Menschenrechte

Simone Barrientos setzt sich für Claudia Julieta Duque aus Kolumbien ein

Eine Frau sitzt hinter einem Schreibtisch an einem Computer und ließt auf einem Bildschirm

Die Bundestagsabgeordnete Simone Barrientos (Die Linke) unterstütz im Rahmen des PsP-Programms die kolumbianische Journalistin Claudia Julieta Duque. (privat)

Auf dem Platz vor dem Gerichtsgebäude in Bogotá, wo sie sich am 25. Juli 2019 verabredet haben, werden sie offensichtlich beschattet. Die kolumbianische Journalistin Claudia Julieta Duque kennt das und weist ihre Patin, die Bundestagsabgeordnete Simone Barrientos (Die Linke) auf ein paar Männer am Rand des Platzes hin, die die beiden sowie weitere Unterstützer der Journalistin immer mal mit der Attitüde des Auffällig-Unauffälligen mit ihren Handys fotografieren. Barrientos setzt sich im Rahmen des Programms „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ (PsP) des Deutschen Bundestages für Duque ein. 

Claudia Julieta Duque fordert Machtapparat heraus

Gelegenheit zu dem persönlichen Treffen zwischen der Kolumbianerin und der Abgeordneten aus Deutschland hatte es am Rande einer Delegationsreise der „Parlamentariergruppe Anden-Staaten“ im Sommer 2019 gegeben. Barrientos wurde dabei Zeugin eines langanhaltenden Rechtsstreits zwischen Duque und ehemaligen Angehörigen des 2011 aufgelösten kolumbianischen Geheimdienstes DAS (Departamento Administrative de Seguridad). 

Der Hintergrund: Duque erhielt ab Anfang der 2000er Jahre anonyme Morddrohungen, nachdem sie 1999 über den Mord an dem Journalisten Jaime Garzón berichtet hatte, der ihrer Ansicht nach von der Verwaltungsabteilung für Sicherheit getötet wurde. Im November 2016 ordnete ein Staatsanwalt die Verhaftung des ehemaligen stellvertretenden Direktors des DAS, Emiro Rojas Granados und des ehemaligen DAS-Geheimdienstagenten Nestor Pachón Bermudez an. Beide wurden wegen des Vorwurfs der psychologischen Folter gegen Claudia Julieta Duque verhaftet. 

Im Jahr 2017 wurden sie wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Der Prozess, in dem weitere ehemalige hochrangige Geheimdienstmitarbeiter auf der Anklagebank sitzen, begann jedoch erst am 24. April 2019. Mit ihren Artikeln und Reportagen über die Geheimdienstaktivitäten wolle Duque einen Beitrag zur Korruptionsbekämpfung und für die Menschenrechte in ihrem Land leisten, erzählt Barrientos. Wie wichtig Duques Arbeit sei, zeige der Widerstand, der der Journalistin weiterhin entgegenschlage: Denn während des laufenden Verfahrens hätten die beiden Hauptangeklagten bei der Staatsanwaltschaft beantragt, Duque zu verbieten, über den Prozess zu berichten. 

Politische Spannungen in Kolumbien nehmen zu

Die Lebensverhältnisse in Kolumbien würden zunehmend schwieriger - privat, politisch, gesellschaftlich, wirtschaftlich, so Barrientos. Die Errungenschaften der letzten Jahre - wirtschaftliche Stabilität, gesellschaftlicher Friede, der mühsam ausgehandelte Friedensschluss mit der Farc-Guerilla von 2016 – all das scheine gerade wieder zu zerrinnen. „Der Friedensschluss und der gesellschaftliche Friede im Land werden von der autoritären Politik der Regierung leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Staatspräsident Ivan Duque ist ein Wolf im Schafspelz“, sagt Barrientos. Nach außen hin gäben sich Regierungsvertreter extrem bemüht, progressiv zu erscheinen und am demokratischen Friedens- und Integrationsprozess festhalten zu wollen.

