Die geplanten Änderungen des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) waren Thema einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz unter Vorsitz von Prof. Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU) am Mittwoch, 17. Juni 2020. Dazu lagen ein Gesetzentwurf der Bundesregierung (19/18792) mit der Stellungnahme des Bundesrates und der Gegenäußerung der Bundesregierung (19/19367) sowie ein Antrag der FDP-Fraktion (19/16477) vor.
Die neun geladenen Sachverständigen kamen in ihren Stellungnahmen zu unterschiedlichen Bewertungen des Entwurfs, der eine Reihe von ergänzenden Regelungen enthält, um die Bekämpfung strafbarer Inhalte auf den Plattformen der erfassten Anbieter sozialer Netzwerke weiter zu verbessern und transparenter zu machen. Fragen der Abgeordneten betrafen vor allem die EU-Konformität des Entwurfs, die Behandlung von Video-Sharing-Diensten im Ausland, mögliche Probleme beim Gegenvorstellungsverfahren und das Zusammenspiel von Kontrolle und Staatsferne.
„Gute Ansätze zur Stärkung der Nutzerrechte“
Rechtsanwältin Josephine Ballon von der gemeinnützigen Organisation HateAid, die Betroffene von digitaler Gewalt unterstützt, erklärte, es gehe nach den kontroversen Diskussionen zur Einführung des NetzDG weiterhin um die zentrale Frage, inwiefern die Meinungsfreiheit durch dieses Gesetz gewahrt oder beschnitten wird.
Der Entwurf beinhalte gute Ansätze zur Stärkung der Rechte betroffener Nutzer. Deswegen sei es umso bedauerlicher, dass die konkrete Ausgestaltung der Maßnahmen teilweise nur zaghaft, wenig aussagekräftig und mitunter auch nur oberflächlich erfolgte. Viele Regelungen würden in der Praxis ins Leere laufen, wenn der Gesetzgeber diese nicht noch einmal konkretisiert und mit der juristischen Praxis abgleicht.
„Kritikpunkte werden nicht ausgeräumt“
Dr. Anne Busch-Heizmann vom Verein Digitale Gesellschaft erklärte, die bisherigen Kritikpunkte würden mit dem Entwurf nicht ausgeräumt und zum Teil sogar verschärft. Es sei eine Gefahr für die Meinungsfreiheit, wenn dazu ermuntert werde, künstliche Intelligenz zur Erkennung und Bewertung von Inhalten einzusetzen und wenn gesetzliche Vorgänge in private Hände gegeben würden.
Selbstverständlich müssten Straftatbestände, die im Internet stattfinden, verfolgt und sanktioniert werden, und der Staat habe die Pflicht, Betroffene zu schützen. Dabei dürften jedoch bestehende Bürgerrechte nicht mit Mitteln beschnitten werden, die einer Internetzensur und Überwachung Vorschub leisteten.
„Regelungen für Zielerreichung ungeeignet“
Sabine Frank, Leiterin Regulierung, Verbraucher- und Jugendschutz bei Google, erklärte, der Internetdiensteanbieter werde weiterhin erhebliche Anstrengungen unternehmen, um die Ausbreitung von Hass und Hetze aufzuhalten. Während Google die Ziele des Gesetzentwurfs zur Änderung des NetzDG mittrage, würden die vorgeschlagenen Regelungen für nicht geeignet gehalten, dieses Ziel zu erreichen.
Frank zufolge dürften die Gesetze dazu führen, dass das Vertrauen der Bevölkerung in einen funktionierenden Rechtsstaat schwindet und die Sorgen von Nutzern vor einer staatlichen Überwachung von öffentlicher Kommunikation zunehmen. Im Einzelnen bemängelte Frank, dass der Entwurf nicht das Herkunftslandprinzip nach der E-Commerce-Richtlinie der EU stehe. Die Überwachung der Dienste der Informationsgesellschaft durch eine regierungsnahe Stelle wie das Bundesamt für Justiz verstoße gegen den Grundsatz der Staatsferne. Im Interesse eines kohärenten europäischen Ansatzes sollte der Gesetzentwurf verschoben werden.
