2. Untersuchungsausschuss

Zur Pkw-Maut bleiben viele Fragen offen

Ein Verkehrsschild mit der Aufschrift Maut vor blauem Himmel mit weißen Wolken

Die Obleute des 2. Untersuchungsausschusses bilanzieren den Erkenntnisgewinn über das Maut-Vorhaben. (picture alliance/Bildagentur-online)

22 Sitzungen, sechs Sachverständige, 25 Zeugen – der 2. Untersuchungsausschuss („Pkw-Maut“) hat seit seiner konstituierenden Sitzung am 12. Dezember 2019 ein breites Spektrum an Einschätzungen gehört. Da gab es zum Beispiel die hochkarätigen Juristen, die sich in der Frage der Europarechtskonformität der Pkw-Maut diametral widersprachen. Da gab es die beiden Politstars Dr. Peter Ramsauer (CSU) und Horst Seehofer (CSU), die sich eine öffentlichkeitswirksame Kontroverse lieferten, ob die Basis für das Scheitern der Pkw-Maut schon mit dem Koalitionsvertrag von 2013 gelegt wurde. Und da waren zahlreiche Zeugen auf Referenten- und Referatsleiterebene, von denen sich die einen an fast nichts, die anderen an erstaunlich viele Details erinnern konnten.

Aufgabe des Ausschusses ist es, die Vorgänge rund um die Vorbereitung und die Einführung der letztlich vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gescheiterten Pkw-Maut aufzuklären. Dabei herrscht unter den Obleuten der sechs Fraktionen weitgehend Einigkeit, dass die Arbeitsatmosphäre im Ausschuss konstruktiv sei und alle Beteiligten an der Aufklärung interessiert seien. 

CDU/CSU: Solide abgestimmt

In anderen Punkten gehen die Einschätzungen weit auseinander. Ulrich Lange, Obmann der CDU/CSU-Fraktion, hebt positiv hervor, dass es mehreren Zeugen gelungen sei, die Einführung der offiziell Infrastrukturabgabe genannten Pkw-Maut in die Gesamtdebatte einzuordnen. Die Maut sei „aufgrund einer Kette von Finanzierungsdefiziten ein notwendiger Teil der dringend erforderlichen Nutzerfinanzierung“ gewesen. 

Im Übrigen hätten die bisherigen Vernehmungen ergeben, dass das Bundesverkehrsministerium (BMVI) bei den europarechtlichen Vorgängen keineswegs im Alleingang Entscheidungen getroffen, sondern diese „immer solide“ mit den zuständigen Ressorts abgestimmt habe, sagt der Obmann der Unionsfraktion. „Die Wahrscheinlichkeit des Obsiegens vor dem EuGH war insbesondere nach dem Plädoyer des Generalanwalts wesentlich größer als die Gefahr einer Niederlage.“ Lange bezieht sich darauf, dass der Generalanwalt die Ablehnung der Klage Österreichs beantragt hatte – der EuGH entschied dann allerdings anders.

In Bezug auf die strittigen vergaberechtlichen Fragen ist nach Ansicht Langes klar geworden, „dass das für das Vergabeverfahren zuständige Vergabereferat die komplexen Details des Vergabeverfahrens sehr genau geprüft hat“. Die Zeugen seien „durchgehend aussagebereit“ gewesen und hätten „sehr sachlich und kompetent die komplexen Zuständigkeiten und Verfahren“ geschildert.

SPD: Europarechtliche Risiken unzureichend berücksichtigt

Anders sieht das der Koalitionspartner SPD. Die bisher gehörten Zeugen hätten die Vorwürfe des Bundesrechnungshofs nicht entkräften können, sagt Obfrau Kirsten Lühmann. Der Bundesrechnungshof hatte kritisiert, das Verkehrsministerium habe gegen Haushalts- und Vergaberecht verstoßen und das Risiko eines Scheiterns des Projekts vor dem EuGH nicht ausreichend berücksichtigt. Als Muster zeige sich nach Einschätzung Lühmanns, „dass Zeugen auf kritische Fragen immer wieder antworteten, sie seien nicht zuständig gewesen“.

Erhärtet sieht die SPD-Obfrau den Vorwurf, das Ministerium habe die europarechtlichen Risiken unzureichend berücksichtigt. „Dem Mautreferat war zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses im Dezember 2018 nicht einmal im Ansatz bekannt, in welcher Höhe Entschädigungen an den Betreiber zu zahlen sind, sollten die Verträge nach einem negativen EuGH-Urteil gekündigt werden müssen“, sagt sie. „Das Risiko konnte also gar nicht angemessen berücksichtigt werden.“ Zudem habe das Mautreferat die Einschätzung nicht beachtet, wonach der Ausgang des Vertragsverletzungsverfahrens offen sei. Für Lühmann ist deshalb die Frage zu klären, „ob und wie weit die Leitung des Ministeriums informiert war“.