Ihr Tun zeuge jedoch vom Gegenteil. Die Versöhnungspolitik und die Integration ehemaliger Farc-Kämpfer stocke, gesellschaftliche Gräben würden erneut aufgebrochen, die Sicherheitslage verschlechtere sich, berichtet die Lateinamerika-Kennerin. Die Regierung setze sich nicht genug für den Schutz von Kritikern, Oppositionellen, von Menschenrechtlern und Aktivisten für Frauenrechte, Indigene Rechte oder die Rechte von Afrokolumbianern ein. Aktuell berichte Duque etwa über den Fall des mutmaßlich ermordeten italienischen UN-Mitarbeiters Maria Paciolla. Alte Kräfte erhöben zudem wieder ihr Haupt, um die Aufarbeitung von Verbrechen zu verhindern. 

Zahlreiche Kolumbianer verließen das Land, weil die Lage für sie persönlich immer bedrohlicher werde – wenn auch nur auf Zeit und bis sie sich wieder sicherer im eigenen Land fühlen können. Claudia Julieta Duque jedoch aber sei nicht bereit zu gehen, sondern wolle für bessere Verhältnisse in ihrem Land kämpfen. Hinzu komme jetzt zu allem Unglück, dass die Corona-Pandemie noch einmal voll zuschlage.

Tägliches Leben unter großer Anspannung

In diesem wieder verhärteten und unübersichtlichen Umfeld sei auch Duque mit ihren journalistischen „Ermittlungen“ zu einem Opfer geworden, wenn von ihr aufgedeckte und aufgeschreckte alte Seilschaften im Sicherheits- und Geheimdienstmilieu versuchten, sich mit allen Mitteln gegen ihre „Enttarnung“ zur Wehr zu setzen. „Immer steht irgendwo jemand“, habe ihr Duque berichtet, so Barrientos, die Beschattung von Oppositionellen sei in Kolumbien an der Tagesordnung. Das tägliche Leben finde unter sehr großer Anspannung statt. Auch ihre Angehörigen bekämen den „Observierungs-Druck“ zur spüren. Die Frage sei, was noch komme.

Duque sei sehr dankbar gewesen, dass so viele bei dem Gerichtstermin vor Ort gewesen seien, um Unterstützung zu demonstrieren. Auch die Präsenz einer deutschen Parlamentarierin habe ihre Wirkung auf die Verantwortlichen sicher nicht verfehlt, ist sich Barrientos sicher. 

„Fall so öffentlich wie möglich machen“

Was Duque jetzt brauche, sei Unterstützung über die private Sphäre hinaus, Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Die biete das PsP-Programm des Deutschen Bundestages, aber eben auch Kundgebungen vor Ort, mit Nichtregierungsorganisationen, die Teilnahme am Gerichtsprozess. Das alles helfe, die Kolumbianerin zu schützen. Ihren Fall so öffentlich wie möglich zu machen, sei der einzige Weg für Duque, der Bedrohung zu entkommen, ist Barrientos überzeugt. 

Bald nach ihrer Wahl in den Deutschen Bundestag 2017 hatte sie die Patenschaft für Claudia Julieta Duque im Rahmen des Programms „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ des Bundestages übernommen.

Seit der Kindheit Lateinamerika zugetan

Das Thema Menschenrechte beschäftige sie schon sehr lange, erzählt Barrientos, und: „Seit meiner Kindheit interessiert und fasziniert mich Lateinamerika“, so die Linken-Politikerin, die fließend Spanisch spricht und so einen unverbauten Zugang zur Kultur des spanischsprachigen Südamerikas hat. Barrientos wurde sozialisiert in der lateinamerikanischen Gemeinde im damaligen Ost-Berlin. Lateinamerika zwischen Demokratisierung und Unabhängigkeit einerseits und autokratisch-diktatorischen Rückfällen und internationaler Intervention andererseits, die gesellschaftlichen und politischen Spannungen und Verwerfungen dort – „das alles war zu Hause sehr präsent, wurde diskutiert und hat mich daher sehr geprägt“. 

