Migrationsbewegungen auf dem Balken und die humanitäre Situation von Menschen auf der Flucht. 

Brexit und Klimaschutz überlagern Balkan-Themen

Zu den Herausforderungen beider Ratspräsidentschaften im kommenden Jahr gehöre nicht nur die Abstimmung im Rahmen des Troika-Formats, um gemeinsame Prioritäten und eine thematische Kontinuität herzustellen, gibt Luksic zu bedenken.

Für die Kroaten werde es besonders schwer, sich mit den eigenen Themenschwerpunkten, die die regionale Stabilität und Entwicklung auf dem Balkan betreffen, gegenüber den aktuellen Großthemen der EU wie Brexit und Klimaschutz Gehör zu verschaffen.  

„Brüssel muss Beitrittsversprechen halten“

„Beide Länder müssen auf jeden Fall den “gemeinsamen„ EU-Vorsitz 2020 dazu nutzen, die Beitrittsperspektive für die Länder des westlichen Balkans am Laufen und am Leben zu halten. Die EU muss ihr Beitrittsversprechen gegenüber diesen Ländern halten“, sage Luksic. Die für den gesamten Kontinent so wichtige Stabilität der Region, die man in einem Prozess der Assoziierung der dortigen Länder und deren schrittweise Integration in die EU erreichen wolle, dürfe man jetzt nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.

„Wir sind nicht glücklich über die harte Absage an die Länder des Westbalkans aus Frankreich.“ Man müsse jetzt aufpassen dass die Region nicht abgehängt wird und sich nicht von Europa abgehängt fühlt, betont der Abgeordnete aus dem Saarland. Abgesehen von der Frage, ob man zu den eigenen Werten und Zusagen stehe, stünden andere Großmächte wie China, Russland und die Türkei bereit, das Vakuum zu füllen, das eine sich abwendende EU hinterlassen würde. Junge Muslime drohten zudem vom saudi-arabischen Wahabbismus indoktriniert zu werden.

Gerieten die Balkan-Länder aber in Abhängigkeit von anderen Gebern und Interessen, habe Europa dort politisch nichts mehr zu sagen. Dem Balkan nicht zu helfen, sei gegen die deutschen Interessen, so der Vorsitzende der Parlamentariergruppe. Deutschland müsse zeigen, dass es sich diesen Ansatz ganz zu eigen gemacht habe und dass man es nicht hinnehmen werde, die Beitrittsperspektive in irgendeiner Form zu bremsen oder zurückzunehmen. Die Bundestagsabgeordneten hätten ihren Gästen aus Kroatien zugesichert, sich dafür auf allen Ebenen einzusetzen.

„Ausgewogenes Verhältnis von Sicherheit und Humanität schaffen“

Bei allen Schwierigkeiten, die wieder zunehmende Flüchtlingszahlen mit sich bringen, habe man die Kroaten dagegen gebeten, die humanitäre Lage in den Flüchtlingslagern in Bosnien zu verbessern, mehr Hilfe zu leisten und internationale Unterstützung zuzulassen. Man werde die Sache im Auge behalten und sich auch beteiligen. Aber: „Jetzt gilt es, die Not zu lindern. Die Zustände sind nicht hinnehmbar.“

Andererseits müsse man bedenken, dass auf Kroatien gerade im Zusammenhang mit dem Schengen-Raum und der Sicherung der gemeinsamen „EU-Außengrenze“ neue, verantwortungsvolle Aufgaben bei der Grenzsicherung zukämen. Man müsse ein ausgewogenes Verhältnis zwischen beiden Aufgaben herstellen: der Grenzsicherung, der Gefahrenabwehr einerseits und andererseits einer humanitären Behandlung der Flüchtlinge, die aus unterschiedlichsten Gründen und aus unterschiedlichsten Ländern kommen, um in Europa Schutz zu suchen, mahnte Luksic.

„Bosnien bei der Betreuung von Flüchtlingen helfen“

Großes Interesse hätten die Kroaten zudem daran bekundet, dass das Thema, wie man insbesondere Bosnien stabilisiert und weiter an die EU heranführt, nicht von der Brüsseler Agenda verschwindet. Da seien die Gäste aus Zagreb in Berlin auf offene Ohren gestoßen, sagte Luksic. Alle müssten Interesse daran haben, dass sich das Nachbarland mit der langen Grenze zu Kroatien und damit zur EU nicht weiter destabilisiert, so der Balkan-Kenner, und erinnerte daran, dass Bosnien momentan ohne Regierung sei.

