Parlament

Andreas Nick: Russland und Ukraine miteinander ins Gespräch bringen

Ein Mann mittleren Alters mit Brille steht hinter dem Rednerpult im Plenarsaal.

Andreas Nick (CDU/CSU) leitet die deutsche Delegation zur Parlamentarischen Versammlung des Europarates. (© DBT/Melde)

Die russisch-ukrainischen Spannungen, die Reform der Verfahrensweise bei Sanktionen und beim Monitoring sowie die Nachwehen des Korruptionsskandals haben die Abgeordneten der Parlamentarischen Versammlung des Europarates beschäftigt, die erstmals in diesem Jahr vom 27. bis 31. Januar 2020 in Straßburg getagt hat. Dass sich das ukrainische Parlament mit einer neuen Delegation akkreditiert habe, sei „Grundlage für eine künftige vertrauensvolle Zusammenarbeit“, sagt der CDU-Abgeordnete Dr. Andreas Nick, Leiter der deutschen Delegation, im Interview. Auch mit Russland will die Versammlung zur Sacharbeit zurückfinden: „Wir wollen uns mit Russland nicht länger über Formalien auseinandersetzen, sondern ganz konkret die zentralen Probleme etwa bei Demokratie und Menschenrechten ansprechen“, betont der Abgeordnete aus dem rheinland-pfälzischen Wahlkreis Montabaur. Das Interview im Wortlaut:


Herr Dr. Nick, Russland und die Ukraine gönnen einander nichts. Die Feindseligkeiten reichen bis in den Europarat. Nach Stimmrechtsentzug und Rückkehr der russischen Delegation verließ im Herbst die ukrainische Delegation die Versammlung. Taugt die jetzige Akkreditierung der neuen ukrainischen Delegation für einen Neuanfang?

Wir begrüßen ausdrücklich die Entscheidung des ukrainischen Parlaments, die neue Delegation nunmehr tatsächlich akkreditieren zu lassen. Dazu haben wir ja in den vergangenen Monaten immer wieder aufgefordert. Die neue junge Delegationsleiterin Lisa Yasko war gleich am Montag mit einigen ihrer Kolleginnen und Kollegen bei uns im Delegationsbüro zu Gast. Sie haben sich mit einem völlig neuen Stil ganz hervorragend vorgestellt, dieses offene Gespräch hat eine sehr gute Grundlage für eine künftige vertrauensvolle Zusammenarbeit gelegt.

Sie setzen sich persönlich für ein Aufeinanderzugehen ein und haben die erfolgreichen Gefangenenaustausche zwischen Kiew und Moskau ausdrücklich begrüßt und unterstützt.Wie sehr belasten die Spannungen zwischen Russland und der Ukraine jetzt noch die Parlamentarische Versammlung?

Die erneute Anfechtung der russischen Akkreditierung hat die Versammlung am Mittwoch mit großer Mehrheit zurückgewiesen. Wir wollen uns mit Russland nicht länger über Formalien auseinandersetzen, sondern ganz konkret die zentralen Probleme etwa bei Demokratie und Menschenrechten ansprechen. Dazu sollen auch die Monitoring-Berichterstatter jetzt baldmöglichst nach Russland reisen. Wenn es gelingen könnte, die ukrainischen und russischen Kollegen im Europarat etwa bei der Begleitung des Minsk-Prozesses miteinander ins Gespräch zu bringen, wäre das ein großer Fortschritt. Aber das ist zugegebenermaßen noch ein längerer Weg.

Die Versammlung hat den Bericht Ihres Kollegen und stellvertretenden Delegationsleiters Frank Schwabe (SPD) zu einem neuen Sanktionsmechanismus verabschiedet, der greifen soll, falls Mitgliedstaaten in schwerwiegender Weise gegen die Satzung verstoßen. Steht für die Zukunft nun ein praktikables Verfahren zur Verfügung?

Allen Skeptikern zum Trotz hat die Parlamentarische Versammlung in dieser Frage geliefert. Es ist uns in kurzer Zeit gelungen, nicht nur eine gemeinsame Philosophie mit dem Ministerkomitee zu entwickeln, sondern diese auch in der konkreten Mechanik für einen Prozess abzubilden, die von überwältigenden Mehrheiten in beiden Organen des Europarates getragen wird. Dies muss deshalb jetzt auch im Ministerkomitee zügig umgesetzt werden. Der neue gemeinsame Mechanismus ist aber gerade nicht als Abkürzung auf dem Weg zu Sanktionen gedacht, sondern er zielt vorrangig darauf ab, bei gravierenden Verstößen das Verhalten des betroffenen Mitgliedstaates wieder in Einklang mit den Grundprinzipien des Europarates zu bringen.