„Im Regal meiner Mutter standen die Schriften des chilenischen Literaturnobelpreisträgers Pablo Neruda, der sich gegen den Faschismus einsetzte, an prominenter Stelle. In meinem Kopf habe ich immer noch die Fernsehbilder vom Militärputsch in Chile 1973, von der Bombardierung des Präsidentenpalastes La Moneda, als der demokratisch gewählte sozialistische Präsident Salvador Allende aus dem Amt gefegt wurde“, erzählt Barrientos. Etwas tun, helfen, wollte sie damals schon, „wir bekundeten Solidarität mit dem Oppositionellen Luis Corvalan.“ Heute bedeutet helfen für die Bundestagsabgeordnete Barrientos: Eintreten für eine Journalistin, die zu Unrecht verfolgt werde, weil sie sich durch die Aufklärung von Fehlentwicklungen in ihrem Land für Rechtsstaatlichkeit einsetze. 

„Verstehe mich als ihre Ansprechpartnerin“

„Als Bundestagsabgeordnete bietet mir das PsP-Programm eine Möglichkeit, jenseits der deutschen Außenpolitik, konkret etwas zu tun: für Menschen in Not, die sich über ihr eigenes Schicksal hinaus für die Menschenrechte einsetzen.“ Im Jahr 2018 hat Barrientos Kontakt zu Claudia Julieta Duque in Kolumbien aufgenommen, um ihr Unterstützung anzubieten. In ihrer Antwortmail habe diese ihre Zustimmung und Freude über die Patenschaft zum Ausdruck gebracht. „Wir sind so verblieben, dass sie sich jederzeit bei mir melden kann, wenn sie Unterstützung braucht und meint, dass ich ihr dabei helfen kann. Ich verstehe mich als ihre Ansprechpartnerin.“

Claudia Julieta Duque hat als freie, investigative Journalistin in Kolumbien Korruptionsfälle aufgedeckt, erzählt Barrientos, und sei vermutlich deswegen schon bald beschattet und verfolgt worden. Wie auch ihre Tochter, ihre Familie insgesamt. Zum Glück habe sie ein Umfeld an Freunden und Verwandten, das sie einigermaßen beschütze. 

„Pressefreiheit steht auf dem Spiel“

Um ihre Unterstützung so sichtbar wie möglich zu machen, wohnte Barrientos einem Verhandlungstag des Prozesses im Juli 2019 bei. Das Gericht habe gewusst, dass sich eine deutsche Parlamentarierin unter den Zuschauern befand, ist sich die Abgeordnete sicher. In der Sitzung am 25. Juli 2019 konnte Barrientos beobachten, wie beide Seiten ihre Sichtweise vortrugen. Am Ende vertagte sich das Gericht. Die Richterin habe es sich also noch aufgehoben, darüber zu befinden, was schwerer wiege: Das Recht von Claudia Julieta Duque auf ungehinderte Berichterstattung oder das Recht der Angeklagten auf Persönlichkeitsschutz. 

Im weiteren Prozessverlauf folgte dann aber eine Enttäuschung: Duques Gegnern wurde zunächst Recht gegeben – und der Journalistin verboten, sich zu dem Prozess öffentlich zu äußern oder anderweitig darüber zu berichten. Als Zensur habe das unter anderem die kolumbianische NGO Fundacion para la Libertad de Prensa - FLIP (Stiftung für die Pressefreiheit) kritisiert.

Teilerfolg für Menschenrechte und Pressefreiheit

Inzwischen kann Duque jedoch einen Erfolg an einer anderen Front verbuchen: Vor wenigen Tagen sprach der Verwaltungsgerichtshof von Cundinamarca mehrere Regierungsbehörden, darunter die Generalstaatsanwaltschaft und die Büros des Generalinspekteurs, das Innenministerium und die inzwischen nicht mehr existierende Verwaltungsabteilung für Sicherheit, sowie den ehemaligen Geheimdienst der illegalen Überwachung, Drohungen, und psychischer Folter gegenüber Duque und ihrer Tochter schuldig.

