Parlament

Sicherheits­politik dominierte Ge­spräche in Lett­land und Li­tauen

Sechs Männer und zwei Frauen stehen nebeneinander in einem Raum vor zwei Fahnen.

In der Kanzlei des lettischen Präsidenten in Riga: von links Ständiger Vertreter (Chargé d'Affaires) Reinhard Wiemer (Deutsche Botschaft), Abgeordnete Prof. Dr. Harald Weyel (AfD), Reinhold Sendker (CDU/CSU), Delegationsleiter Alois Karl (CDU/CSU), Staatspräsident der Republik Lettland Egils Levits, Abgeordnete Claudia Müller (Bündnis 90/Die Grünen), René Röspel (SPD), Elina Grinhofa (Deutsche Botschaft). (© Foto: Ilmārs Znotiņš, Valsts prezidenta kanceleja // Photo: Ilmārs Znotiņš, Chancery of the President of Latvia)

Sicherheits- und verteidigungspolitische Fragen standen im Mittelpunkt des Arbeitsbesuchs einer Delegation von Bundestagsabgeordneten der Deutsch-Baltischen Parlamentariergruppe in den Parlamenten von Lettland und Litauen vom 16. bis 20. September 2019. Neben den Treffen mit den dortigen parlamentarischen Freundschaftsgruppen führte die Delegation Gespräche mit dem neu gewählten Staatspräsidenten von Lettland, Egils Levits, Mitgliedern der Regierungen beider Länder, Vertretern aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft und besuchte zwei Standorte der Nato.

Sicherheitspolitisch traumatisierte Länder

Die sicherheitspolitische Integrität ist das wichtigste politische Thema für die baltischen Staaten, die in der Geschichte so oft Spielball der Großmachtpolitik aus Ost und West waren. Sicherheitspolitische Fragen seien daher auch das dominierende Thema der Gespräche gewesen, berichtet Alois Karl (CDU/CSU), Vorsitzender der Deutsch-Baltischen Parlamentariergruppe.

Das erkläre sich aus der unmittelbaren Nachbarschaft zu Russland, durch dessen Politik sich Estland, Lettland und Litauen weiterhin latent in ihrer Existenz bedroht fühlten. Dafür brauchten die Balten nur einen Blick in ihre eigene Geschichte zu werfen, in der sie immer wieder unter den Übergriffen der zwei dominierenden Diktaturen Europas, Deutschlands und Russlands, und deren fatalen Allianzen zu leiden hatten – eine Politik, die vor 80 Jahren im Hitler-Stalin-Pakt gipfelte und sich dann fortsetzte unter der Herrschaft der Sowjetunion.

Von Estland bis Polen – Herrscher aus West und Ost griffen diese Länder immer wieder an, teilten sie unter sich auf, verschoben willkürlich die Grenzen, vertrieben deren Bevölkerungen. Auch die Gegenwart biete Beispiele militärischer Übergriffe, die die Nachbarn Russlands verunsicherten, denke man nur an Moskaus Vorgehen in Georgien oder der Ukraine, so der Außenpolitiker Karl.

„Mutigen Freiheitswillen würdigen, Beistand versichern“

„Unsere Reise in diesem Herbst, 30 Jahre nach dem Zusammenbruch des Kommunismus, dem Ende des Kalten Krieges und den Grenzöffnungen in Europa, war für uns Gelegenheit, gegenüber unseren Gastgebern in Lettland und Litauen den mutigen Freiheitswillen der Balten zu würdigen, der für diese Länder einhergeht mit dem Überlebenswillen in prekärer, gefährdeter Randlage des Kontinents, und mit dem diese Völker sich damals wie heute erfolgreich gegen Diktatur und Großmachtpolitik gestellt haben“, sagt Karl.

Nach den Erniedrigungen, die die Geschichte für die Völker des Baltikums in den vergangenen Jahrhunderten aufgrund ihrer schwierigen geopolitischen Lage bereit gehalten habe, sei der Beitritt Estlands, Lettlands und Litauens zur Europäischen Union und zur Nato vor 15 Jahren endlich ein Lichtblick in der Geschichte dieser Länder gewesen, der den Balten Hoffnung und neuen Handlungsspielraum gegeben habe. Der Westen sei nun in der Pflicht, sein Sicherheitsversprechen gegenüber den Balten durch glaubhaftes Engagement zu unterstreichen und die baltischen Länder seines Beistands für den Fall politischer wie militärischer Aggressionen zu versichern.

