Auswärtiges

Experten: Frie­dens- und Konflikt­forschung muss sich stärker ver­netzen

Die Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland muss sich stärker vernetzen, um ihr Potenzial voll auszuschöpfen und ihrer Beratungsfunktion gegenüber der Politik noch besser gerecht zu werden, so der Tenor in einem öffentlichen Expertengespräch des Unterausschusses „Zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetztes Handeln“ des Auswärtigen Ausschusses am Montag, 15. Juni 2020, unter der Leitung von Ottmar von Holtz (Bündis 90/Die Grünen). Von der Bundesregierung wollten die Abgeordneten wissen, wie diese die Empfehlungen des Wissenschaftsrates „zur Weiterentwicklung der Friedens- und Konfliktforschung“ vom Juni 2019 aufgegriffen hat.

Die Friedens- und Konfliktforschung liefere wesentliche Erkenntnisse zu Ursachen und Lösung internationaler Konflikte, ihre Ergebnisse stellten eine wichtige Grundlage für politische Entscheidungen dar, sagte Ottmar von Holtz. Das Gutachten des Wissenschaftsrates habe aber gezeigt, dass der „Wissenstransfer zwischen Wissenschaft und Politik noch nicht ideal“ verlaufe.

„Expertise der Friedensforschung gefragt“

Wie wichtig dem Auswärtigen Amt das Themenfeld der Friedens- und Konfliktforschung ist, zeige die Vorstellung des aktuellen Friedensgutachtens am 16. Juni 2020 in seinem Ministerium, sagte Sebastian Groth, Leiter des Planungsstabs im Auswärtigen Amt. Das Außenministerium sei innerhalb der Bundesregierung der größte Abnehmer von Beratungsdienstleistungen seitens der Friedens- und Konfliktforschung. „Wir haben auf diesem Gebiet keine Kernkompetenz und sind auf Beratung angewiesen.“

Ob es um technische Weiterentwicklungen im Bereich der nuklearen und konventionellen Rüstung und Rüstungskontrolle, die Nichtverbreitung und Verifikation, den gesamten Bereich der atomaren, biologischen und chemischen Waffensysteme oder die Auswirkungen der Digitalisierung und der Cyber-Kriegführung auf staatliche Belange gehe – auf all diesen Feldern sei die Expertise der Friedensforschung gefragt.

Gerade im Bereich der Naturwissenschaften sei es allerdings in Deutschland in den vergangen Jahren „zu einem Generationenbruch gekommen“, da viele Wissenschaftler aus Altersgründen ausgeschieden seien, so Groth. Nun müsse man eine neue Generation von Experten ausbilden. Er machte klar, dass sein Haus da nicht beiseite stehe und bei der Ausbildung mit Instituten wie dem Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) zusammenarbeite oder die bei der Projektförderung tätige Deutsche Stiftung Friedensforschung (DSF) in den kommenden vier Jahren mit zusätzlichen finanziellen Mitteln in Höhe von jeweils 1,5 Millionen Euro unterstütze.

„Unterstützen die Vernetzung von Forschungseinrichtungen“

Sein Ministerium sei zwar kein Nutzer dieses Wissens, sagte Peter Wenzel-Constabel, Leiter des Referates „Infrastrukturen für die Wissenschaft“ im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), habe aber den Überblick über die Wissenschaftslandschaft und bringe die nötige Erfahrung für die Forschungsförderung ein. Auf Veranlassung des Deutschen Bundestages hatte das BMBF den Wissenschaftsrat Ende 2016 darum gebeten, eine umfassende Evaluierung des Forschungsfeldes „Friedens- und Konfliktforschung“ und der auf diesem Gebiet tätigen Einrichtungen in Deutschland vorzunehmen. Den Empfehlungen der Gutachter entsprechend wolle sein Haus vor allem die Vernetzung von Forschungseinrichtungen unterstützen.

Dazu plane man seitens des BMBF ein 30 Millionen Euro umfassendes Förderprogramm, das ab dem kommenden Jahr sechs Jahre lang einerseits die Zusammenarbeit kleinerer Akteure vorantreiben solle, die jeweils eine spezifische Frage gemeinsam bearbeiten sollten, und andererseits die interdisziplinäre Kooperation von Forschungseinrichtungen, die sich auf Dauer zu größeren Kompetenzzentren zusammenschließen sollten. In den kommenden vier Jahren gebe man zudem pro Jahr zusätzliche Fördermittel von 2,5 Millionen Euro aus, um laufende Projekte fortzusetzen.

