2. Untersuchungsausschuss

Kontro­versen zwischen Toll Collect und Verkehrs­ministerium offenbart

Autos fahren auf einer Autobahn.

Zwei ehemalige Geschäftsführer der Firma Toll Collect wurden befragt. (picture alliance/Peter Kneffel/dpa)

Im Vorfeld des Vertragsabschlusses über die Pkw-Maut Ende 2018 gab es Kontroversen über die mögliche Rolle der bundeseigenen Toll Collect GmbH. Dabei wehrte sich die für die Lkw-Maut zuständige Gesellschaft gegen das Ansinnen des Bundesverkehrsministeriums, zusätzlich Erhebung und Kontrolle der Pkw-Maut zu übernehmen. Dies wurde am Donnerstag, 10. September 2020, in der vom Ausschussvorsitzenden Udo Schiefner (SPD) geleiteten öffentlichen Sitzung des 2. Untersuchungsausschuss („Pkw-Maut“) deutlich.

Unterauftragnehmer im Maut-Projekt

Relevant ist die Rolle von Toll Collect, weil die Gesellschaft 2019 dann doch als Unterauftragnehmer in das Maut-Projekt einbezogen wurde. Dabei wurde dem vom Bund beauftragten Konsortium aus Kapsch TrafficCom und CTS Eventim das Recht eingeräumt, die Zahlstellenterminals von Toll Collect auch für die Erhebung der Pkw-Maut zu nutzen.

Diese Maßnahme trug wesentlich dazu bei, das ursprünglich bei drei Milliarden Euro liegende Angebot des Bieterkonsortiums auf die vom Bundestag genehmigten zwei Milliarden Euro zu drücken.

Emotionale Äußerungen per E-Mail

Wie Thomas Eberhardt, bis August 2019 Geschäftsführer Betrieb und Finanzen der Toll Collect GmbH, im Ausschuss erklärte, fragte das Bundesverkehrsministerium am 6. September 2018 erstmals, ob Toll Collect Erhebung und Kontrolle der Pkw-Maut übernehmen könne. Kurz zuvor, am 1. September, war die bis dahin private Toll Collect GmbH ins Eigentum des Bundes übergegangen. Nach einer ersten Prüfung teilte die Geschäftsführung dem Ministerium am 13. September mit, sie sehe sich nicht in der Lage, die Leistungen bis zum gewünschten Termin im Sommer 2020 zu erbringen.

Das Ministerium ließ aber nicht locker. Am 19. November wollte es erneut wissen, ob und wann Toll Collect in das Projekt einsteigen könne. Erneut kam die Geschäftsführung zum Schluss, sie könne zwar möglicherweise Teilaufgaben übernehmen, nicht aber die gesamte Kontrolle und Erhebung. Dabei kam es zu emotionalen Äußerungen, wie aus einer im Ausschuss verlesenen E-Mail hervorging.

„Ein Mann des klaren Wortes“

Demnach schrieb Eberhardts Co-Geschäftsführer Robert Woithe: „Mein Helfersyndrom hat sich hiermit erledigt. Leck mich. Okay, etwas netter: Leck mich kreuzweise.“ Außerdem bezeichnete er eine Mail des Maut-Referats des Verkehrsministeriums als „frech und unverfroren“. Wie diese Äußerungen zu interpretieren seien, wollten Ausschussmitglieder verschiedener Fraktionen wissen. „Herr Woithe ist ein Mann des klaren Wortes“, antwortete Zeuge Eberhardt. Die Formulierungen seien als Zeichen zu verstehen, „dass wir uns intensiv mit den Wünschen des Verkehrsministeriums auseinandergesetzt haben“.

Es habe damals „viele hektische Diskussionen“ gegeben, und die Geschäftsführer hätten Nächte durchgearbeitet, sagte Eberhardt weiter. Grundsätzlich wäre es nach seinen Worten aus betriebswirtschaftlicher Sicht interessant gewesen, sich ein zusätzliches Geschäftsfeld zu erschließen; dies habe sich aber als nicht möglich erwiesen. Am 6. Dezember kam es dann zu einem Gespräch zwischen Toll Collect und dem Bieterkonsortium, in dem es um die Frage ging, mit welchen Teilleistungen Toll Collect das Projekt Pkw-Maut unterstützen könne. Am Ende stand ein Unterauftragnehmervertrag, der die Nutzung der Zahlstellenterminals von Toll Collect ermöglichte.