Fall der Berliner Mauer ohne Balten nicht möglich

Karl erinnert daran, wie die Menschen im Baltikum ihrem Freiheitswillen in Form des „Baltischen Weges“, einer 600 Kilometer langen Menschenkette von Nord nach Süd durch alle drei baltischen Länder am 23. August 1989 Ausdruck verliehen haben. Der Kampf der Balten für die Freiheit ebenso wie dieses symbolhafte Ereignis seien vergleichbar mit der Öffnung der Grenze zu Österreich durch die Außenminister Österreichs und Ungarns im Sommer 1989.

Der Freiheitswille der Balten – Esten, Letten, Litauer – habe auch die Montagsdemonstrationen der Deutschen in der ehemaligen DDR außerordentlich beflügelt und sei für viele andere Vorbild und Inspiration gewesen, in Ihrem Streben nach Freiheit nicht nachzulassen. „Ohne die beispielgebende Freiheitsbekundung der Balten wäre Fall der Berliner Mauer einige Wochen später so nicht möglich gewesen,“ so Karl.

„Nato ist Lebensversicherung der Balten“

Trotz der Mitgliedschaft in der Nato und der EU bleibe für die Balten aufgrund ihrer schlechten Erfahrungen in der Vergangenheit die Sorge um die eigene Sicherheit auch in der Gegenwart das Top-Thema, ja die Zukunftsfrage, so der Haushaltspolitiker Alois Karl, der auch Mitglied im Europaausschuss des Deutschen Bundestages ist. Mit Fachpolitikern des Parlaments und der Regierung sowie bei Besuchen von Nato-Einrichtungen in Lettland und Litauen tauschten sich die Delegierten des Bundestages darüber aus.

Heute bürge das nordatlantische Verteidigungsbündnis, wie im Nordatlantikvertrag vereinbart, für das sicherheitspolitische Überleben der Balten, so Karl. „Die Nato ist die Lebensversicherung der Balten“, sagt Karl, der auch Mitglied der Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ist. Dafür stünden nicht nur die vertraglichen Garantien und die Abschreckungswirkung des größten und ältesten Militärbündnisses der Welt, sondern auch die Truppen, die die Allianz in allen Ländern des Baltikums stationiert habe.

„Nato-Truppen im Baltikum mehr als Symbolik“

„Die Truppenpräsenz der Nato im Baltikum ist mehr als Symbolik“ und unterstreiche die gestärkte Rolle der Nato in der Region. Die Reaktions- und Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses und damit die Sicherheit der baltischen Staaten hätten sich dadurch substanziell erhöht.

In allen drei baltischen Ländern und auch in Polen hat die Nato jeweils Truppen in Bataillonsstärke von 1.200 Soldaten im Rahmen der Mission „Nato Enhanced Forward Presence“ zur Sicherung der Mitglieder an der Ostflanke des Bündnisses gegenüber einer Aggression Russlands stationiert.

Deutschland leiste dazu einen maßgeblichen Beitrag. Das sei ein starkes Signal, für die Balten, aber auch an Russland, „dass wir für die Freiheit der Balten wie auch der Polen, für die diese Völker sich entschieden und gekämpft haben, einstehen“.

In Litauen führt die Bundeswehr seit August 2017 eines der vier Nato-Bataillone. Die Abgeordneten besuchten den Stützpunkt in Rukla in der Nähe von Kaunas, informierten sich über Bedingungen und Aufgaben der Streitkräfte dort und würdigten den Einsatz der Soldaten. Der Deutsche Bundestag beschließt die Bundeswehr-Mandate und deren Verlängerung.

Von den Einwohnern der Region erführen die Bundeswehrsoldaten viel Sympathie. Den deutschen Beitrag zur Sicherheit Litauens im Rahmen der Nato betrachteten die Litauer als große Geste der Deutschen. Ebenso viel Lob gebe es für die Arbeit der Luftwaffe, die sich an der Luftraumüberwachung, dem „Air-Policing“ im Verbund mit den Nato-Mitgliedern beteiligt.

Streitthema Ostseepipeline

Der enge sicherheitspolitische Schulterschluss zwischen den Balten und Deutschland wird lediglich getrübt durch den Streit um den Ausbau der russisch-deutschen Erdgaspipeline Nordstream 2 in der Ostsee. Ein Zusammengehen zwischen Berlin und Moskau löse in diesen Ländern aus historischen Gründen reflexartig Angst vor einer gegen sie gerichteten Ost-West-Umklammerung aus, erklärt Osteuropa-Kenner Karl. „Die Befürchtungen der Balten vor exklusiven deutsch-russischen Kooperationen verstehen wir.“ Ebenso kenne man die Mahnung, sich mit dem Ausbau von Nordstream in allzu große Abhängigkeit von Russland zu begeben. Darauf sei man auch bei den Besuchen in Riga und Vilnius eingegangen und habe die Balten in diesem Punkt zu beruhigen versucht.

