Gesundheits- und Sozialexperten fordern mehr Wertschätzung für die Pflegeversorgung und eine bessere Bezahlung der Fachkräfte. Zudem weisen Fachleute auf die Bedeutung der pflegenden Angehörigen für die Versorgung hin und schlagen Entlastungen vor. Die Sachverständigen äußerten sich anlässlich einer Anhörung des Gesundheitsausschusses unter Vorsitz von Harald Weinberg (Die Linke) am Mittwoch, 9. September 2020, zu zwei Anträgen von Bündnis 90/Die Grünen in schriftlichen Stellungnahmen.
Zwei Anträge der Grünen
Die Grünen-Fraktion fordert eine Entlastung professioneller Pflegekräfte. Die Pflege sei schon immer systemrelevant gewesen, heißt es in einem Antrag der Fraktion (19/19136). In Deutschland spiegele der Lohnzettel die Arbeitsbedingungen, Zuständigkeiten und Systemrelevanz der professionellen Pflege nicht angemessen wider. Gefordert werden kurzfristige Initiativen zum Schutz der Pflegekräfte in der Corona-Krise sowie perspektivisch eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen.
Ferner brauchen nach Ansicht der Grünen auch die pflegenden Angehörigen mehr Unterstützung. Die Abgeordneten fordern in einem weiteren Antrag (19/18957) einen besseren Infektionsschutz für pflegebedürftige Menschen und Pflegepersonen. Kommunen sollten Hilfe bekommen beim Aufbau von Unterstützungsstrukturen. Sinnvoll seien eine einheitliche Notfall-Hotline und ein zentrales Register mit Notbetreuungsangeboten. Pflegenden Angehörigen sollte eine Lohnfortzahlung für bis zu sechs Wochen gewährt werden, wenn bei einer Epidemie keine Betreuungsmöglichkeit verfügbar sei.
„Mehr Personal nötig“
Mehrere Fachleute unterstützten die Anträge im Grundsatz. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) erklärte, die Wertschätzung der Pflege müsse sich dringend in besseren Arbeitsbedingungen und in tariflicher Bezahlung widerspiegeln, etwa in der Altenpflege. Nötig sei auch mehr Personal.
Trotz gestiegener Anforderungen seien die Personalschlüssel in der Altenpflege seit den 1990er-Jahren nahezu unverändert geblieben. Von zentraler Bedeutung sei, dass ein in der Erprobung und Einführung bewährtes Personalbemessungssystem bundesweit eingeführt werde.
Bonuszahlung von 100 Millionen Euro vereinbart
Zustimmung kam von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), die erklärte, Wertschätzung und Entlastung seien die wesentlichen Bedingungen dafür, Pflegende an die Kliniken zu binden und neue Pflegekräfte zu rekrutieren. Der Bedarf an Pflegepersonal müsse gemessen und die Personalausstattung möglichst an den Bedarf angepasst werden. Laut DKG bezahlen alle Krankenhäuser ihre Pflegekräfte nach Tarif. Zudem sei unlängst mit dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) eine Bonuszahlung für in der Corona-Krise besonders belastete Pflegekräfte in Höhe von insgesamt 100 Millionen Euro vereinbart worden.
Die kommunalen Spitzenverbände sprachen sich für Reformen in einem Gesamtkontext aus. Derzeit werde eine Diskussion zur gerechten Finanzierung der Pflege mit Blick auf die steigenden Eigenanteile der Pflegebedürftigen und die Kosten der Sozialhilfe geführt. Die Entlastung pflegender An- und Zugehöriger sei dabei ein wichtiger Aspekt innerhalb eines zu reformierenden Gesamtsystems.
Pflegepersonal überwiegend weiblich
Die Arbeitsforscherin Dr. Tine Haubner von der Universität Jena stellte fest, dass trotz der prognostizierten Abnahme familiärer Pflegebereitschaft die Angehörigen den größten und zugleich kostengünstigsten Pflegedienst stellten. Von den insgesamt rund 3,4 Millionen Pflegebedürftigen würden drei Viertel ausschließlich oder unter anderem von Angehörigen versorgt.
Die Mehrheit der drei bis fünf Millionen privaten Pflegepersonen sei weiblich und nahezu im Umfang einer Vollzeitbeschäftigung in der Pflege eingebunden. Die häusliche Pflege durch Angehörige sei mit einem erhöhten Armuts- und Gesundheitsrisiko insbesondere für Frauen verbunden. (pk/09.09.2020)
Liste der geladenen Sachverständigen
Verbände und Institutionen:
- Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e. V. (bpa)
- Deutsche Krankenhausgesellschaft e. V. (DKG)
- Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft – ver.di
- GKV-Spitzenverband
- Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände
- Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e. V. (BAGFW)
- Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung, chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e. V. (BAG Selbsthilfe)
- Arbeitgeberverband Pflege
Einzelsachverständige:
- Brigitte Bührlen, Wir! Stiftung pflegender Angehöriger
- Carsten Drude, Bundesverband der lehrenden Gesundheits- und Sozialberufe
- Prof. Dr. Thomas Fischer, Evangelische Hochschule Dresden
- Dr. Tine Haubner, Friedrich-Schiller-Universität Jena
- Josef Hug, Städtisches Klinikum Karlsruhe
- Nadya Klarmann, Pflegekammer Niedersachsen
- Christian Pälmke, Pflegepolitik und Familienpflege wir pflegen Interessenvertretung und Selbsthilfe pflegender Angehöriger e. V.)
- Prof. Dr. Heinz Rothgang, SOCIUM Universität Bremen