2. Untersuchungsausschuss

Ramsauer: Koalitions­vertrag war Hypothek und Crux für die Pkw-Maut

Zwei ältere Männer in Anzügen schütteln einander in einem Sitzungssaal die Hand.

Der Vorsitzende Udo Schiefner (links) begrüßt den ehemaligen Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer als Zeugen im Ausschuss. (DBT/Melde)

Der ehemalige Bundesverkehrsminister Dr. Peter Ramsauer (CSU) hat den Koalitionsvertrag von 2013 als „Hypothek“ und „Crux“ für die Pkw-Maut bezeichnet. Damals hätten die Parteivorsitzenden eine Formulierung in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt, der der europarechtlichen Problematik nicht gerecht geworden sei, sagte Ramsauer bei der öffentlichen Zeugenvernehmung des 2. Untersuchungssausschusses („Pkw-Maut“) am Donnerstag, 13. Februar 2020.

„Wir nehmen eine allgemeine Absenkung der Kfz-Steuer vor“

Ramsauer bezog sich damit auf den Passus im damaligen Koalitionsvertrag von Union und SPD, wonach eine Infrastrukturabgabe für Personenkraftwagen eingeführt werden solle „mit der Maßgabe, dass kein Fahrzeughalter in Deutschland stärker belastet wird als heute“. Ramsauer hätte hingegen die Formulierung für richtig gehalten, wonach inländische Fahrzeughalter insgesamt nicht stärker hätten belastet werden dürfen.

Seine Einschätzung begründete Ramsauer, der von 2009 bis 2013 Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung war, mit einem Gespräch, das er am 6. November 2013 mit dem damaligen EU-Verkehrskommissar Siim Kallas führte. Damals habe man sich auf ein Grundsatzpapier für eine Vignettenpflicht in Deutschland geeinigt. Zentral waren demnach zwei Sätze: „Wir nehmen eine allgemeine Absenkung der Kfz-Steuer vor.“ Und: „Wir werden sicherstellen, dass diese Vorschläge europarechtskonform sind.“

„Es tut mir weh, dass ich recht behalten habe“

Dabei dürfe es „no linkage between tax and toll“ (keine Verbindung zwischen Kfz-Steuer und Maut) geben, lautete damals die Festlegung in Brüssel. Außerdem müsse es „winners and losers“ (Gewinner und Verlierer) bei den inländischen Fahrzeughaltern geben. Denkbar wäre laut Ramsauer zum Beispiel eine Differenzierung nach Kohlendioxidausstoß oder Wagengewicht gewesen, sodass manche Fahrzeughalter weniger bezahlt hätten als früher, andere aber mehr. Insgesamt hätten sich somit die Einnahmen aus der Maut und die Ermäßigungen bei der Kfz-Steuer ausgeglichen.

Insofern sei er vom Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), das die Pkw-Maut 2019 für europarechtswidrig erklärte, nicht überrascht gewesen, erklärte der ehemalige Minister. „Es tut mir weh, dass ich recht behalten habe mit meiner Einschätzung.“

„Irgendwie wird es schon gehen auf Biegen und Brechen“

Auch zu den politischen Hintergründen äußerte sich Ramsauer in der vom Vorsitzenden Udo Schiefner (SPD) geleiteten Sitzung. Die Parteivorsitzenden hätten im Laufe der Koalitionsverhandlungen ungefähr Mitte November 2013 beschlossen, die strittige Maut-Frage aus der zuständigen Arbeitsgruppe herauszulösen und am Ende selbst zu verhandeln. „Merkel und Seehofer“ – also die damaligen Vorsitzenden von CDU und CSU – „haben sehenden Auges diese europarechtliche Unmöglichkeit in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt“, sagte Ramsauer.

Angela Merkel und auch SPD-Chef Sigmar Gabriel hätten dies bewusst getan, weil sie gar keine Pkw-Maut gewollt hätten. Horst Seehofer hingegen habe der Formulierung zugestimmt, obwohl Ramsauer ihn damals nach eigenen Worten darauf hinwies: „Horst, so geht das wahrscheinlich nicht.“ Später habe Seehofer ihm gegenüber erklärt, eine andere Lösung wäre ein Bruch des Wahlversprechens gewesen. „Seehofer wird gedacht haben: Irgendwie wird es schon gehen auf Biegen und Brechen“, mutmaßte Ramsauer.

