Geschichte

Volkskammer beschließt Wahl­gesetz für gesamt­deutsche Bundestagswahl

Ein alte Fotografie von vielen Menschen in einem großen, bestuhlten Saal

Das Plenum der freien Volkskammer. (DBT)

Der 3. Oktober 1990 ist den meisten Deutschen noch gut in Erinnerung. Es ist der Tag, der sich – ebenso wie der 9. November 1989 – ins kollektive Gedächtnis eingeprägt hat. Das Ereignis der Wiedervereinigung jährt sich in diesem Jahr zum 30. Mal. Aber bereits Anfang 1990 überschlugen sich die Ereignisse, denn der Prozess vom Mauerfall bis zur Deutschen Einheit dauerte nicht einmal elf Monate. Der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk sagt: „Ich glaube, zu diesem Zeitfenster gab es keine Alternative.“

Einigung über Wahlgesetz zur ersten gesamtdeutschen Wahl

In diesen wenigen Monaten fand am 18. März 1990 die erste freie Volkskammerwahl statt und der Einigungsvertrag wurde verhandelt. Am 23. August 1990 stimmte die Volkskammer dem Tag des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik Deutschland zu und die Parlamentarier einigten sich auf das Wahlgesetz für die erste gesamtdeutsche Bundestagswahl

Die ehemalige Bundestagsabgeordnete Maria Michalk, die der CDU/CSU-Fraktion bis 2017 angehörte, war 1990 Abgeordnete der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR. Sie erinnert sich an stundenlange und turbulente Diskussionen, die den Entscheidungen zum Wahlgesetz und zum Beitritt der DDR zur Bundesrepublik vorausgingen. 

„Die Volkskammer ist am 22. August 1990 zusammengetreten, um über das Wahlgesetz zu entscheiden. Überraschend war, dass am selben Tag sämtliche SPD-Minister zurückgetreten waren – und das war für die Atmosphäre, in der so schwerwiegende Entscheidungen getroffen werden sollten, nicht gerade optimal. Uns war allerdings klar: Die Verabschiedung des Wahlgesetzes für das gesamtdeutsche Parlament und die Festlegung des Wahltermins mussten eine Einheit bilden“.

Vor dem Beitritt

Auch der Bergbau-Ingenieur Hans-Peter Häfner (CDU), der damals ebenfalls der Volkskammer angehörte, erinnert sich an die historische Nacht vom 22. auf den 23. August 1990 in einem Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung vom 3. April 2020. In dieser Volkskammersitzung ging es neben dem Wahlgesetz zu gesamtdeutschen Wahlen auch um den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes.

„Die Abgeordneten der Volkskammer hatten vom 22. August 9 Uhr bis zum 23. August 3 Uhr nachts getagt und lange um den Termin zum Beitritt der DDR zum Bundesgebiet gerungen. Weder Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU), US-Präsident George Bush, noch Präsident Michail Gorbatschow und auch kein anderer Politiker der Welt, nur wir 400 Volkskammer-Abgeordneten konnten entscheiden, dass die DDR gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland beitreten wird“.

Mehrheit der Volkskammer stimmte für das Wahlgesetz 

Vor diesem historischen Beitritt stand die Zustimmung zu einer gesamtdeutschen Wahl, über die in dieser August-Nacht entschieden wurde. Mit großer Mehrheit stimmte die Volkskammer dem Wahlgesetz und dem Beitritt zu – die verfassungsgemäße Zwei-Drittel-Mehrheit wurde erreicht.

Was für die Bürger der BRD bei Wahlen galt, sollte nach der Deutschen Einheit auch für die Menschen aus Ostdeutschland beziehungsweise aus dem „Beitrittsgebiet“ gelten: Allgemeine, unmittelbare, freie, gleiche und geheime Wahlen, die die  Grundlage der demokratischen Ordnung in Deutschland sind. Die Wählerinnen und Wähler entscheiden mit ihrer Stimme, wer regiert und wer die Gesetze im Land macht.

Modifizierte Fünf-Prozent-Hürde für die erste Wahl

Im Wahlgesetz zur ersten gesamtdeutschen Wahl galt eine modifizierte Form der Fünf-Prozent-Hürde. Man einigte sich darauf, dass die Wahlgebiete Ost und West getrennt ausgezählt werden, sodass es ausreichte, in einem der beiden Gebiete die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen, um in den Bundestag einzuziehen. Von dieser Regelung profitierten Bündnis 90/Die Grünen sowie die damalige Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS). 

Die Wahlbeteiligung bei der ersten Wahl nach der Deutschen Einheit, am 2. Dezember 1990, betrug 77,8 Prozent. CDU/CSU und FDP bildeten die Regierung und Helmut Kohl wurde zum Bundeskanzler des wiedervereinigten Deutschland gewählt. (bsl/15.08.2020)

Marginalspalte