Die Abgeordneten haben außerdem einen Monitoring-Bericht über Polen angenommen, in dem das Land aufgefordert wird, Missstände im Bereich der Rechtsstaatlichkeit zu beseitigen. Welche Auswirkungen wird die Kritik an Polen haben?

Die Wiederaufnahme des Monitoring-Verfahrens für die Republik Polen ist eine schwerwiegende Entscheidung mit hoher Signalwirkung: Erstmals überhaupt wird das „Full Monitoring“ des Europarats für einen Mitgliedstaat der EU erneut eröffnet. Aber gerade als Freunde Polens und des polnischen Volkes können und dürfen wir nicht schweigen, wenn die Unabhängigkeit der Justiz systematisch eingeschränkt werden soll. Denn eine funktionierende Demokratie lebt von einem institutionellen Rahmen, ohne den wir auch die Freiheit des Einzelnen und seine individuellen Menschenrechte dauerhaft nicht schützen können. Dazu gehören vorrangig eine unabhängige Justiz, freie Medien, eine freie Wissenschaft und eine starke und lebendige Zivilgesellschaft. Polen ist 1991 aus voller Überzeugung dem Europarat beigetreten, um diese Werte dauerhaft abzusichern. Das ist keine Frage nationaler Souveränität.

Besteht nicht auch beim Monitoring Reformbedarf? Dauern die Verfahren des Europarates nicht viel zu lange?

In der Tat hat die Fertigstellung des Sonderberichts über den Zustand der demokratischen Institutionen in Polen fast vier Jahre gebraucht, von der erstmaligen Beauftragung im Mai 2016 bis jetzt. Es ist für die Zukunft inakzeptabel, wenn ein solcher eilbedürftiger Report über eine kritische Entwicklung in einem Land nicht zügig bearbeitet wird. Um die Rolle des Europarates als Hüter von Rechtsstaat und Demokratie in 47 Mitgliedstaaten glaubwürdig und nachhaltig gerecht zu werden, müssen die Verfahren der Institution schneller und effektiver werden. Ich bin zuversichtlich, dass das Monitoring-Komitee unter seiner neuen Führung auch an der Steigerung der Effizienz und Verlässlichkeit an diesen Stellen arbeiten wird.

In den vergangenen Jahren hat es in der Parlamentarischen Versammlung einen erheblichen Korruptionsskandal gegeben. Letzte Woche hat der Bundestag die Immunität der Abgeordneten Karin Strenz aufgehoben, damit die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main Ermittlungen wegen mutmaßlicher Korruption aufnehmen kann. Was tut die Versammlung, um den Skandal aufzuarbeiten und solche Fälle künftig zu vermeiden?

Es ist leider wahr, dass es vor meiner Zeit in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats einen Korruptionsskandal erheblichen Ausmaßes gegeben hat. Mit dem Bericht einer unabhängigen Untersuchungskommission vom April 2018 hat die Versammlung im Rahmen ihrer Möglichkeiten zur Aufklärung beigetragen. In circa 20 Fällen – auch dem genannten – wurden Sanktionen ausgesprochen, etwa lebenslange Hausverbote. Verhaltens- und Offenlegungsregeln wurden verschärft und präzisiert. Das Präsidium des Deutschen Bundestages hat in dem genannten Fall Anfang 2019 wegen Verstoßes gegen die Verhaltensregeln eine empfindliche Geldstrafe verhängt. Meine Fraktion hat die betroffene Abgeordnete bereits Anfang 2018 nicht mehr in die Versammlung entsandt.

Wie bewerten Sie als Delegationsleiter den aktuellen Vorgang?

Ich habe seit 2018 stets darauf verwiesen, dass alles Weitere in die Zuständigkeit unabhängiger Strafverfolgungsbehörden fällt. Es ist deshalb nur zu begrüßen, dass Ausmaß und rechtliche Bewertung der im Raum stehenden Vorwürfe jetzt in einem rechtsstaatlichen Verfahren eindeutig geklärt werden. Der strafrechtliche Tatbestand der Abgeordnetenbestechung  (Paragraf 108e des Strafgesetzbuches) gilt ausdrücklich auch für die Tätigkeit in Parlamentarischen Versammlungen internationaler Organisationen, also auch für den Europarat. Das Präsidium der Versammlung und die Generalsekretärin des Europarats habe ich umgehend über die aktuellen Entwicklungen informiert. Wir haben jedes Interesse, baldmöglichst Klarheit zu bekommen. (ll/03.02.2020)

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