„Meine Amtsnachfolger mussten mit dieser Crux leben“

Ausdrücklich in Schutz nahm Ramsauer seine Nachfolger an der Spitze des Verkehrsministeriums, Alexander Dobrindt und Andreas Scheuer. „Meine Amtsnachfolger mussten mit dieser Crux leben“, sagte der CSU-Politiker. „Sie mussten die Suppe auslöffeln.“ Sie hätten sich keiner Unterlassung schuldig gemacht und nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. „Andreas Scheuer blieb gar nichts anderes übrig, als die Dinge zu vollziehen“, betonte Ramsauer weiter. Im Übrigen habe er vor Unterzeichnung der Betreiberverträge Ende 2018 „nie detaillierte Gespräche mit Ministeriumsvertretern oder dem Minister darüber geführt“.

Auf die Frage, ob seine Position zur Pkw-Maut dazu beigetragen habe, dass er nach der Bundestagswahl von 2013 nicht erneut zum Minister ernannt wurde, sagte Ramsauer: „Die Frage müssen Sie dem Kollegen Seehofer stellen.“ Für ihn selbst habe gegolten: „Ich bin es meiner Verantwortung schuldig, eine Formulierung zu finden, die risikolos oder risikoarm ist.“ Und: „Ich würde heute in einer analogen Situation wieder genau gleich handeln.“

„Das Urteil konnte so oder so ausfallen“

In mindestens zwei Bundesministerien gab es Zweifel, ob das Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Sachen Infrastrukturabgabe für Personenkraftwagen zugunsten Deutschlands ausgehen würde. Dies ergab die Vernehmung von drei Zeuginnen im zweiten Teil der Sitzung. „Es war immer ein offenes Verfahren“, sagte Dr. Katharina Gebauer, Co-Leiterin des Referats „EU-Politik, EU-Recht, EU-Beihilfepolitik, Brexit“ im Bundesverkehrsministerium.

Die Einschätzung des Referats sei gewesen, „dass das Urteil so oder so ausfallen konnte“. An den ministeriumsinternen Workshops zur Risikobewertung sei ihr Referat nicht beteiligt gewesen, und es sei auch nicht gefragt worden, wie hoch es das Risiko eines negativen Urteils in Prozent einschätze. „Wir hätten“, sagte Gebauer auf Nachfrage von Abgeordneten, „eine solche Einschätzung auch nicht gegeben.“ Der EuGH hatte im Juni 2018 entschieden, die PKW-Maut sei unvereinbar mit EU-Recht.

„Risiko eines negativen EuGH-Urteils auf 15 Prozent geschätzt“

Ähnlich wie Gebauer äußerte sich Dr. Sonja Eisenberg, Referentin im Referat „Vertretung der Bundesrepublik Deutschland vor den europäischen Gerichten“ im Bundeswirtschaftsministerium. Dieses Referat ist für europarechtliche Verfahren aller Ministerien (mit Ausnahme des Bundesjustizministeriums) zuständig. „Ich wusste nicht, wie das Verfahren ausgehen würde“, sagte Eisenberg. Auch sie lehnte es ab, das Prozessrisiko in Prozent zu beziffern. Laut einer im Ausschuss wiederholt getätigten Aussage schätzte das Verkehrsministerium das Risiko eines negativen EuGH-Urteils auf lediglich 15 Prozent.

Eisenberg widersprach zudem der These, wonach die Bundesregierung nach dem Plädoyer des Generalanwalts davon ausgehen konnte, dass das Urteil des EuGH zugunsten Deutschlands ausfallen würde. Der Generalanwalt hatte sich dafür ausgesprochen, die Klage Österreichs abzuweisen. Zwar folge der EuGH in der Mehrzahl der Fälle dem Generalanwalt, sagte Eisenberg. Wie hoch dieser Anteil sei, könne sie aber nicht sagen.

„Eher Zeitungswissen als Fachwissen“

Als weitere Zeugin befragte der Ausschuss Stefanie Schröder, die seit Anfang 2017 in der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik bei der Europäischen Union arbeitet und dort das Referat „Verkehr und digitale Infrastruktur“ leitet. Schröder gab zu Protokoll, dass in ihrer Zeit in Brüssel die Pkw-Maut keine große Rolle gespielt habe.

Sie berichtete, 2017 von einem französischen Kollegen gehört zu haben, dass Österreich sich bei mehreren Treffen um die Unterstützung weiterer Länder für seine Klage gegen die deutsche Pkw-Maut bemüht habe. Auf andere Fragen von Ausschussmitgliedern erklärte sie, „eher Zeitungswissen als Fachwissen“ zu haben. (chb/13.02.2020)

Liste der geladenen Zeugen

  • Dr. Peter Ramsauer MdB, Bundesminister a. D.
  • Dr. Katharina Gebauer, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI)
  • Stefanie Schröder, Auswärtiges Amt
  • Dr. Sonja Eisenberg, Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi)

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