1. Untersuchungsausschuss

Zeuge schildert Aus­ein­an­der­setzung zwischen BKA und Düssel­dorfer LKA

Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen

Ein Konflikt zwischen dem Bundeskriminalamt und dem nordrhein-westfälischen Landeskriminalamt (Foto) beschäftigt den Untersuchungsausschuss. (© picture alliance/Federico Gambarini/dpa)

Ein Zeuge aus der Behörde des Generalbundesanwalts hat dem 1. Untersuchungsausschuss („Breitscheidplatz“) unter Vorsitz von Klaus-Dieter Gröhler (CDU/CSU) seine Wahrnehmung einer Auseinandersetzung zwischen Bundeskriminalamt (BKA) und nordrhein-westfälischem Landeskriminalamt um die Einschätzung eines Informanten im radikalislamischen Milieu geschildert. Er habe die zunächst skeptische Bewertung der sogenannten VP01 durch das BKA als Gefahr für eine laufende Ermittlung empfunden, in einer Besprechung zu diesem Konflikt allerdings nicht darauf gedrungen, das BKA möge seine Einschätzung korrigieren, sagte der Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof Horst Rüdiger Salzmann am Donnerstag, 2. Juli 2020. Der heute 63-jährige Zeuge leitet seit 2006 ein Ermittlungsreferat für Delikte aus dem Bereich des radikalislamischem Terrorismus.

„Zweifel an der Zuverlässigkeit des Informanten“

Er sei im Jahr 2015 mit drei Verfahren befasst gewesen, für die Erkenntnisse der vom Düssseldorfer LKA geführten VP01 von maßgeblicher Bedeutung gewesen seien, berichtete der Zeuge. Auf dieser Grundlage habe er vom zuständigen Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof mehrfach die Genehmigung von Überwachungsmaßnahmen erwirkt.

Umso irritierter sei er gewesen, als Gefährdungsanalysten des BKA Anfang 2016 Zweifel an der Zuverlässigkeit des Informanten äußerten. Er habe dadurch die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Ermittlungsrichter gefährdet gesehen und zu einer Besprechung nach Karlsruhe eingeladen, die am 23. Februar 2016 unter seiner Leitung stattgefunden habe.

„Kontrovers verlaufene Besprechung“

Anwesend waren die beiden mit dem Fall befassten Beamten aus dem BKA sowie Vertreter der Landeskriminalämter in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, unter ihnen zwei für VP01 zuständige V-Mann-Führer. Die Besprechung sei kontrovers, aber in nicht übermäßig erregter Atmosphäre verlaufen. Keiner der Beteiligten sei laut geworden, sagte der Zeuge. Die Beamten des BKA hätten sich überrascht gezeigt, als er die befürchteten Konsequenzen ihres skeptischen Urteils für den Fortgang seiner Ermittlungen dargestellt habe. Sie hätten ihre Einschätzung mit dem Hinweis begründet, es sei unwahrscheinlich, dass ein einzelner Informant zwei unterschiedliche Anschlagspläne in Erfahrung bringen könne.

Die V-Mann-Führer aus Düsseldorf hätten die Umstände des Einsatzes der VP01 dargestellt, insbesondere, dass sie das Vertrauen einer im Milieu hoch angesehenen Persönlichkeit genieße und mit der Legende auftrete, selber einen Anschlag zu planen. Die BKA-Vertreter hätten eingeräumt, das bisher nicht gewusst zu haben, und zugesagt, auf dieser neuen Grundlage ihre Bewertung zu ändern. Der Fall sei damit für ihn erledigt gewesen. Er habe nach Ende der Besprechung als erster den Raum verlassen.

„Anweisung von ganz oben“

Der Zeuge bestätigte, dass er am Tag danach von einem Vieraugengespräch zwischen dem Leiter der Ermittlungskommission in Düsseldorf und einem der beiden BKA-Vertreter erfahren habe. Ihm sei auch bekannt, dass der BKA-Beamte bei dieser Gelegenheit seine Zweifel an der Zuverlässigkeit des Informanten mit einer „Anweisung von ganz oben“ begründet habe. Nach seiner Überzeugung habe das Gespräch so stattgefunden.

