Parlament

Doris Barnett: Fremden­feindliche Täter dürfen sich nie sicher fühlen

Eine blonde Frau mittleren Alters blickt in die Kamera.

Doris Barnett (SPD) leitet die Bundestagsdelegation zur Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. (DBT/Julia Nowak)

Die 19. Wintertagung der Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE-PV) am 20. und 21. Februar 2020 in Wien stand unter dem Eindruck der Schüsse von Hanau. Es gebe einen klaren Zusammenhang zwischen dem Erstarken von rechten Parteien und der Zunahme fremdenfeindlicher Gewalt, sagt Doris Barnett (SPD), Leiterin der Delegation der Bundestagsabgeordneten zur OSZE-PV, im Interview: „Wir müssen es aufhalten, indem wir uns unmissverständlich dagegen aussprechen und die Taten auch mit allen Mitteln verfolgen und ahnden. Die Täter dürfen sich nie sicher fühlen!“ Barnett äußert sich zum erstarkenden Rechtsextremismus, zu neuen Chancen für den Friedensprozess in der Ukraine und den wachsenden Einfluss Chinas in Teilnehmerländern der OSZE. Das Interview im Wortlaut:


Frau Barnett, der Kampf gegen Antisemitismus, Diskriminierung und Intoleranz war Thema der aktuellen Generaldebatte der OSZE-PV. Was hat die Aussprache gebracht? Wie gehen die Mitgliedsländer das Problem an?

Als wir am Mittwochabend, 19. Februar, in Wien die Tagung eröffneten, fielen in Hanau die ersten Schüsse. Die Debatte am Freitag, 21. Februar, über den Kampf gegen Antisemitismus, Diskriminierung und Intoleranz war geprägt von tiefer Trauer um die Opfer dieses Massenmordes. Wir haben jetzt in Deutschland mehrmals hintereinander ganz gravierende rechtsextreme Angriffe erlebt. Es sind keine Einzelfälle. Und es ist leider auch kein deutsches, sondern ein weltweites Phänomen.

Was läuft in unseren Gesellschaften so substanziell falsch, dass es zu Gewaltausbrüchen wie in Hanau kommen kann?

Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen dem Erstarken von rechten Parteien und der Zunahme fremdenfeindlicher Gewalt. Beleidigungen, Beschimpfungen, Stigmatisierungen sind auf dem Vormarsch. Wir müssen es aufhalten, indem wir uns unmissverständlich dagegen aussprechen und die Taten auch mit allen Mitteln verfolgen und ahnden. Die Täter dürfen sich nie sicher fühlen!

Setzt Albanien, das in diesem Jahr den OSZE-Vorsitz innehat und auf der Tagung seine Agenda präsentierte, die richtigen Schwerpunkte?

Den Schwerpunkt seines Vorsitzjahres setzt Albanien auf drei Themen: Veränderung der Situation vor Ort, Umsetzung der OSZE-Vereinbarungen und Förderung von Stabilität durch Dialog. Das albanische Programm steht in der Kontinuität seiner Vorgänger. Das Ziel, die Arbeit der OSZE dort zu stärken, wo sie zu den Menschen vor Ort am nächsten ist, begrüße ich sehr. Aber auch andere Ziele des albanischen Vorsitzes stehen im Einklang mit dem, was die OSZE ausmacht, was sie am besten kann und was sie von anderen Akteuren unterscheidet.

Dazu gehört ohne Zweifel die Konfliktlösung und -prävention. Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine schwelt weiter. Nach der Wahl Wolodymyr Selenskyjs zum Präsidenten in der Ukraine 2019 haben Russland und die Ukraine ihren Umgangston miteinander gemäßigt und scheinen nun mehr Bereitschaft zum Dialog zu haben. Verbessern sich damit gerade die Rahmenbedingungen, um zu einem Waffenstillstand zu kommen und den „Minsker Prozess“ zur Befriedung der Ostukraine wieder zu beleben?

