Geschichte

Reuven Rivlin: Bereit­schaft zur Auschwitz-Reise eine „Geste für die Zu­kunft“

Die Bereitschaft nach Auschwitz zu reisen, sei eine „Geste für die Zukunft“. Mit diesen Worten richtete sich der israelische Staatspräsident Reuven Rivlin am Mittwoch, 29. Januar 2020, während einer Podiumsdiskussion an 60 Jugendliche, die die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau kurz zuvor im Rahmen der Internationalen Jugendbegegnung des Bundestages besucht hatten. 

Lange Zeit sei es ihm als Jude unmöglich gewesen, nach Auschwitz zu gehen, und noch heute würde ihn jeder Besuch geradezu „durchrütteln“, berichtete Rivlin, der in diesem Jahr als Gastredner bei der Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus vor dem Bundestag sprach. Gemeinsam mit Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier und vielen anderen Staatsoberhäuptern hatte Rivlin am Montag, 27. Januar 2020, in Anwesenheit zahlreicher Überlebender in Auschwitz an den Gedenkfeierlichkeiten zum 75. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers teilgenommen.

„Bildung von Mensch zu Mensch“ 

Während des Gesprächs mit den jungen Erwachsenen, an dem auch der Bundespräsident sowie Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble teilnahmen, berichtete Rivlin zudem über seine Erfahrungen, die er 1945 als Kind gesammelt hatte: „Damals kamen die ersten Überlebenden nach Israel, und wir alle haben nicht verstanden, was die tätowierten Nummern auf ihren Armen bedeuten“, sagte er. Er habe sich stets gefragt, warum sich diese Menschen so seltsam benähmen, und erst nach und nach habe er begonnen, die Dimensionen der Schoa zu begreifen, obgleich sich diese stets der Rationalität entzögen.

Heute seien im Angesicht der grausamen Ereignisse während der Zeit des Zweiten Weltkrieges zwei Dinge von besonderer Wichtigkeit, sagte das israelische Staatsoberhaupt in Richtung der Jugendlichen: erstens brauche es eine humanistische Bildung „von Mensch zu Mensch“, die jedwede Form von Hass verurteile. Und zweitens sei ein entschiedener Zusammenschluss aller demokratischen Länder von äußerster Notwendigkeit. In all diesen Nationen, so Rivlin, brauche es klare gesetzgeberische Maßnahmen gegen Antisemitismus und Rassismus.

Die Verantwortung Deutschlands

Bundespräsident Steinmeier gab Ähnliches zu bedenken, nachdem er von einer der Jugendlichen gefragt wurde, wie es angesichts zunehmender geschichtsrevisionistischer Tendenzen um die Verantwortung Deutschlands stehe, keinen Schlussstrich in der Erinnerung an den Holocaust zuzulassen. Viele Strafgesetze seien in Deutschland in den letzten Jahren verschärft worden, so Steinmeier. Zugleich sei es aber für einen demokratischen Staat unmöglich, „in die Köpfe der Menschen hineinzuregieren“, gab er zu bedenken.

„Wir können antisemitische Handlungen unter Strafe stellen“, so der Bundespräsident. Aber das reiche nicht. In Ergänzung müsse jeder die Verantwortung wahrnehmen, sich „mit der eigenen, belastenden Geschichte zu konfrontieren“.

Darüber hinaus müssten Politik und Zivilgesellschaft wachsam und sensibel auch in einer veränderten Kommunikationslandschaft bleiben, sagte der Bundespräsident. Viele Diskurse, die früher noch in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen gebündelt geführt worden seien, würden heute im Internet und in den Sozialen Medien stattfinden. Das zivilgesellschaftliche Engagement gegen Hass und Hetze müsse deshalb in solche Gesprächskanäle eingebettet werden. Insgesamt sei er angesichts der vielen Menschen und Initiativen, die dies bereits täten, aber positiv gestimmt, so Steinmeier.

Ende der Jugendbegegnung

Auch Bundestagspräsident Schäuble appellierte an die Zivilcourage insbesondere der jungen Generation, sich immer und überall gegen Ausgrenzung und Hass zu positionieren – sei dies im Alltag gegenüber Fremden oder innerhalb der Familien.  

Zwar sei es in Deutschland mittlerweile eine Selbstverständlichkeit, dass die Leugnung des Holocausts unter Strafe stehe, zugleich aber sei es „eine Schande, dass wir jüdische Einrichtungen durch die Polizei schützen lassen müssen“, so Schäuble mit Blick auf die Bedrohungslage für das jüdische Leben in Deutschland.

Mit der Podiumsdiskussion ging die diesjährige internationale Jugendbegegnung des Bundestages zu Ende. 60 Jugendliche im Alter zwischen 18 und 25 Jahren aus verschiedenen Ländern waren in den vergangenen Tagen eingeladen, anlässlich des 75. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz gemeinsam der Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken. Neben Führungen durch die Gedenkstätten vor Ort hatten sie im Zuge des Programms auch Gelegenheit, mit Zeitzeugen ins Gespräch zu kommen. (ste/29.01.2020)
 

Marginalspalte