Parlament

André Berghegger: EU muss beim Haushalt Prioritäten setzen

Ein Mann im Anzug spricht in einem Sitzungssaal in ein Mikrofon.

André Berghegger, CDU-Abgeordneter aus dem Wahlkreis Osnabrück-Land, leitete die die Delegation zur SWKS-Tagung in Brüssel. (DBT/Julia Nowak)

Zwischen „Brexit-Lücke“ und neuen Herausforderungen wie dem Klimaschutz: Zurzeit ringen die EU-Mitgliedstaaten um den kommenden „Mehrjährigen Finanzrahmen“ für die Jahre 2021 bis 2027. Der Mehrjährige Finanzrahmen war auch Thema der „Interparlamentarischen Konferenz über Stabilität, wirtschaftspolitische Koordinierung und Steuerung in der EU“, kurz SWKS-Tagung, am Dienstag, 18. Februar, und Mittwoch, 19. Februar 2020, in Brüssel. Haushaltspolitiker der Parlamente der Mitgliedstaaten der EU und des Europaparlaments beraten im Rahmen der SWKS zweimal jährlich Finanz- und wirtschaftspolitische Themen. Dr. André Berghegger (CDU/CSU), der die Bundestagsdelegation leitete, sieht im Interview gute Chancen, die „Brexit-Lücke“ zu schließen. Das Interview im Wortlaut:

Herr Dr. Berghegger, im Vordergrund der SWKS-Tagung stand die Aufstellung des neuen „Mehrjährigen Finanzrahmens“ der EU. Die Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten sind festgefahren. Wo hakt es? Mit dem Austritt Großbritanniens fällt ja ein wichtiger Beitragszahler zum EU-Haushalt weg …

Auf der einen Seite ist durch den Brexit im EU-Haushalt eine finanzielle Lücke in der Größenordnung von jährlich rund zwölf Milliarden Euro entstanden. Andererseits wird viel über neue Ausgaben diskutiert. Dabei denke ich besonders an den von der Kommissionspräsidentin vorgeschlagenen „Green Deal“. Dieser wird in den nächsten zehn Jahren mit einem Investitionsvolumen für den Privatsektor, den EU-Haushalt und die nationalen Haushalte in Höhe von einer Billion Euro veranschlagt. Bei der Gestaltung des Mehrjährigen Finanzrahmens stehen sich die Interessen der „Nettozahler“ und der „Nettoempfänger“ gegenüber. Ohne moderate Mehrleistungen auf der einen Seite und Kürzungen oder Umschichtungen auf der anderen Seite wird es nicht gehen. Dabei gibt es intensivste Diskussionen über die verschiedenen Teilbereiche. Die Frage wird sein: Soll die EU „alles etwas“ machen oder Prioritäten für Aufgaben setzen, die einen großen Mehrwert für die Bürgerinnen und Bürger und die Mitgliedstaaten bedeuten.

Ist Deutschland bereit, der EU neues Geld zu geben, um die Lücke zu füllen? Oder werden die Mitgliedsländer sich zu Budgetkürzungen durchringen?

Mein Eindruck ist, dass gute Chancen bestehen, die „Brexit-Lücke“ zu schließen. Es wird derzeit intensiv über die „Rabattregeln“ der Mitgliedstaaten gesprochen. Eine Einigung würde es ermöglichen, dass nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs mehr Finanzmittel zur Verfügung stehen. Wenn dann noch Prioritäten gesetzt werden, könnte die EU ihre Aufgaben effektiv erfüllen. Bei der Debatte um eine Erhöhung der Beitragszahlungen bin ich aber der Überzeugung, dass die bisherige Regelung, wonach ein Prozent des Bruttonationalprodukts als nationaler Beitrag gezahlt wird, beibehalten werden sollte. Ein weiteres Problem stellt aus meiner Sicht die Entwicklung der noch zur Zahlung anstehenden Mittelbindungen dar. Die Summe dieser nicht abgerufenen sogenannten „RAL-Mittel“ (reste à liquider) wird Ende 2020 bei voraussichtlich 295 Milliarden Euro liegen. Dieser Betrag ist deutlich höher als der jährliche EU-Haushalt. Bevor also über die Bereitstellung von erheblichen neuen Mitteln gesprochen wird, sollten Strukturen bei bestehenden Programmen effektiver gestaltet werden.

Was spricht dafür, das EU-Budget finanziell mindestens wie bisher auszustatten oder sogar zu erhöhen?