In den letzten Monaten wurden tatsächlich einige Schritte unternommen, die Hoffnung auf Entspannung wecken. Im Dezember 2019 fand in Paris nach einer dreijährigen Pause der Normandie-Gipfel statt. Die Staatschefs der Ukraine, Russlands, Frankreichs und Deutschlands haben konkrete Maßnahmen zur Stabilisierung der Lage in der Ostukraine vereinbart, etwa Waffenstillstand, Minenräumung, Entflechtung oder Gefangenenaustausch. Die Teilnehmer äußerten außerdem ihre Bereitschaft, politische Fragen zu lösen und die Minsker Vereinbarungen umzusetzen. Das lässt hoffen, dass die Menschen vor Ort bald eine spürbare Verbesserung erfahren. Noch sind die Fortschritte allerdings zu fragil, um von nahender Lösung des Konflikts zu sprechen. Der Waffenstillstand wird nach wie vor täglich verletzt. Dennoch ist es gerade jetzt wichtig, sich nicht entmutigen zu lassen und die zarte Pflanze des Dialogs weiter zu pflegen.

Die OSZE bemüht sich in der Ostukraine seit März 2014 mit einer zivilen Beobachtermission (Special Monitoring Mission, SMM), Frieden, Stabilität und Sicherheit zu fördern. Welchen Beitrag leistet diese Mission zu Konfliktbeilegung? Und wo sind die Grenzen?

Die Sonderbeobachtermission der OSZE ist eines der wichtigsten Instrumente zur Konfliktlösung in der Ostukraine, die wir haben. Die Mission ist breit aufgestellt, derzeit sind rund 750 internationale Beobachterinnen und Beobachter im Einsatz. Unter hochgefährlichen Bedingungen beobachten sie die Sicherheitslage, Verletzungen der OSZE-Prinzipien und -Verpflichtungen sowie die Einhaltung von Menschenrechten und grundsätzlichen Freiheiten. Mit ihren täglichen Berichten schafft die Mission die notwendige Basis für die Verhandlungen rund um den Friedensprozess in der Ostukraine. Leider wird der Zugang der Mission zu manchen Gebieten erschwert oder unmöglich gemacht. Das bedeutet aber auch, dass „naming and blaming“ ein Instrument sein kann, um diejenigen, die Schwierigkeiten machen, öffentlich zu benennen – was die Betroffenen natürlich vermeiden möchten. Also, etwas disziplinierend kann die SMM schon wirken.

Geraten bei der starken Fokussierung auf die Ukraine nicht die anderen Konflikte in Osteuropa aus dem Blick, etwa um Bergkarabach oder Transnistrien?

Keinesfalls. Der albanische OSZE-Vorsitz 2020 listet die Lösung dieser Konflikte unter seinen Vorsitzprioritäten. Auch in der Parlamentarischen Versammlung der OSZE bekommen alle diese Konflikte sehr viel Raum. Schließlich ist es eine unserer Kernaufgaben Konfliktlösung und -prävention. Seit 2015 bringen die von mir initiierten „Leinsweiler Gespräche“ Parlamentarierinnen und Parlamentarier aus Konfliktländern zusammen und bieten Raum für vertrauensvollen Dialog. Dabei werden historische Beispiele für erfolgreiche Lösung von langwierigen Konflikten aufgezeigt. Sie dienen uns zur Inspiration. Unser gemeinsamer Fokus liegt dabei auf aktuellen Konflikten in der OSZE-Region.

In vielen Mitgliedsländern der OSZE ist die Volksrepublik China mit beträchtlichen Investitionen mit ihrem „One Belt, One Road“-Projekt aktiv. Sollte nicht die OSZE-PV dieses Thema stärker berücksichtigen und das Verhältnis zu China zu einem zentralen Thema für die Versammlung machen?

China ist zwar kein Mitglied der OSZE, aber eine Weltmacht, die nicht zu ignorieren ist. Zweifelsohne beeinflusst Chinas Engagement die Entwicklung in den OSZE-Teilnehmerstaaten. Mittels der Infrastrukturprojekte unter dem Label „One Belt, One Road“ exportiert China nicht nur seine Waren. Es setzt auch soziale, ökologische und technologische Standards, überträgt seine Finanzierungsmodelle und schafft neue Perspektiven, aber auch Abhängigkeiten. Zu einem zentralen Thema der Versammlung wird das Verhältnis zu China sicherlich nicht, und wir brauchen aus meiner Sicht auch keine separate Struktur für dieses Thema. Aber wir müssen uns mit Chinas Aktivitäten in unseren Ländern auseinandersetzen. Es wäre höchst naiv, diesen wichtigen Faktor auszublenden. (ll/26.02.2020)

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