Insbesondere der Klimawandel, aber auch mögliche Cyber-Attacken und die weltweiten Migrationsbewegungen stellen den Zivil- und Katastrophenschutz in Deutschland vor neue Herausforderungen. Dies war am Montag, 13. Januar 2020, der Tenor einer Expertenanhörung im Innenausschuss unter Vorsitz von Andrea Lindholz (CDU/CSU). Insgesamt sei hierzulande die Infrastruktur zur Abwehr von Gefahren für die Bevölkerung „gut aufgestellt“ und gelte als weltweit vorbildlich, hieß es. Dennoch gebe es Handlungs- und Nachholbedarf in wesentlichen Bereichen.
Gegenstand der Anhörung waren ein Antrag der FDP-Fraktion mit dem Titel „Vorsorgestrukturen ausbauen – Ehrenamt in Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe stärken“ (19/8541) sowie Berichte der Bundesregierung zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2017 (19/9520) und 2018 (19/9521).
„Einige Punkte kritisch sehen“
Der ehemalige Präsident des Technischen Hilfswerks (THW) und heutige Vorsitzende des vereinsrechtlich organisierten Zukunftsforums Öffentliche Sicherheit, Albrecht Broemme, nannte in diesem Zusammenhang die Abwehr einer möglichen Pandemie, einer „eskalierenden“ Erkrankungswelle, als Schwachstelle des Zivilschutzes. Nachrüstungsbedarf bestehe auch gegen die Bedrohung durch ABC-Waffen. Hier sei derzeit die „Reaktionsfähigkeit schwach ausgebaut“. Insgesamt gelte: „So gut, wie der Katastrophenschutz aufgestellt ist, sollten wir ihn nicht schlechtreden, aber einige Punkte kritisch sehen.“
Der amtierende THW-Präsident Gerd Friedsam mahnte eine Ertüchtigung seiner Organisation insbesondere in den Bereichen der Notstrom- und der Trinkwasserversorgung an. Das THW müsse in der Lage sein, im Katastrophenfall „systemrelevante Einrichtungen zuverlässig mit Strom“ zu beliefern. Angesichts der mit dem Klimawandel zunehmenden Gefahr lang anhaltender Dürreperioden seien auch die Kapazitäten auf dem Feld der Trinkwasserbeschaffung und -aufbereitung zu erweitern.
„Vollkasko-Mentalität in Teilen der Gesellschaft“
Der Berliner Landesbranddirektor Dr. Karsten Homrighausen, nach eigenen Worten Leiter der ältesten und größten Berufsfeuerwehr in Deutschland, beklagte eine „Vollkasko-Mentalität“ in Teilen der Gesellschaft. Schon bei der „erstbesten Störung“ ertöne der Ruf nach dem Staat. Dagegen seien die Eigenverantwortung und die „Selbsthilfefähigkeit“ der Menschen stärker zu betonen und einzufordern.
Der Staat allein könne nicht alle erforderlichen Maßnahmen treffen. Auf „Störungen“ vorbereitet zu sein, sei auch die Verantwortung jedes Einzelnen. Um diesen Gesichtspunkt stärker ins Bewusstsein zu heben, bedürfe es eines „gesellschaftlichen Dialogs“. Als großes Problem der Einsatzkräfte nannte Homrighausen die Nachwuchsgewinnung.
„Den Bevölkerungsschutz neu denken“
Der Katastrophenschutz-Beauftragte des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), Frank Jörres, erinnerte an die Flüchtlingskrise 2015/16 und an die verheerenden Waldbrände der jüngsten Zeit in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern zur Begründung seiner Forderung, den „Bevölkerungsschutz neu zu denken“. Jörres mahnte, Vorsorgestrukturen auszubauen und das Ehrenamt zu stärken. Der „Betreuungsbereich“, also die Notunterbringung und Versorgung von Betroffenen einer Katastrophe, sei das „Stiefkind des Bevölkerungsschutzes“.
Jörres zitierte die Faustformel, dass der Staat Notunterkünfte für zwei Prozent der Bevölkerung, in Deutschland also 1,6 Millionen Menschen, vorhalten sollte. Es sei nicht damit getan, die Alltagsversorgung zu optimieren: „Wir müssen die Krise ständig mitdenken.“
„Tendenz zum Abbau von Krankenhauskapazitäten“
Der Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Christoph Unger, wies auf politische Entscheidungen hin, die den Erfordernissen des Zivilschutzes zuwiderliefen. So gebe es derzeit eine Tendenz, Krankenhauskapazitäten abzubauen. Diese würden im Katastrophenfall aber dringend gebraucht. Auch Unger sprach sich für eine „formale Stärkung der Bundeskompetenz“ im Zivilschutz aus.
Der ehemalige Präsident des Deutschen Feuerwehrverbandes, Helmut Ziebs, machte auf „erhebliche Defizite“ in der Bevorratung mit Lebensmitteln und Ausrüstungsgegenständen aufmerksam. Auch er befürwortete eine „Rahmenkompetenz“ des Bundes im Katastrophenschutz.
Antrag der FDP
Wie die Fraktion in ihrem Antrag (19/8541) ausführt, muss die Bundesrepublik „angesichts vielfältiger Bedrohungslagen jederzeit auf die Bewältigung von Katastrophensituationen vorbereitet sein“. Unabhängig von der Katastrophenursache stehe als Folge die Unterbringung, Versorgung und Betreuung einer Vielzahl von Menschen im Vordergrund.