Sicherheitspolitisch und wirtschaftlich arbeite man mit den baltischen Staaten eng innerhalb von Nato und EU zusammen. Und genau um einseitige Abhängigkeiten zu reduzieren, ja die Versorgung Europas mit Rohstoffen wie Erdgas zu diversifizieren und zu sichern, also auf mehrere Lieferregionen zu verteilen, genau diesem Ziel diene die Ostseepipeline, die gerade um eine zweite Röhre verstärkt wird, erklärt Karl. Da auch Russland ein hohes Interesse am Verkauf von Edgas und an den Einnahmen habe, werde der Kreml den Hahn nicht zudrehen können. Schon immer habe die Versorgung mit russischem Erdgas, abgesehen von einigen technischen Problemen, unabhängig von politischen Differenzen funktioniert, die es ohne Zweifel gebe.

Politische Stabilität trotz parlamentarischer und ethnischer Vielfalt

Noch aus einem anderen Grund seien Russland und die Russen in Politik und Gesellschaft in Lettland und Litauen ein allgegenwärtiges Thema. Lebe dort doch seit jeher eine starke russische Minderheit, die diese Länder am Rand Europas jenseits aller Meinungsverschiedenheiten und Ängste zwischen Ost und West auch zu einer Brücke zwischen Russland und dem Westen mache, so Karl.

Innerhalb der EU würden diesen Menschen alle Rechte als EU-Bürger und ethnische Minderheit gewährt. Riga und Vilnius müssten die gesellschaftliche Einbindung dieses Teils ihrer Bevölkerung weiter vorantreiben. Das sei ein wesentlicher Beitrag zur politischen Stabilität der baltischen Länder. So könne man trotz des breiten Spektrums politischer Parteien, die bei der jüngsten Parlamentswahl 2018 in das Parlament in Riga eingezogen sind, und einer aus fünf Parteien bestehenden Regierungskoalition, von stabilen politischen Verhältnissen in Lettland sprechen.

Die starke russische Minderheit habe zudem einen in etwa ihrem Anteil an der Bevölkerung entsprechenden Prozentsatz von 30 Prozent der Stimmen erringen können und sei so mit einer starken Minderheitenpartei im Parlament in Riga vertreten.

Wirtschaftliche Musterschüler Europas

Während sich das Baltikum im Bewusstsein von Touristen noch nicht so stark verankert habe und die Infrastruktur des Fremdenverkehrs noch entwicklungsbedürftig sei, sei „das Interesse an diesen drei tüchtigen Ländern dank ihrer für ganz Europa beispielhaften Entwicklung in den letzten Jahren stetig gewachsen“, unterstreicht der Vorsitzende der Parlamentariergruppe.

Die baltischen Länder, hätten sich mit großem Geschick und einer klugen Politik aus ihrem Nischen-Dasein am Rand des ehemaligen Sowjetimperiums seit den 1990er-Jahren und dann seit 2004 als EU-Mitglieder in den letzten 15 Jahren „wirtschaftlich in den Mittelpunkt Europas gespielt“ und auch nach der Finanzkrise schneller als andere wieder Tritt gefasst. Daher eile diesen Ländern in Deutschland ein positiver Ruf, nicht zuletzt als innovationsgetriebene Volkswirtschaften und technikbegeisterte Gesellschaften voraus.

Deutschland wiederum werde im Baltikum als die führende politische und wirtschaftliche Kraft in Europa angesehen und akzeptiert. Für Länder wie Lettland und Litauen ist die Bundesrepublik der zweitwichtigste Handelspartner nach Russland. Mit Vertretern der Deutsch-Baltischen Handelskammer und deutscher Unternehmen sprachen die Bundestagsabgeordneten über Investitionen und Wirtschaftsbeziehungen.

„Eine der aktivsten Parlamentariergruppen“

Als Parlamentarier werde man sich intensiv daran beteiligen, die bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und den baltischen Staaten auf allen Ebenen weiter auszubauen und versuchen, Direktinvestitionen deutscher Unternehmen in Lettland und Litauen anzuregen.

Mit 49 Mitgliedern zähle man zu einer der größeren und sei eine der aktivsten Parlamentariergruppen im Bundestag. So habe man in den vier Jahren der vergangenen Wahlperiode 50 Veranstaltungen, davon zwei Delegationsreisen, durchgeführt und verfüge über eine sehr breite und starke Basis an Kontakten. Zu den Veranstaltungen als Parlamentariergruppe kämen noch die zahlreichen Aktivitäten einzelner Abgeordneter hinzu, die sich der Pflege der Beziehungen zu diesen Ländern verschrieben hätten. (ll/03.01.2020)