Fehlende Konformität mit EU-Recht bemängelt
Prof. Dr. jur. Marc Liesching von der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig bemängelte ebenfalls eine fehlende Unionsrechtskonformität des Entwurfs. Die Europarechtswidrigkeit des NetzDG und die Unanwendbarkeit des Gesetzes auf soziale Netzwerke mit Sitz in anderen EU-Mitgliedstaaten ergebe sich im Lichte der Spruchpraxis der EU-Kommission und des Europäischen Gerichtshofs derart deutlich, dass niemand in der Rechtswissenschaft von einer EU-Rechtskonformität des NetzDG ausgehe.
In seiner Stellungnahme würden die Gründe der Europarechtswidrigkeit des NetzDG dokumentiert. Im Falle einer künftigen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zum NetzDG könne somit transparent nachvollzogen werden, dass die Unionsrechtswidrigkeit aufgrund der klaren Missachtung des Herkunftslandprinzips den Abgeordneten des Bundestages hätte bekannt sein können, schreibt Liesching in seiner Stellungnahme.
„Verstoß gegen Herkunftslandprinzip nicht ersichtlich“
Prof. Dr. Rolf Schwartmann von der Technischen Hochschule Köln betonte demgegenüber die Europarechtskonformität des Entwurfs. Die Regelungen stünden im Einklang mit den Zuständigkeitsvorgaben der E- Commerce-Richtlinie und regelten in Übereinstimmung mit der Richtlinie zulässige mitgliedstaatliche Verfahrensvorgaben. Ein Verstoß gegen das Herkunftslandprinzip sei nicht ersichtlich.
Zur Zuständigkeit des Gesetzgebers erklärte er, dieser sei für den Erlass des NetzDG zuständig gewesen und sei es auch für den vorliegenden Änderungsentwurf. Eine Inhaltskontrolle, für die die Länder zuständig seien, finde hier gerade nicht statt. Die Einführung eines Gegenvorstellungsverfahrens sei angezeigt, erklärte Schwartmann. Das Verfahren biete zum Schutz der Meinungsfreiheit einen weiteren Mechanismus, um der Gefahr von Overblocking wirksam entgegentreten zu können.
Institutionalisierten Informationsaustausch befürwortet
Aus der Sicht des Vorsitzenden der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten, Dr. Wolfgang Kreißig, weist die Vorlage offensichtliche Schnittstellen zur inhaltebezogenen Medienregulierung auf Länderebene und zur Aufsichtstätigkeit der Landesmedienanstalten auf, die nicht zufriedenstellend gelöst seien. Zur Wahrung der Einheit der Rechtsordnung und zur bestmöglichen Regulierung von Plattformen sollten daher bewährte Instrumente zur Regelung der Zusammenarbeit von Behörden in das NetzDG implementiert werden.
So sollte es einen institutionalisierten Informationsaustausch des Bundesamtes für Justiz mit der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) geben. Eine finale Entscheidung über das Löschen oder den Verbleib von Inhalten müsse hoheitlichen – und in diesem Falle staatsfern organisierten – Einrichtungen überlassen bleiben, betonte Kreißig. Das Konzept der Übertragung solcher Aufgaben auf Private sollte daher grundsätzlich überdacht werden.
„Anbieter haben Geschäftsprozesse an das Gesetz angepasst“
Heinz-Josef Friehe, Präsident des Bundesamtes für Justiz (BfJ), zog in seiner Stellungnahme nach knapp drei Jahren praktischer Erfahrung mit dem NetzDG eine positive Bilanz der Arbeit der Behörde. So hätten die Anbieter von sozialen Netzwerken ihre Geschäftsprozesse an die gesetzlichen Regelungen angepasst, indem sie etwa ein Verfahren zur Übermittlung von Beschwerden über rechtswidrige Inhalte zur Verfügung stellen.