Er könne aber ausschließen, dass darin der Name des damaligen Innenministers gefallen sei. Er hätte sich das sonst gemerkt. Da es sich um eine vertrauliche Unterredung gehandelt habe, habe er keinen Vermerk angefertigt und auch davon abgesehen, den Vorgesetzten des BKA-Beamten zu verständigen. Dies hätte er nur für erforderlich gehalten, wenn der Vorgang „erhebliche Nachteile in der Sache“ zur Folge gehabt hätte. Dies sei aber nicht der Fall gewesen. Der Zeuge widersprach der Darstellung, er habe in der Besprechung das BKA aufgefordert, seine Einschätzung zu ändern: „Mit Verlaub werde ich den Teufel tun.“ Er habe lediglich „die Ausgangslage geschildert“.

Auskünfte über die Befunde am Todesort Amris

Als zweiten Zeugen in öffentlicher Sitzung wird der Ausschuss Kriminalhauptkommissar A. H. aus dem Bundeskriminalamt hören. Er hat von 2016 bis 2020 seine Behörde als Verbindungsbeamter in Rom vertreten und war am 23. Dezember 2016 in Sesto San Giovanni bei Mailand, wo Amri am frühen Morgen von einem Polizisten erschossen worden war. Er war bereits für den 12. März dieses Jahres als Zeuge geladen worden, konnte aber damals wegen der Corona-Krise Rom nicht verlassen. Der Ausschuss erhofft von ihm Auskünfte über die Befunde am Todesort Amris, die Gegenstände, die er mit sich führte, den Zustand seiner Leiche gemäß dem Autopsiebericht.

In nichtöffentlicher Sitzung soll zudem ein Beamter des Bundesnachrichtendienstes (BND), der Zeuge M. B., aussagen. Er war bereits mehrfach geladen worden, bisher aber nie zu Wort gekommen. Der Ausschuss wird mit ihm die internationalen Aspekte des Falles Amri erörtern, insbesondere die Beiträge ausländischer Nachrichtendienste zu den Ermittlungen.

Ausschuss besteht auf persönlicher Einvernahme

Zunächst war geplant, am 2. Juli auch den früheren Informanten „VP01“ in nichtöffentlicher Sitzung auftreten zu lassen. Er hatte zu Jahresanfang unter seinem Decknamen Murat Cem dem Magazin „Der Spiegel“ seine Geschichte anvertraut. Der Ausschuss konnte sich aber mit dem zuständigen nordrhein-westfälischen Innenministerium bisher nicht über die Modalitäten seiner Befragung einigen.

Es sei davon auszugehen, schrieb Innenminister Herbert Reul dem Ausschuss Mitte Juni, „dass für die VP01 im Fall der Identifizierung eine erhebliche Leib- und Lebensgefahr besteht“. Reul schlug daher eine schriftliche Befragung vor. Der Ausschuss besteht bislang auf einer persönlichen Einvernahme.

„Es rieselt mir heute noch den Rücken runter“

Im weiteren Verlauf der Sitzung berichtete ein ehemaliger Verbindungsbeamter des BKA in Rom über die Ermittlungen nach dem Tod des Attentäters Anis Amri in Norditalien. Er sei noch am Abend des Todestages in Mailand eingetroffen, habe dort aber nicht an allen Gesprächen über den Fall teilgenommen, sagte Kriminalhauptkommissar A. H. Der heute 58-jährige Zeuge ist nach eigenen Worten seit 1995 im BKA tätig und hat die Behörde vom 1. Juni 2016 bis Ende Mai dieses Jahres in Italien vertreten.

