Kinderkommission

Thomas Krüger: Jugend­liche bewe­gen sich in der digi­talen Rea­lität

Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb)

Thomas Krüger (links), Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, im Gespräch mit dem Vorsitzenden der Kinderkommission, Matthias Seestern-Pauly, vor der öffentlichen Sitzung der Kinderkommission am 17. Juni. (DBT/Melde)

Kinder und Jugendliche bewegen sich heute ganz selbstverständlich in der digitalen Realität, haben ihre eigenen Formen der Kommunikation und wollen die Welt, in der sie leben, mitgestalten. Wie die Bundeszentrale für Politische Bildung die politische Partizipation der jungen Leute mit maßgeschneiderten digitalen Angeboten fördert, darüber informierte Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, die Mitglieder der Kinderkommission unter der Leitung von Matthias Seestern-Pauly (FDP) in einem öffentlichen Expertengespräch unter dem Titel „Partizipation von Kindern und Jugendlichen  ein partizipativer Staat  Zukunft gestalten“ am Mittwoch, 17. Juni 2020.

„Digitalen Medien kommt eine Schlüsselrolle zu“

Nicht zuletzt aus demografischen Gründen komme der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen heute in Ländern wie Deutschland eine hohe Bedeutung zu, machte Krüger klar. Diesen werde in Zukunft durch die gealterte Gesellschaft eine Menge zugemutet. Sie sollten daher nicht nur in der Zukunft, sondern auch bereits in der Gegenwart mitbestimmen dürfen.

Den digitalen Medien komme dabei eine Schlüsselrolle zu. Dass man jungen Menschen Beteiligungsmöglichkeiten gewähren müsse, ja dass diese ein Recht auf den Zugang zu den Medien hätten, sei bereits in der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen verankert.

„Alltägliche Erfahrung direkter Kommunikation“

Charakteristisch für die Mediennutzung der Kinder und Jugendlichen sei deren alltägliche Erfahrung direkter Kommunikation, ihre unmittelbare Beteiligung an Diskursen und Aktionen. Die jungen Leute seien nicht mehr auf die klassischen Medien als „gate keeper der Meinungsbildung“ angewiesen und nutzten diese immer weniger.

Außerdem vollziehe sich im digitalen Bereich, in den sozialen Medien, bei Apps und Spielen eine Entwicklung weg von der verbalen und textbasierten Kommunikation, hin zu audiovisuellen Codes. Das verändere auch das Lernverhalten, die Aneignung von Wissen. Darauf müssten Institutionen wie die Bundeszentrale für politische Bildung eingehen.

Gaming-Szene bestimmt den Alltag“

Seit den 2000er-Jahren habe die Bundeszentrale sich Gedanken gemacht, wie man insbesondere diejenigen Jugendlichen erreiche, die die klassischen Formen der politischen Bildung nicht wahrnehmen, und habe Strategien entwickelt, mit denen man die Kinder und Jugendlichen in deren eigenen Medienwelten abholen könne.

Das sei zum Teil noch der TV-Bereich, aber vor allem die Gaming-Szene, die den Alltag der jungen Leute ganz wesentlich bestimme. Parallel zum Spielen kommunizierten die Mitspieler viel miteinander. Dadurch vermittelten sich beispielsweise sprachliche Schlüsselqualifikationen in Englisch ganz von selbst.

Online-Angebote für Kinder und Jugendliche“

Die Bundeszentrale habe sich vor acht Jahren entschlossen, ganz stark auf Online-Angebote für Kinder und Jugendliche zu setzen, erzählte Krüger, und sich mit bei den jungen Leuten anerkannten Internet-Stars zusammenzutun. Die Kampagne „Youtuber gegen Nazis“ im Jahr 2013 sei ein überwältigender Erfolg gewesen und habe diese Entscheidung bestätigt.

Man habe innerhalb weniger Wochen mehrere Millionen Downloads der produzierten Videos sowie Millionen Kommentare registriert, was das gewählte Format zu einem interaktiven, partizipatorischen Ereignis habe werden lassen. Während die  klassischen Medien das nicht wahrgenommen hätten, werde man nach derartigen Kampagnen regelmäßig von Schulen mit Anfragen nach pädagogischen Materialien überrannt.

„Auf Gesichter aus der Internetszene setzen“

Weitere Themenschwerpunkte seien die Erklärung der „Religionswelten des Islams“ und ein Angebot zur Unterscheidung von „fake news und real news“ gewesen.

Um nicht an der Zielgruppe vorbei zu produzieren, sei es wichtig, dass Kinder und Jugendliche bei Produktionen in die Themenfindung eingebunden würden, dass man bei Erklärvideos „nicht auf die klassischen Erklärmenschen“ der traditionellen Medien setze, sondern auf bekannte und glaubwürdige Gesichter aus der Internetszene, denen die jungen Leute mehr Vertrauen entgegenbrächten, und dass man die Fülle der Kommentare durch ein fachlich versiertes Redaktionsteam moderiere.

„Die tägliche Dosis Politik“

„Kinder und Jugendliche haben einen Bedarf mitzureden und sich zu positionieren“, sagte Krüger. Dazu biete die Bundeszentrale eine ganze Bandbreite an Formaten und Möglichkeiten an: von dem knappem Überblick und vertiefendem Wissen, ohne dabei lehrmeisterlich aufzutreten, über Mitrede- und Mitmach-Formate bis hin zu dem Schritt, Kinder und Jugendliche als „Ko-Produzenten“ zu beteiligen.

Jenseits der klassischen Webseiten biete man einen mobilen Messenger-Service, bei dem sich mittlerweile 30.000 junge Leute ihre „tägliche Dosis Politik“ auf ihr Smartphone schicken ließen. Ebenso lebe das Format des Comics on- wie offline fort. Sämtliche aktuellen Fragen des politischen Diskurses würden da verhandelt.

„Sich für Neues öffnen und experimentieren“

Als Institution wie die Bundeszentrale für politische Bildung müsse man stets bereit sein, sich für Neues zu öffnen und zu experimentieren, um politische Bildung für alle, aber so aufgefächert, anzubieten, dass die unterschiedlichen Zielgruppen sich darin wiederfänden, erklärte Krüger. Neue Angebote müsse man sehr gut durchdenken, zu Fehlern bereit sein, aber auch vorbereitet auf Attacken, sei es von Verschwörungstheoretikern oder aus der rechts- oder linksradikalen Szene.

Innerhalb der Angebote der Bundeszentrale lasse man dabei eine breite Kontroverse zu, solange sie sich im durch die Verfassung gesteckten Rahmen bewege. Komme es aber zu beleidigenden Kommentaren etwa auf religiösem Gebiet oder allgemein zu Hasskommentaren, sei es Aufgabe der Bildungsangebote, einzugreifen und dies zu problematisieren. Sei doch die politische Bildungsarbeit ebenso wenig Propaganda für oder gegen etwas wie ein normativer Freiraum des „Anything goes“. (ll/17.06.2020)

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