AfD: Licht und Schatten

Offene Fragen sieht auch Wolfgang Wiehle als Obmann der AfD-Fraktion. In Bezug auf das Haushaltsrecht möchte er wissen, warum sich das BMVI nicht bemühte, die für den Haushalt 2018 gültige Verpflichtungsermächtigung auf den Haushalt 2019 zu übertragen und so den Zeitdruck aus dem Projekt Pkw-Maut herauszunehmen. „Und“, fragt Wiehle, „hat das Ministerium beim Vertragsabschluss mit dem Bieterkonsortium Zusagen gemacht, für die es im Bundeshaushalt keine Deckung gegeben hat?“ 

Insgesamt sieht Wiehle in der bisherigen Arbeit des Ausschusses „Licht und Schatten“. Kritisch sieht er dabei die Rolle des BMVI: Immer dann, wenn ein Zeuge auskunftsfreudig gewesen sei, hätten im Verkehrsministerium die Alarmglocken geschrillt, „was dazu führte, dass spätere Zeugen verstärkt ängstlich auftraten“. Außerdem habe es sich gezeigt, dass vom BMVI versprochene Transparenz „erhebliche Lücken“ aufweise.

FDP spricht von „eklatanten Rechtsverstößen“

Noch schärfer ist die Kritik vonseiten der anderen Oppositionsparteien. „Im Rahmen der vorbereitenden, aber auch der öffentlichen Sitzungen hat das BMVI versucht, uns mehrfach an unserem Aufklärungsauftrag zu hindern“, kritisiert FDP-Obmann Dr. Christian Jung. Auch die Einstufung von Akten nimmt er in den Blick. Da die BMVI-Vertreterin im Ausschuss „immer wieder Einfluss auf die Aussagen von Zeugen“ nehme, wenn es um „vermeintlich vertrauliche oder gar geheime Vorgänge bei der Vergabe“ gehe, erwäge die FDP zusammen mit Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke, die Einstufung der gesperrten Akten durch einen Ermittlungsrichter überprüfen zu lassen.

Inhaltlich sieht Jung die Spitze des BMVI schwer belastet. Er spricht von „eklatanten Rechtsverstößen im Vergaberecht und im Haushaltsrecht“ und einer „kompletten Fehleinschätzung der europarechtlichen Dimension“, die schon längst die Entlassung von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) gerechtfertigt hätten. „Jede Zeugenaussage“, sagt Jung, „verschlimmert die Beweislast zu Ungunsten der Spitzen des BMVI.“ 

Linke sieht die Schuld bei der Spitze des Hauses

Auch für Jörg Cezanne, Obmann der Fraktion Die Linke, hat sich der Eindruck verdichtet, „dass im BMVI das Projekt an allen entscheidenden Punkten weiterbetrieben wurde, ohne kritische Einwände zu berücksichtigen“. Das habe nicht an den „durchaus qualifizierten Mitarbeitern“ gelegen, sondern sei der Spitze des Hauses anzulasten.

In mehreren Punkten sieht Cezanne noch Aufklärungsbedarf. Auch für ihn ist offen, warum das Risiko eines negativen EuGH-Urteils „so erstaunlich niedrig“ angesetzt worden sei. „Außerdem sind wir stark daran interessiert, herauszufinden, welche Rolle die großen externen Berater beim Projekt Pkw-Maut gespielt haben. Und wir wollen erfahren, was der Inhalt der Geheimgespräche war, die die Ministeriumsspitze im Herbst 2018 mit dem Bieterkonsortium geführt hat.“

Grüne: Negativ überrascht

Genau dieser Punkt interessiert auch Stephan Kühn, Obmann der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. „Diese Gespräche“, kritisiert er, „sind im Widerspruch zu den Vorschriften nicht dokumentiert und verstießen eindeutig gegen das Vergaberecht.“ Im weiteren Verlauf will Kühn herausfinden, wie es dazu kam, dass das Angebot der Bieter im Lauf dieser Gespräche von rund drei auf die vom Haushalt gedeckten zwei Milliarden Euro reduziert wurde. 

„Negativ überrascht“ zeigt sich Kühn von der Kultur im BMVI. In der Befragung der Zeugen habe man gemerkt, „dass diejenigen Mitarbeiter, die sich kritisch äußerten, aufs Abstellgleis gestellt wurden“. Auch Bedenken anderer Ministerien seien nicht ernst genommen worden. Sein Eindruck habe sich verstärkt, resümiert Kühn: „Um das Prestigeprojekt der CSU umzusetzen, ist man im BMVI voll auf Risiko gegangen und hat alle Bedenken abgewiesen – ungeachtet des möglichen Schadenersatzes und des damit verbundenen Risikos für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.“ (chb/27.07.2020)

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