Über Amris Tod habe ihn am 23. Dezember 2016 um 10 Uhr vormittags ein Beamter der italienischen Polizei informiert, sagte der Zeuge: „Es rieselt mir heute noch den Rücken runter.“ Amri war sechs Stunden zuvor am Bahnhof von Sesto San Giovanni bei Mailand von einer Polizeistreife erschossen worden. Er habe unverzüglich die ermittelnden BKA-Kollegen in Berlin verständigt, denen die Nachricht noch nicht bekannt gewesen sei. Die Medien hätten erst später über Amris Ableben berichtet.

„Nach Griff in den Rucksack das Feuer eröffnet“

Er sei noch am selben Nachmittag von Rom nach Mailand gefahren und dort gegen 23 Uhr angekommen, berichtete der Zeuge weiter. Am nächsten Tag habe er das Mailänder Polizeipräsidium zu Gesprächen aufgesucht, an denen auch fünf mittlerweile aus Berlin eingetroffene Kollegen teilgenommen hätten. Zum Teil hätten allerdings die jeweils sachverständigen deutschen und italienischen Beamten einzeln zusammengesessen. Er habe hin und wieder Übersetzerdienste geleistet, sei aber nicht über alle Inhalte im Bilde.

Nach Darstellung der italienischen Kollegen sei Amri am frühen Morgen des 23. Dezember einer Polizeistreife als verdächtig aufgefallen, weil er offenbar etwas unschlüssig am Bahnhof von Sesto San Giovannni herumlungerte. Die Beamten hätten ihn angesprochen und gebeten, sich auszuweisen. Amri habe geantwortet, sein Ausweis sei im Rucksack. Er habe hineingegriffen, statt eines Ausweises aber eine Pistole hervorgezogen und umgehend das Feuer eröffnet. Einer der beiden italienischen Beamten sei verletzt worden, der andere habe zurückgeschossen und Amri getötet.

„Amri hatte definitiv kein Mobiltelefon dabei“

Mit diesem Mann habe er damals in Mailand nicht sprechen können, auch nicht danach gefragt. Ob die aus Berlin angereisten Kollegen, bei denen an jenem Tag die „Federführung“ gelegen habe, um eine solche Begegnung gebeten hätten, sei ihm unbekannt. Die bei Amri sichergestellten Gegenstände habe er selber nicht zu Gesicht bekommen. Aus Akten geht hervor, dass die Italiener Fotos der Asservate vorlegten. Amris Idenität habe die italienische Polizei lediglich anhand von Fingerabdrücken festgestellt, allerdings „zweifelsfrei“, sagte der Zeuge. DNA-Proben seien dabei zunächst offenbar nicht verwandt worden, er könne darüber jedenfalls nichts sagen.

Amri habe definitiv bei seinem Tod kein Mobiltelefon mitgeführt, betonte der Zeuge. Im BKA sei 2019 über diese Frage Verwirrung entstanden, als in einem Bericht der Polizei im süditalienischen Brindisi die gegenteilige Behauptung auftauchte. Im Auftrag seiner Behörde sei er dem Fall damals nachgegangen und habe festgestellt, dass der Kollege in Brindisi einer Verwechslung mit dem Mobiltelefon Amris aufgesessen war, das nach dem Anschlag am Tatort in Berlin aufgefunden wurde. Der Name Amri, sagte der Zeuge weiter, sei ihm vor dem Anschlag unbekannt gewesen. Er habe nachträglich festgestellt, dass bei der BKA-Vertetung in Rom zwei Anfragen zu dem Mann aufgelaufen seien. Dies sei aber vor seiner Zeit als Verbindungsbeamter geschehen. (wid/01.07.2020)

Liste der geladenen Zeugen

  • Horst Rüdiger Salzmann, Bundesanwalt, Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof (GBA)
  • A. H., Kriminalhauptkommissar, Bundeskriminalamt
  • M. B., Bundesnachrichtendienst (nichtöffentlich)

Marginalspalte