Keinerlei Anhaltspunkte hätten sich dafür ergeben, dass die Anbieter sozialer Netzwerke aus Furcht vor möglichen Bußgeldern des BfJ Beiträge ihrer Nutzer übereilt und ungerechtfertigt löschen oder sperren würden. Wie Friehe erklärte, haben die zusätzlichen Möglichkeiten des Verwaltungshandelns, die der Entwurf eröffne, aus Sicht des BfJ das Potenzial, den Umgang mit den sozialen Netzwerken erheblich zu vereinfachen.
„Nutzern steht auch der Zivilrechtsweg offen“
Der Berliner Rechtsanwalt Niko Härting, der für den Deutschen Anwaltverein (DAV) sprach, begrüßte, dass der Gesetzgeber in dem Entwurf den Bedenken des DAV Rechnung getragen habe. Klargestellt werden sollte, dass Nutzern neben der Gegenvorstellung auch der Zivilrechtsweg offensteht.
Härting schlug vor, das Beschwerde- und Gegenvorstellungsverfahren zu vereinfachen und die Strafverfolgungsbehörden nicht unnötig zu belasten. Schließlich sollte das BfJ nicht nur eine Vollzugsfunktion haben, sondern auch eine beratende Funktion gegenüber Anbietern sozialer Netzwerke und deren Nutzern.
Besseren Datenzugang für die Wissenschaft gefordert
Prof. Dr. Simon Hegelich von der Technischen Universität München forderte einen besseren Datenzugang für die Wissenschaft und schilderte Erfahrungen aus der Praxis. In vielen Bereichen teilten Plattformunternehmen bereits umfangreiche Datensätze mit der Wissenschaft. Wie eine solche Kooperation funktioniert und welche Probleme sie mit sich bringt, könne am Beispiel des Projekts Social Science One von Facebook nachvollzogen werden, sagte Hegelich.
Die Grundidee des Projektes sei gewesen, Zielkonflikte dadurch zu lösen, dass zwischen Wissenschaft und Unternehmen eine unabhängige dritte Instanz geschaltet wird. Leider sei es auf ganzer Linie gescheitert. Es scheine, als ob Facebook eine wissenschaftliche Analyse und Aufarbeitung seines Einflusses auf die Wahlen verhindern wolle, anstatt sie zu ermöglichen.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Die Bundesregierung plant mit ihrem Gesetzentwurf eine Reihe von ergänzenden Regelungen, um die Bekämpfung strafbarer Inhalte auf den Plattformen der erfassten Anbieter sozialer Netzwerke weiter zu verbessern und transparenter zu machen. Ferner sollen Streitigkeiten zwischen Beschwerdeführern sowie Nutzern mit den Anbietern zukünftig einfacher und effektiver beigelegt werden können. Auch sollen zivilrechtliche Ansprüche wegen der Verletzung absolut geschützter Rechte aufgrund rechtswidriger Inhalte leichter durchgesetzt werde können.
Wie es in dem Entwurf heißt, ist die Notwendigkeit der Bekämpfung strafbarer Hassrede im Internet von unveränderter Aktualität. Strafbare Hassrede könne zum Nährboden für tätliche Angriffe auf Leib und Leben von Bürgerinnen und Bürgern werden. Die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke oder die Attentate im Umfeld der Synagoge in Halle (Saale) seien hierfür besorgniserregende Anhaltspunkte. Dies gelte auch für den extremistischen Anschlag in Hanau im Februar 2020 durch einen Täter, der im Vorfeld rassistische Inhalte in sozialen Netzwerken eingestellt und verbreitet habe.
