Geschichte

21. Juni 1990: Garantie-Erklärung für die deutsch-polnische Grenze

Während der 16. Volkskammertagung stimmten die Abgeordneten der DDR-Parlaments einer Entschließung zur polnischen Westgrenze zu, aufgenommen am 21. Juni 1990 in Ost-Berlin.

Die Volkskammer stimmt am 21. Juni 1990 der Entschließung zur polnischen Westgrenze zu. (dpa - Bildarchiv)

Vor 30 Jahren, am Donnerstag, 21. Juni 1990, haben sowohl die Volkskammer der DDR als auch der Deutsche Bundestag in gleichlautenden Erklärungen die endgültige Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze zur Republik Polen erklärt. Nicht nur für Polen, sondern auch für die vier Partner bei den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen sendeten die beiden deutschen Parlamente damit ein wichtiges Signal. Sie machten damit nicht nur den Weg für die deutsche Wiedervereinigung frei, sondern legten auch den Grundstein für freundschaftliche Beziehungen zum Nachbarland. 

„Jegliche Zweideutigkeit ausräumen“

Die Republik Polen hatte sich durch die bevorstehende Wiedervereinigung beider deutscher Staaten in ihren Sicherheitsinteressen berührt gesehen und befürchtete eine Revision des Grenzverlaufs. Zwar hatte die DDR im Görlitzer Vertrag von 1950 die Grenze bereits anerkannt, und auch die Bundesrepublik hatte mit dem Warschauer Vertrag 1970 die Grenze als Status quo anerkannt. Nach dem Potsdamer Abkommen von 1945 sollte die endgültige Grenzregelung jedoch einem zukünftigen Friedensvertrag vorbehalten sein. 
Die polnische Regierung hatte daher eine Garantieerklärung für die Grenze noch vor der Wiedervereinigung Deutschlands gefordert. Die Bestätigung der völkerrechtlichen Gültigkeit der deutsch-polnischen Grenze in ihrem gegenwärtigen Verlauf durch die vier Mächte und das vereinte Deutschland war für die polnische Regierung unerlässlich. Es müsse jegliche Zweideutigkeit hinsichtlich des rechtlichen Status der polnisch-deutschen Grenze ausgeräumt werden.

Entschließung des Bundestages vom 8. März 1990

Der Deutsche Bundestag hatte deshalb bereits am 8. März 1990 eine Entschließung verabschiedet: „Das polnische Volk soll wissen, dass sein Recht, in sicheren Grenzen zu leben, von uns Deutschen weder jetzt noch in Zukunft durch Gebietsansprüche in Frage gestellt wird.“ Für Polens Ministerpräsident Tadeusz Mazowiecki war das zwar ein „Schritt in die richtige Richtung“, die Entschließung selbst sah er jedoch als „unzureichend“ an.

Auch die Fraktionen der Volkskammer hatten sich in ihrer zweiten Sitzung nach der Volkskammerwahl vom 18. März 1990 zur Unverletzlichkeit der Oder-Neiße-Grenze als Grundlage des friedlichen Zusammenlebens in einem gemeinsamen europäischen Haus bekannt. In der Sitzung am 12. April 1990 erklärten sie: „Wir bekräftigen die Unverletzbarkeit der Oder-Neiße-Grenze zur Republik Polen als Grundlage des friedlichen Zusammenlebens unserer Völker in einem gemeinsamen europäischen Haus. Dies soll ein künftiges gesamtdeutsches Parlament vertraglich bestätigen.“ 

Gleichlautende Erklärungen von Volkskammer und Bundestag

Am Donnerstag, 21. Juni 1990, bestätigten beide Parlamente in gleichlautenden Garantieerklärungen, dass das vereinte Deutschland mit Polen einen völkerrechtlichen Vertrag zur endgültigen Bestätigung der Oder-Neiße-Grenze schließen wird. Nach der Verlesung durch die Volkskammerpräsidentin Dr. Sabine Bergmann-Pohl wurde die Erklärung mit großer Mehrheit bei sechs Gegenstimmen und 18 Stimmenthaltungen durch die Abgeordneten der Volkskammer angenommen.
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl (CDU) bekräftigte in einer Regierungserklärung vor dem Bundestag: „Der Deutsche Bundestag richtet heute gemeinsam mit der Volkskammer der DDR eine unmissverständliche Botschaft an Polen: Die Grenze Polens zu Deutschland, so wie sie heute verläuft, ist endgültig. Sie wird durch Gebietsansprüche von uns Deutschen weder heute noch in Zukunft in Frage gestellt. Dies wird nach der Vereinigung Deutschlands in einem Vertrag mit der Republik Polen völkerrechtlich verbindlich bekräftigt werden. Für das künftig geeinte Deutschland kann erst eine gesamtdeutsche Regierung eine für die Zukunft völkerrechtlich verbindliche Unterschrift leisten. Erst ein gesamtdeutsches Parlament kann einen solchen Vertrag ratifizieren.“ Jedoch stellte er klar: „Am Willen des deutschen Volkes, bekundet durch den Deutschen Bundestag und die Volkskammer der DDR, kann nicht gezweifelt werden.“ 

Kohl: Wir stehen heute vor einer klaren Entscheidung

Unumstritten war die Erklärung zur polnischen Grenze dennoch nicht. Bis zuletzt hatten Vertriebenenorganisationen dagegen protestiert, die ehemaligen deutschen Ostgebiete so preiszugeben. Für die Heimatvertriebenen standen die Ostgebiete, wie im Potsdamer Abkommen festgelegt, nach wie vor nur unter polnischer Verwaltung. Deshalb erklärte der Bundeskanzler auch an die Vertriebenen gerichtet: „Wer die historische Chance nutzen will, die Einheit Deutschlands in Freiheit zu vollenden, der muss auf die Frage der polnischen Westgrenze eine klare Antwort geben. Dies erwarten nicht nur die Polen von uns. Dies erwarten ebenso alle unsere Nachbarn und Partner in Europa und vor allem auch die Vier Mächte, also die Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreich, Großbritannien und die Sowjetunion.“ 
Kohl weiter: „Niemand soll sich täuschen: Wir stehen heute vor einer ganz klaren Entscheidung. Entweder wir bestätigen die bestehende Grenze, oder wir verspielen heute und für jetzt unsere Chance zur deutschen Einheit. Die Entscheidung, die wir als frei gewählte Abgeordnete heute hier treffen müssen, ist richtig und notwendig; denn es geht um die Einheit und Freiheit Deutschlands, und zugleich geht es um ein Werk des Friedens und der Versöhnung.“

487 Ja-Stimmen bei 15 Gegenstimmen und drei Enthaltungen

Lediglich 15 Bundestagsabgeordnete stimmten am Ende mit Nein. 487 Abgeordnete votierten in der namentlichen Abstimmung für die Garantieerklärung. Es gab drei Enthaltungen. 
Gut sechs Wochen nach der Wiedervereinigung, am 14. November 1990, unterzeichneten Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) und sein polnischer Amtskollege Prof. Dr. Krzysztof Skubiszewski in Warschau den Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die Bestätigung der zwischen ihnen bestehenden Grenze. (klz/14.06.2020)

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