Die aktuelle Herausforderung besteht darin, neue europäische Aufgaben mit angemessenen Finanzmitteln zu hinterlegen und bestehende effektiver auszugestalten. Ein Haushalt ist nicht dadurch per se besser, dass er mehr Gelder bewilligt. Die politisch bewilligten Gelder müssen auch zeitnah abgerufen werden können. Deshalb befürworte ich die Schwerpunktsetzung in den Bereichen Grenzschutz, Verteidigung, Außenhandel und Digitalisierung. Hier kann die Europäische Union für ihre Mitgliedstaaten einen Mehrwert erzielen und nationale Haushalte potenziell entlasten. Außerdem muss die Finanzierung des „Green Deals“ geklärt werden. Mir ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Summe nicht allein aus dem EU-Haushalt aufgebracht werden kann. Insgesamt wird die von uns allen gewünschte Finanzierung wichtiger europäischer Projekte nur dann gelingen, wenn wir im bestehenden Haushalt prioritäre Aufgaben mit europäischem Mehrwert definieren. Erst nachdem wir uns auf diese Ziele konkret verständigt haben, können wir über moderate und angemessene Steigerungen der Zahlungen der Mitgliedstaaten entscheiden.

Der Klimawandel und seine Folgen sind in aller Munde. Die neue EU-Kommission hat den Kampf gegen den Klimawandel zu einem Leitmotiv ihres Handelns ausgerufen. Welche Maßnahmen muss die EU dazu im Bereich der Wirtschafts- und Finanzpolitik ergreifen?

Die neue Kommissionspräsidentin von der Leyen hat den europäischen Green Deal als einen ihrer zentralen Schwerpunkte genannt. Ziel ist ein klimaneutrales Europa bis 2050. Wir warten nun darauf, dass die Kommission einen konkreten Plan für das Erreichen des Zwischenziels, der Verringerung der Treibhausgasemissionen um 50 Prozent bis 2030, vorlegt. Bei der Debatte um den nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen besteht unter den Mitgliedstaaten bereits Einigkeit darüber, zukünftig ressortübergreifend 25 Prozent des EU-Budgets für Klimaschutzmaßnahmen zu nutzen. Im Herbst 2020 soll eine neue Strategie für ein nachhaltiges Finanzwesen vorgelegt werden, um privates Kapital in nachhaltige Investitionen umzulenken. Des Weiteren sollen die Haushaltsplanungen der Mitgliedstaaten hinsichtlich ihrer Umweltverträglichkeit bewertet und in das „Europäische Semester“ eingebunden werden („Europäisches Semester“ wird der Rahmen zur wirtschaftspolitischen Koordinierung der EU-Mitgliedsländer genannt; die Redaktion).

Wird daran gedacht, dass die EU im Bereich des Arbeitsmarktes stärker aktiv wird, um Herausforderungen wie der Digitalisierung oder dem Fachkräftemangel zu begegnen oder wollen die Mitgliedsländer da eher nationale Wege gehen?

Zu Beginn des Jahres hat die Kommission die erste Phase der Sozialpartner-Konsultation zur Einführung eines europaweiten Mindestlohns begonnen. Mir ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass angesichts der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs die Kommission ganz klar erklärt hat, dass sie ausdrücklich keinen harmonisierten europäischen Mindestlohn einführen will. Aus meiner Sicht muss jeder Vorschlag dem Subsidiaritätsgrundsatz Rechnung tragen (der Subsidiaritätsgrundsatz besagt, dass die EU nur dann in einen Politikbereich regulierend eingreifen darf, wenn dieser sich nicht auf mitgliedstaatlicher Ebene besser regeln lässt; die Redaktion). Die Europäische Union ist gut beraten, die Kompetenz der Mitgliedstaaten zu respektieren – insbesondere bei der Ausgestaltung ihrer sozialen Sicherungssysteme. Ich bin mir zudem sicher, dass wir in Deutschland mit der Tarifpartnerschaft zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften insgesamt gute Erfahrungen gemacht haben.

Mit der globalen Finanzkrise 2008 hat die Europäische Union als Wirtschafts- und Währungsraum einen schweren Sturm überstanden. Seit jeher zielen die Struktur- und Investitionsfonds der EU darauf ab, die Union zusammenzuhalten und die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen prosperierenden und schwächeren Regionen nicht zu groß werden zu lassen. Soll der bisherige Ansatz der Struktur- und Investitionsfonds in der neuen Haushaltsperiode fortgesetzt werden?

Die Modernisierung der Struktur des Mehrjährigen Finanzrahmens, wonach die EU die Politikfelder stärkt, die alle Mitgliedstaaten betreffen, darf nicht zur Vernachlässigung etablierter europäischer Maßnahmen führen. Der Europäische Fonds für strategische Investitionen (EFSI) wird deshalb im nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen zum Programm InvestEU weiterentwickelt. Es soll Unternehmen besonders in den Bereichen Forschung, Innovation und Digitalisierung unterstützen. Dieses Programm wird um das Budgetinstrument für Konvergenz und Wettbewerbsfähigkeit (BICC) ergänzt. Das BICC soll besonders im öffentlichen Sektor zur Angleichung der wirtschaftlichen Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der Mitgliedstaaten beitragen. Bei der Gestaltung des Mehrjährigen Finanzrahmens ist es an dieser Stelle wichtig, keine Doppelstrukturen zu etablieren. (ll/21.02.2020)

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