Gleichzeitig kämen in dem Land immer mehr Flüchtlinge an. Steige deren Zahl weiter, werde dies das Land, das selber mit zahlreichen Problemen kämpft, überfordern und neue Probleme auslösen. Weder Europa, das so dringend Stabilität auf dem Balkan brauche, noch den Menschen, die hier Schutz suchen, wäre damit nach Ansicht Luksics geholfen.

„Bosnien nicht aus dem Blick verlieren“

Kroatien versuche zu Recht, politisch Einfluss auf seinen südlichen Nachbarn zu nehmen, um das Land zu stabilisieren. Das Thema dürfe man aufgrund der trügerischen Ruhe der vergangenen drei Jahre nicht aus dem Blick verlieren. Die Europäische Union und ihre Mitgliedsländer müssten jetzt genau hinschauen und aufpassen, damit nicht wie vor einigen Jahren binnen Kurzem Tausende Flüchtlinge ohne jegliche Hilfe dastünden. Vor allem dürfe es nicht so laufen, dass Flüchtlinge in großer Zahl in Bosnien-Herzegowina landen.

Sarajevo allein wäre mit dieser Aufgabe nach Einschätzung Luksics überfordert. Um zumindest eine Basis-Infrastruktur für Flüchtlinge aufrecht zu erhalten, sei das Land dringend auf internationale Hilfe, vor allem finanzielle Unterstützung, angewiesen. Und noch etwas ist Luksic wichtig: „Wir müssen auch das Thema der Verteilung von Flüchtlingen auf dem Balkan auf die Tagesordnung setzen.“

„Kroaten wollen mehr Investitionen“

Um ihr Land weiter zu entwickeln und ihre Volkswirtschaft breiter aufzustellen, hätten die Kroaten auf eine Vertiefung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit gedrungen und für mehr unternehmerische Investitionen deutscher Firmen in Kroatien, über den Tourismussektor hinaus, geworben. Beide Seiten seien sich auch der Problematik bewusst, die die enorme Zahl von ausgewanderten Kroaten mit sich bringe. Nach Angaben der Vereinten Nationen lebten mittlerweile mehr Kroaten im Ausland als in Kroatien selbst.

In Deutschland stellten Kroaten laut Statistischem Bundesamt mit fast 400.000 Personen die sechstgrößte Ausländergruppe. Unter dem Wegzug der meist jungen Menschen litten Gesellschaft und Wirtschaft in Kroatien ganz erheblich, so der FDP-Politiker Luksic. Man müsse daran arbeiten, dass es bei aller Rücksicht auf die Freizügigkeit und die individuelle Entscheidung des Einzelnen einen gewissen Know-how-Transfer und vielleicht auch Rückzug von Kroaten in die Heimat gebe.

Schrumpfende EU-Finanzmittel

Eine entscheidendes politisches Thema werde in den kommenden Jahren die Aufstellung des neuen mehrjährigen Finanzrahmens für die EU, abzüglich des fehlenden Beitrags der Briten, sein. Kroatien sei dabei wichtig, dass die Kohäsions- und Strukturmittel auf hohem Niveau bleiben.

Deutschland werde die Lücke in gewisser Weise, aber nicht in voller Höhe, kompensieren können. Wie hoch der deutsche Beitrag ausfallen solle, werde im Bundestag sicher zu längeren Debatten führen. Dabei werde man den Balkan nicht vergessen, versicherte Luksic. Allerdings: „Der Wind wird rauher für den Balkan“ – trotz der exzellenten bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Kroatien, so Luksic.

Balkan „zwischen Brexit und Green Deal

Während der Ratspräsidentschaften gehe es jetzt erst einmal darum, neben anderen Themen von Gewicht das Bewusstsein für die geopolitische Bedeutung der Länder des Westbalkans zu schärfen und die Region – „zwischen Brexit und Green Deal“ – auf der politischen Agenda der EU zu halten, unterstreicht Luksic. (ll/20.12.2019)

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