Inneres

Exper­ten halten Identitäts­kontrolle beim Boarding für zu­lässig

Ein Gesetzesvorstoß des Bundesrates zur Verbesserung der Sicherheit im Luftverkehr findet unter Experten überwiegend Zuspruch. Allerdings äußerten Vertreter der Luftfahrtbranche selbst am Montag, 15. Juni 2020, vor dem Ausschuss für Inneres und Heimat unter Leitung von Andrea Lindholz (CDU/CSU) grundsätzliche Einwände. Gegenstand der öffentlichen Anhörung war die Einführung eines Pflichtabgleichs von Bordkarte mit einem Identitätsdokument beim Boarding vor dem Besteigen eines Luftfahrzeugs.

Gesetzentwurf des Bundesrates

Der Bundesrat hatte auf Initiative Niedersachsens im September 2018 einen Entwurf zur Änderung des  Luftsicherheitsgesetzes verabschiedet und dem Bundestag zur Einbringung zugeleitet (19/16428, 19/16717). Demnach sollen Fluggesellschaften verpflichtet werden, die Ausweise ihrer Passagiere beim Einstieg zu prüfen und mit den Daten auf der Bordkarte abzugleichen.

Dies ist in Deutschland bisher nicht vorgeschrieben. Anlass der niedersächsischen Initiative war der Fall des irakischen Asylbewerbers Ali B., der im Juni 2018 nach dem Mord an einer jungen Frau mit seiner Familie unter falschem Namen von Düsseldorf über Istanbul nach Erbil im Nordirak flog.

„Mit Europarecht vereinbar“

Der Professor für Luftrecht an der Technischen Universität Berlin Dr. jur. Elmar Giemulla wies in seiner Stellungnahme darauf hin, dass es innerhalb des Schengen-Raums heute relativ problemlos möglich sei, ein Flugzeug unter falschem Namen zu besteigen, weil dabei lediglich die Bordkarten vorzuweisen seien.

Passagiere mit außereuropäischen Reisezielen würden zwar von der Grenzpolizei kontrolliert, die aber nur die Ausweise, nicht die bei der Buchung zur Person des Reisenden gemachten Angaben überprüfe. Mit Europarecht sei die vom Bundesrat angeregte Neuregelung ohne Weiteres vereinbar, meinte Giemulla.

„Geltende Rechtslage polizeilich unbefriedigend“

Der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei Sven Hüber nannte die geltende Rechtslage „aus polizeilicher Sicht unbefriedigend“. Ein Identitätsnachweis als Voraussetzung für den Zugang zum Sicherheitsbereich eines Flughafens sei derzeit nicht in allen Fällen gewährleistet.

Die unterschiedlichen Sicherheitsstandards bei Flügen innerhalb und außerhalb des Schengen-Raums widersprächen der Intention des Luftsicherheitsgesetzes. Auch illegaler Migration werde damit Vorschub geleistet.

„Abgleich Personalausweis – Bordkarte zulässig“

Ebenfalls zustimmend äußerte sich der Bundesbeauftragte für den Datenschutz Professor Ulrich Kelber, nach dessen Worten ein Abgleich der Personalausweise mit den Bordkarten der Reisenden durch die Luftfahrtunternehmen „zulässig“ wäre.

Kelber hob das Interesse der Fluggesellschaften selber hervor, über die Identität ihrer Passagiere zweifelsfrei Bescheid zu wissen als Voraussetzung für die ordnungsgemäße Erfüllung des Beförderungsvertrages. Unzulässig wäre nach seinen Worten allein eine anlasslose Langzeitspeicherung von Fluggastdaten.

„Regelung hätte unbestreitbaren Mehrwert“

Gunter Ceuppens von Nationalen Krisenzentrum Belgiens in Brüssel sprach sich für eine europaweit einheitliche Regelung aus. In diesem Sinne habe sich im Frühjahr 2018 auch eine Expertenrunde aus allen EU-Staaten geäußert. Bisher ist der Abgleich von Passagierdaten mit Personaldokumenten nur in Belgien, Frankreich, Luxemburg und Ungarn Pflicht. Auch wenn hundertprozentige Sicherheit nie zu gewährleisten sei, hätte eine solche Regelung einen unbestreitbaren Mehrwert.

Uta Schöneberg, Referatsleiterin im niedersächsischen Innenministerium, nannte es „erstaunlich“, dass die „Zuordnung von Fluggastdaten zu den tatsächlich reisenden Personen“ noch immer nicht gewährleistet sei. Kriminelle profitierten von diesem Zustand. Eine Neuregelung käme den Ermittlungsinteressen der Sicherheitsbehörden zugute.

„Verspätungen im Flugverkehr unvermeidliche Folge“

Dagegen erklärte Lufthansa-Sicherheitschef Jürgen Faust den Vorschlag des Bundesrates für „nicht geeignet, die Luftsicherheit zu erhöhen“. Er äußerte Zweifel an der Umsetzbarkeit einer Neuregelung und warnte vor weiteren Verspätungen im Flugverkehr als unvermeidlicher Folge.

Ähnlich äußerte sich Sebastian Zurfähr, Leiter des Bereichs Luftsicherheit im Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft. Identitätskontrollen seien eine hoheitliche Aufgabe, Fluggesellschaften als „Hilfspolizisten“ nicht geeignet. Gegen den Vorstoß des Bundesrates bestünden daher auch „erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken“. (wid/16.06.2020)

Liste der Sachverständigen

  • Kirsten Bock, Brodersdorf
  • Gunter Ceuppens, Nationaal Crisiscentrum – Centre National de Crise, Brüssel
  • Jürgen Faust, Head of Security Lufthansa Airlines & Corporate Aviation Security, Frankfurt am Main
  • Prof. Dr. jur. Elmar Giemulla, Technische Universität, Berlin
  • Sven Hüber, Gewerkschaft der Polizei – Bundespolizei, Hilden
  • Prof. Ulrich Kelber, Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Bonn
  • Uta Schöneberg, Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport, Hannover
  • Sebastian Zurfähr, Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft e. V., Berlin


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