Im Einzelnen sieht der Entwurf Ergänzungen der Informationspflichten im Rahmen des Paragrafen 2 des NetzDG vor. Ferner sollen die Meldewege zum Übermitteln von Beschwerden über rechtswidrige Inhalte nutzerfreundlicher werden. Vor dem Hintergrund eines befürchteten Overblockings will die Regierung ein Verfahren zum Umgang mit Gegenvorstellungen gegen Maßnahmen des Anbieters eines sozialen Netzwerks einführen. Eine Schlichtungsstelle für entsprechende Streitigkeiten soll anerkannt werden können. Erweitern will die Regierung die Befugnisse des Bundesamtes für Justiz um Aufsichtsbefugnisse.
Bundesrat-Stellungnahme mit 17 Anmerkungen
In seiner Stellungnahme (19/19367) bittet der Bundesrat unter anderem, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob als Konsequenz aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 3. Oktober 2019 (Rechtssache C – 18 / 18) eine gesetzliche Regelung geschaffen werden sollte, wonach die bereits bestehende gesetzliche Löschungsverpflichtung der Plattformbetreiber über den konkret gemeldeten Inhalt hinaus auf wortgleiche rechtswidrige Inhalte sowie möglichst auch auf sinngemäß inhaltsgleiche rechtswidrige Inhalte ausgedehnt wird.
Die Bundesregierung weist in ihrer Gegenäußerung unter anderem darauf hin, dass sich das Netzwerkdurchsetzungsgesetz mit seinen Compliance-Vorgaben bewusst auf den jeweiligen Inhalt richte, gegen den Beschwerde erhoben werde und der potenziell strafbar sei. Schon nuancierte Veränderungen des konkret gemeldeten Inhalts oder des jeweiligen Kontextes (zum Beispiel Satire, Berichterstattung) könnten eine andere Bewertung der Strafbarkeit erfordern. Aus Sicht der Bundesregierung sollte die im Beschluss angesprochene breiter angelegte Thematik nicht unter dem Zeitdruck des laufenden Gesetzgebungsverfahrens diskutiert werden. Anlass dazu biete auch der von der Europäischen Kommission angekündigte Vorschlag eines sogenannten Rechtsakts über digitale Dienste. Die Stellungnahme des Bundesrates umfasst 17 Anmerkungen, Vorschläge und Prüfbitten, die die Bundesregierung unterschiedlich bewertet.
Antrag der FDP
Die FDP schreibt in ihrem Antrag (19/16477), die Zunahme von Hass und Hetze, die über das Internet verbreitet würden, sei eine zentrale Herausforderung für die Demokratie. Die Gesellschaft müsse daher ein deutliches Zeichen gegen Hass und Hetze im Netz setzen. Erforderlich seien eine effektive Verfolgung von Straftaten im Netz, die Aufhebung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, die Aufnahme eines meinungsfreiheitsschützenden Regulierungsansatzes sowie Maßnahmen, welche die Betroffenen in die Lage versetzen, auch selbst gegen Beleidigungen, Drohungen und Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Netz vorgehen zu können.
Der Bundestag solle die Bundesregierung daher auffordern, die Rahmenbedingungen für eine effektive Verfolgung von Äußerungsstraftaten und strafbaren Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu schaffen und den Betroffenen die Durchsetzung ihrer Rechtspositionen zu erleichtern. (mwo/17.06.2020)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Josephine Ballon, HateAid gGmbH, Berlin Rechtsanwältin
- Dr. Anne Busch-Heizmann, Digitale Gesellschaft e. V., Berlin
- Sabine Frank, Google Germany GmbH, Leiterin Regulierung, Verbraucher- und Jugendschutz, Berlin
- Prof. Dr. Simon Hegelich, Technische Universität München
- Dr. Wolfgang Kreißig, Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten, Berlin
- Prof. Dr. jur. Marc Liesching, Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig, Fakultät Informatik und Medien, Berufungsgebiet: Medienrecht und Medientheorie
- Prof. Dr. Rolf Schwartmann, Technische Hochschule Köln, Leiter der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht
- Heinz-Josef Friehe, Präsident des Bundesamtes für Justiz, Bonn