Das Gericht wies die Behörden an, Maßnahmen zu ergreifen, um jede weitere Verletzung der Rechte von Journalisten zu unterbinden, und ordnete die finanzielle Entschädigung Duques, ihrer Tochter und anderer Familienmitglieder an. „Dieser Teilerfolg macht Mut. Die Frage wird sein, ob die Behörden willens und in der Lage sind, diese Anordnung durchzusetzen“, so Barrientos.

Barrientos: PsP-Programm stiftet Schutz 

Damit Duque zukünftig frei und sicher ihrer journalistischen Arbeit nachgehen könne, wolle Barrientos sie weiter unterstützen, so die Abgeordnete. Allein die Tatsache, dass im Rahmen eines internationalen Programms einer so angesehenen Institution wie dem Deutschen Bundestag Öffentlichkeit hergestellt werde, entfalte eine schützende Wirkung. 

„Die von uns Abgeordneten betreuten Parlamentarier, Menschenrechtler, sind dann nicht mehr ganz so gefährdet wie ohne unseren Schutz“, ist sich Barrientos sicher. „Öffentlichkeit und Regierung in deren Heimatländern bekommen ja mit, dass wir uns kümmern. Und die Regierung Duque wird versuchen, den Schein zu wahren.“ Im Einzelfall zu helfen, das bringe im Übrigen die Sache der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte insgesamt weiter, ist Barrientos überzeugt.

„Helfen können ist großes Privileg“ 

Barrientos nennt es ein großes Privileg, dass als Abgeordnete so konkret helfen zu können. Für sie sei die Unterstützung einer verfolgten Journalistin wie Claudia Duque mehr als eine Verpflichtung. „Das ist für mich die Kür meiner internationalen Arbeit als Abgeordneter und Mitglied des höchsten deutschen Verfassungsorgans: einer wie Julieta Duque helfen zu können, die sich in ihrem Land für den Rechtsstaat einsetzt.“

Die Hilfe ruhe dabei auf vielen Schultern. Internationale Nichtregierungsorganisationen, Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder die Schriftstellervereinigung PEN seien in Kolumbien tätig, demonstrierten für den Erhalt des Friedensprozesses sowie für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und hätten auch bei der Kundgebung vor dem Gericht ihre Unterstützung für Julieta Duque zum Ausdruck gebracht. 

Dafür nähmen sie Gefahr für Leib und Leben in Kauf. Regelmäßig komme es zu Morden von Aktiven aus der Zivilgesellschaft. Das Auswärtige Amt und die deutsche Botschaft in Kolumbien wüssten ebenfalls um den Fall von Duque und hielten sie als Abgeordnete auf dem Laufenden. 

Über den Tellerrand schauen 

Barrientos findet das internationale Engagement als Abgeordnete auch notwendig, um „über den eurozentrischen Tellerrand hinaus zu schauen“. Mit ihrer Beteiligung am PsP-Programm wolle sie erreichen „dass Parlamentarier und die Öffentlichkeit in Deutschland wissen, was in einem südamerikanischen Land wie Kolumbien los ist“. Egal, ob Parlamentsbetrieb oder die aktuelle Corona-Krise – all das treffe in Kolumbien auf ganz andere Rahmenbedingungen, die Länder Lateinamerikas funktionierten ganz anders als man es sich in Europa gemeinhin vorstelle.

Arbeitsmarktpolitik und soziale Sicherungssysteme wie bei uns beispielsweise gebe es dort nicht. Die  „Maßstäbe sind ganz anders“, die Menschen seien viel mehr auf sich allein gestellt. Das setze ganz eigene gesellschaftliche Dynamiken in Gang. Leuten, die unter diesen Umständen für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie kämpften und sich für verfolgte Mitbürger einsetzten, könne dieser Mut nicht hoch genug angerechnet werden. (ll/19.08.2020)

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