Die Herausforderungen des bundesweiten starken Zustroms von Flüchtlingen in den Jahren 2015 und 2016 hätten indes verdeutlicht, „dass ausreichende nationale Strukturen zur Vorsorge nicht vorhanden sind“, schreiben die Abgeordneten weiter. Zwar habe die Bundesregierung im Jahre 2016 mit der Konzeption „Zivile Verteidigung“ ein Gesamtkonzept für die zivile Verteidigung erarbeitet, das die Planung flächendeckender Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung ermögliche. Die Konzeption befinde sich jedoch noch immer im Umsetzungsprozess.
Da der Eintritt einer Krisensituation grundsätzlich keine Zeit für einen angemessenen Ausbau der vorhandenen Ressourcen zulasse, sei es zudem unerlässlich, ergänzend zu der Konzeption „Zivile Verteidigung“ eine konzeptunabhängige nationale Reserve aufzubauen.
Konzeption „Zivile Verteidigung“
Die Bundesregierung wird in dem Antrag aufgefordert, dafür „Sorge zu tragen, dass der Bund seiner Verpflichtung im Rahmen des ergänzenden Katastrophenschutzes gerecht wird“. Dabei soll sie die Voraussetzungen für eine rasche Umsetzung der neuen Konzeption der „Zivilen Verteidigung“ des Bundesinnenministeriums schaffen.
Auch fordert die Fraktion die Einrichtung einer „konzeptunabhängigen Reserve an Ressourcen auf Bundesebene“, insbesondere in Form von Material-, Lebensmittel- und Medikamentenreserven für 50.000 Personen sowie von „Material für den Betrieb von eigenständigen ortsunabhängigen Betreuungseinrichtungen mit einer Gesamtkapazität von 15.000 Personen mit einer Betriebsphase von drei Monaten“ und der Vorhaltung von Stromaggregaten, Kraftstoff und Trinkwasseraufbereitungsanlagen.
Konzept für Risiko- und Krisenkommunikation verlangt
Zudem soll die Bundesregierung nach dem Willen der Fraktion ein Konzept für die Risiko-und Krisenkommunikation entwickeln, die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch zwischen den verschiedenen Hilfsorganisationen verbessern und die technische Ausstattung der Hilfsorganisationen modernisieren.
Ferner beinhaltet der umfangreiche Maßnahmenkatalog, den die Abgeordneten in der Vorlage aufführen, unter anderem, die Attraktivität des Ehrenamtes zu stärken und Initiativen zu unterstützen, „die die Wertschätzung und Anerkennung der ehrenamtlichen Tätigkeit durch besondere Leistungen zum Ausdruck bringen“.
Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2017
In ihrem „Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2017“ (19/9520) erläutert die Bundesregierung, dass Risikoanalysen der vorsorglichen und strukturierten Beschäftigung mit möglichen bundesrelevanten Gefahren und den bei ihrem Eintritt zu erwartenden Auswirkungen auf die Bevölkerung, ihre Lebensgrundlagen und die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Deutschland dienen. „Der vorliegende Bericht ist eine Zusammenfassung bisheriger Risikoanalysen der Jahre 2012 bis 2016 und betrachtet insbesondere die Auswirkungen von unterschiedlichen Szenarien auf Schutzfähigkeiten sowie auf überlebensnotwendige Versorgungsleistungen“, heißt es in der Vorlage weiter.
Seit dem Jahr 2012 wurden den Angaben zufolge sechs Risikoanalysen durchgeführt. Diese bezogen sich im Jahr 2012 auf „Extremes Schmelzhochwasser aus den Mittelgebirgen“ und „Pandemie durch Virus Modi-Sars“ sowie – im Jahr 2013 – „Wintersturm“. Es folgte 2014 die Risikoanalyse „Sturmflut“, 2015 die Risikoanalyse „Freisetzung radioaktiver Stoffe aus einem Kernkraftwerk“ und 2016 „Freisetzung chemischer Stoffe“.
Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2018
Der „Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2018“ (19/9521) befasst sich mit den Auswirkungen eines mehrjährigen Dürreszenarios für Deutschland befasst. Obgleich das untersuchte Szenario einen theoretischen und abstrahierten Ereignisverlauf beschreibe, hätten die Erfahrungen des Jahres 2018 deutlich gemacht, wie relevant eine Analyse eines solchen Szenarios auch für Deutschland geworden sei, heißt es in der Vorlage.
Die realen Erfahrungen des Jahres 2018, das vielen als „Dürrejahr“ im Gedächtnis bleiben werde, bestätigten, „dass eine Dürre ein durchaus realistisches Ereignis für Deutschland ist“. Gleichzeitig sei es vor dem Hintergrund des Klimawandels „denkbar, dass Dürreereignisse in den nächsten Jahren und Jahrzehnten eine möglicherweise häufiger vorkommende Herausforderung für Deutschland darstellen könnten“. (wid/sto/13.01.2020)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Albrecht Broemme, Präsident a. D. - Bundesanstalt Technisches Hilfswerk; Vorsitzender – Zukunftsforum Öffentliche Sicherheit e. V., Berlin
- Gerd Friedsam, Präsident – Bundesanstalt Technisches Hilfswerk, Bonn
- Dr. Karsten Homrighausen, Landesbranddirektor – Berliner Feuerwehr, Berlin
- Frank Jörres, Bundesbeauftragter für den Katastrophenschutz
- Deutsches Rotes Kreuz e. V. – Generalsekretariat, Berlin
- Christoph Unger, Präsident – Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Bonn
- Hartmut Ziebs, ehemaliger Präsident – Deutscher Feuerwehrverband e. V., Berlin