„Problem: Barrierefreiheit“

Der Einbezug der Toll Collect GmbH in die Erhebung der Pkw-Maut war von vielfältigen Herausforderungen geprägt. Ein Problem sei beispielsweise die Barrierefreiheit gewesen, die für die Zahlstellen der Pkw-Maut gefordert worden sei, erklärte der ehemalige Toll-Collect-Geschäftsführer Robert Woithe. Für die Lkw-Maut sei hingegen keine Barrierefreiheit nötig, da Lkw-Fahrer nicht im Rollstuhl säßen.

Woithe, der von 2010 bis August 2019 Geschäftsführer Technik der Toll Collect GmbH war, schilderte in seiner Vernehmung das komplizierte Spannungsfeld, dem die für die Lkw-Maut verantwortliche Gesellschaft Ende 2018 und Anfang 2019 ausgesetzt war. Im September 2018 war die Toll Collect GmbH ins Eigentum des Bundes übergegangen, wobei dies ursprünglich nur übergangsweise geplant war. Im Januar 2019, so die Schilderung des Zeugen, sei jedoch klar gewesen, dass der Bund dauerhaft Eigentümer bleiben werde.

Unternehmenszweck von Toll Collect auf Pkw-Maut ausgeweitet

Noch während der Vorbereitungen für die Reprivatisierung bekam die Toll Collect GmbH vom Bundesverkehrsministerium den Auftrag, zu prüfen, ob sie Leistungen für das Projekt Pkw-Maut übernehmen könne. Ein erstes Gespräch dieses Inhalts zwischen Bieterkonsortium und Toll Collect fand am 6. Dezember 2018 statt.

Heikel war dies, da erst am 17. Mai 2019 der Unternehmenszweck von Toll Collect auf die Pkw-Maut ausgeweitet und erst am 31. Mai 2019 der Unterauftragnehmervertrag zwischen dem Mautbetreiber und Toll Collect unterzeichnet wurde. Deshalb sei es für sein Unternehmen wichtig gewesen, keine Risiken einzugehen, sagte Woithe. „Wir mussten aufpassen, nichts zuzusagen, was uns hinterher zum Nachteil gereichen würde.“

„Irgendwo musste der Druck raus“

Wie zuvor bereits sein ehemaliger Geschäftsführerkollege Thomas Eberhardt erklärte auch Woithe, dass sich sein Unternehmen gegen die ihm zugedachte Rolle bei der Pkw-Maut mit dem Argument gewehrt habe, die gewünschten Leistungen seien in dieser Legislaturperiode nicht zu erbringen.

In diesem Zusammenhang habe er im November 2018 eine mit Kraftausdrücken gespickte interne Mail geschrieben. Anlass sei seine Unzufriedenheit darüber gewesen, dass das Bundesverkehrsministerium in einer Mail zwei Sachbereiche miteinander vermengt habe. „In dieser Situation sind mit mir die Kühe durchgegangen“, sagte der Zeuge. „Irgendwo musste der Druck raus.“

„Kein Compliance-Verstoß“

Als dritter Zeuge befragt wurde Stefan Stadler, der bereits am 28. Mai ein erstes Mal im Untersuchungsausschuss vernommen worden war. Stadler wechselte Anfang Oktober 2018 für fünf Monate vom Bundesverkehrsministerium in die Geschäftsführung von Toll Collect, wo er unter anderem für Compliance zuständig war.

Der Zeuge bekräftigte seine Auffassung, dass es unter Compliance-Gesichtspunkten nicht zulässig gewesen wäre, vor Änderung des Geschäftszweckes Ausgaben für die Pkw-Maut zu tätigen. Dies sei bis zu seinem Ausscheiden Ende Februar 2019 jedoch auch nicht geschehen, weshalb kein Compliance-Verstoß vorgelegen habe. 

Ausschuss setzt Ermittlungsbeauftragten ein

In seiner nichtöffentlichen Beratungssitzung entschied der Untersuchungsausschuss mit dem Minderheitenquorum von FDP, Linken und Bündnis 90/Die Grünen, einen Ermittlungsbeauftragten nach Paragraf 10 des Untersuchungsausschussgesetzes einzusetzen. Dieser soll die E-Mail-Kommunikation von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) prüfen, die über dessen MdB-Account lief.

Die Opposition sieht hier Aufklärungsbedarf, weil kurz vor der parlamentarischen Sommerpause das Bundesverkehrsministerium dem Ausschuss rund 300 Seiten E-Mails übergeben hatte, die über das Postfach des Abgeordneten Scheuer und nicht über dessen Ministeradresse gelaufen waren. (chb/11.09.2020)

Liste der geladenen Zeugen

  • Thomas Eberhardt, ehemaliger Geschäftsführer Betrieb und Finanzen von Toll Collect
  • Robert Woithe, ehemaliger Geschäftsführer Technik von Toll Collect
  • Stefan Stadler, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur

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