„Stark praxisorientierter Wissenschaftszweig“

Das extrem heterogene Forschungsfeld der Friedens- und Konfliktforschung mit seinem breiten Spektrum an Themen habe sich stets als äußerst fähig erwiesen, auch auf aktuelle Herausforderungen zu reagieren, bilanzierte Prof. Dr. Ursula Münch, Direktorin der Akademie für politische Bildung in Tutzing, Professorin für Politikwissenschaft an der Universität der Bundeswehr in München und Mitglied im Wissenschaftsrat, die Evaluierung der Friedens- und Konfliktforschung. Münch leitete die Arbeitsgruppe, die die Strukturen der Friedens- und Konfliktforschung im Auftrag des Wissenschaftsrats begutachtet hat.

Sie unterstrich zudem die starke Praxisorientierung des Wissenschaftszweigs. Es gebe einen kontinuierlichen Wissenstransfer zwischen dem Forschungsfeld und der Politik. Aber die Friedensforschung mit ihren zahlreichen kleinen Standorten müsse aus der Situation der „Versäulung“  herauskommen und sich stärker vernetzen. Dem solle die empfohlene zeitlich befristete Fördermaßnahme dienen. „Davon hängt ab, ob die deutsche Friedens- und Konfliktforschung sich im internationalen Vergleich sehen lassen kann“, sagte Münch.

Genauso wichtig wie die Vernetzung einzelner Forschungsinstitute sei darüber hinaus die interdisziplinäre Öffnung der Friedens- und Konfliktforschung, vor allem gegenüber Fächern wie der Islamwissenschaft, der naturwissenschaftlichen Forschung sowie dem Bereich der Informatik und Physik. Aus aktueller Sicht müsse man unbedingt die Gesundheitsforschung ergänzen.

„Da sind eklatante Fehler passiert“

Münch bedauerte, dass das Feld der Friedens- und Konfliktforschung in den letzten zwei, drei Jahrzehnten „viel zu stark“ abgebaut worden sei, indem bestehende Strukturen nicht erhalten worden seien, für die Deutschland zuvor auch international hohes Ansehen genossen habe. Nach dem Ende des Kalten Krieges habe der gesamte Bereich einen Bedeutungsverlust erlitten. „Da sind eklatante Fehler passiert.“ Es habe einfach keine neuen Stellenausschreibungen gegeben.

Zudem habe das Forschungsfeld den Faden zu anderen Disziplinen verloren, die aber für die Friedens- und Konfliktforschung relevant seien. An beides müsse man jetzt wieder anknüpfen. Dazu gelte es vor allem, den Fachbereich für Nachwuchswissenschaftler attraktiv zu machen. Um ihrer Projektförderung nachzukommen und ihre politische Unabhängigkeit abzusichern, müsse das Kapital der Deutschen Stiftung Friedensforschung aufgestockt werden.

„Blick über den deutschen Tellerrand hinaus“

Prof. Dr. Bettina Engels, Professorin für empirische Konfliktforschung an der Freien Universität Berlin und Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK), unterstrich ebenfalls die Notwendigkeit der Vernetzung sowie den Bedarf an zusätzlicher finanzieller Ausstattung. Sie begrüßte die vom Wissenschaftsrat vorgeschlagenen und die von der Bundesregierung ergriffenen Maßnahmen. Gute Forschung und Lehre und gute Verbandsarbeit kosteten eben Geld.

Engels machte deutlich, wie sehr der Gedanke der Vernetzung und Zusammenarbeit in ihrer Vereinigung gelebte wissenschaftliche Praxis sei. Die AFK sei eine wissenschaftliche Vereinigung, in der sich Friedensforscherinnen und -forscher verschiedener Disziplinen aus dem deutschsprachigen Raum zusammengeschlossen haben. Man schaue dabei über den deutschsprachigen Tellerrand hinaus. Ihr Verband vereine bereits die kleinen Forschungseinrichtungen, die sich genau diese nun angedachte Unterstützung wünschten. Man müsse darauf achten, dass bei der Vernetzung nicht die Vielfalt der vielen kleinen Einrichtungen einer Konzentration auf einige wenige große Cluster zum Opfer falle, mahnte Engels.

Ihre Forschungsarbeit finde sowohl in Berlin und Brandenburg, am Schreibtisch als auch vor Ort, etwa in der afrikanischen Sahelzone, statt, wo sie sich jedes Jahr für drei Monate zur Feldforschung aufhalte, erläuterte Engels. Forscher aus Deutschland, Österreich und der Schweiz tauschten sich beispielsweise mit Professoren aus Afrika und Amerika aus, arbeiteten an gemeinsamen Projekten: „Dazu brauchen wir flexible Förderformate.“ (ll/16.06.2020)

Liste der Sachverständigen

  • Prof. Dr. Ursula Münch, Direktorin der Akademie für politische Bildung Tutzing und Mitglied im Wissenschaftsrat
  • Prof. Dr. Bettina Engels, Professorin an der Freien Universität Berlin und Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK)

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