2. Untersuchungsausschuss

Bieter um Pkw-Maut begrün­den Verzicht auf Abgabe eines An­gebots

Ein Hammer eines Richters, eine EU-Fahne und ein rot durchgestrichenes Maut-Verkehrsschild

Der Ausschuss hörte Vertreter der Bieterfirmen um die Pkw-Maut. (picture alliance/Bildagentur-online)

Vertreter der nicht zum Zuge gekommenen Bieter um die Pkw-Maut haben vor dem 2. Untersuchungsausschuss („Pkw-Maut“) erklärt, warum sie letztlich kein finales Angebot abgaben. „Wir konnten unseren Gremien nicht vermitteln, wie wir den Zeitplan hätten einhalten können“, sagte Kay Dallmann von der Arvato infoscore GmbH in der vom Ausschussvorsitzenden Udo Schiefner (SPD) geleiteten öffentlichen Sitzung am Donnerstag, 17. September 2020.

Die zum Bertelsmann-Konzern gehörende Arvato bildete zusammen mit IBM eines der insgesamt vier Bieterkonsortien im Verfahren um die Erhebung der Pkw-Maut. Vier Punkte seien für das Konsortium entscheidend gewesen, erklärte Dallmann den Abgeordneten: ein angemessenes Risiko, eine Finanzierung, die keine negativen Auswirkungen auf das Rating habe, eine Begrenzung der Haftung und ein Ertrag, der in einem angemessenen Verhältnis zum Risiko stehe.

„Haftungsregeln waren ein entscheidender Punkt“

„Trotz aller Bemühungen waren wir nicht in der Lage, das Risiko so zu minimieren, dass wir ein Angebot abgeben konnten“, sagte Dallmann weiter. Ein entscheidender Punkt seien die vorgesehenen Haftungsregeln gewesen. Für den Fall, dass es zu einer Verzögerung bei der Einführung der Pkw-Maut gekommen wäre, wäre dem Zeugen zufolge eine Strafzahlung in dreistelliger Millionenhöhe fällig geworden. Das Risiko eines negativen Urteils des Europäischen Gerichtshofs sei hingegen kein Hinderungsgrund für die Abgabe eines Angebots gewesen.

Allerdings hielt sich das Konsortium Arvato/IBM ein Hintertürchen offen: Am 17. September 2018 schrieb es dem Bundesverkehrsministerium, es bitte um Mitteilung, falls es zu „signifikanten Änderungen“ der Ausschreibungsbedingungen kommen sollte. Anlass des Schreibens sei ein Zeitungsartikel gewesen, der über solche Änderungen berichtet habe, erinnerte sich der Zeuge. Tatsächlich trat das Bundesverkehrsministerium in Verhandlungen mit dem einzigen Bieter ein, der ein finales Angebot abgab. Darüber informiert wurden Arvato und IBM dem Zeugen zufolge nicht.

„Umfangreiche Haftungselemente waren nicht tragfähig“

Ebenfalls vorzeitig aus dem Verfahren stieg ein weiteres, aus mehreren Firmen bestehendes Konsortium aus. Hauptgrund dafür sei die vorgesehene gesamtschuldnerische Haftung gewesen, erklärte im Ausschuss Anne Grünkorn von der zum VW-Konzern gehörenden LogPay Financial Services GmbH. Die „sehr umfangreichen Haftungselemente“ seien für das Konsortium „nicht tragfähig“ gewesen.

Anders als Arvato/IBM verstand das Konsortium um LogPay seine Absage allerdings als endgültig. „Wenn man in einer Ausschreibung absagt, dann sagt man ab“, betonte die Zeugin. Solange das Konsortium noch am Verfahren teilgenommen habe, sei ihm nicht klar gewesen, dass nach Abgabe des finalen Angebots Nachverhandlungen möglich gewesen seien.

Befragt wurde Grünkorn auch nach einer möglichen Mitnutzung der Zahlstellen des bundeseigenen Unternehmens Toll Collect. Die Managerin antwortete, nach ihrem Verständnis sei die Mitnutzung der Lkw-Maut-Terminals für die Pkw-Maut in den Ausschreibungsunterlagen nicht vorgesehen gewesen. Genau diese Mitnutzung wurde dann aber dem letzten verbliebenen Bieter, dem Konsortium aus CTS Eventim und Kapsch TrafficCom, eingeräumt.

Telekom-Vertreter kritisieren das Vergabeverfahren

Im weiteren Verlauf der Sitzung kritisierten Vertreter des Telekom-Konzerns das Vergabeverfahren für die Erhebung der Pkw-Maut kritisiert. „Wir haben im Vorstand sehr verärgert über die Situation diskutiert“, sagte Timotheus Höttges, Vorstandsvorsitzender der Deutsche Telekom AG. Auch Thomas Pferr, bei der Telekom-Tochter T-Systems für die Einheit Maut zuständig, sprach von einer „Riesenenttäuschung“ und kritisierte, dass das Bundesverkehrsministerium die Bedingungen im Laufe der Ausschreibung „offensichtlich geändert“ habe.

Sowohl Höttges als auch Pferr schilderten den Ausschussmitgliedern detailliert den Ablauf des Vergabeverfahrens. Demnach hatte sich T-Systems gemeinsam mit der Firma Ages um die Erhebung der Pkw-Maut beworben. Am 7. August 2018 entschied der Telekom-Vorstand jedoch, T-Systems solle kein finales Angebot für die Erhebung der Pkw-Maut abgeben.

„Extrem hohe Aufbaukostenstruktur“

Telekom-Chef Höttges nannte als Hauptgrund dafür „die extrem hohe Aufbaukostenstruktur“. Diese Aufbaukosten bezifferte Höttges auf 250 Millionen Euro, wovon ein erheblicher Teil auf das Porto für Briefe an die rund 40 Millionen Fahrzeughalter in Deutschland entfallen wäre. Demgegenüber wollte der Bund ursprünglich nur 50 Millionen Euro für diese vorbereitenden Aufgaben zur Verfügung stellen.

Höttges berichtete von „lebhaften Diskussionen im Vorstand, ob es dem Geschäftszweck der Deutschen Telekom entspricht, Briefmarken zu kaufen“. Ohnehin sei er nicht überzeugt gewesen, dass die Pkw-Maut zum strategischen Ziel des Konzerns gepasst habe, digitale Plattformen zu schaffen.

„Höflichkeit gegenüber dem größten Aktionär der Telekom“

Eine Rolle für die Entscheidung, kein finales Angebot abzugeben, spielten laut Höttges auch die hohen Kalkulations- und Haftungsrisiken der Pkw-Maut. Zudem verwies der Konzernchef darauf, dass die Deutsche Telekom 2018 viel Geld in den Ausbau der Netze investierte und sich außerdem bemühte, die für die Lkw-Maut zuständige Toll Collect GmbH zu übernehmen. Letzteres gelang dann nicht, weil sich der Bund entschied, Toll Collect dauerhaft im Eigentum zu behalten.

Am 13. August 2018 informierte Höttges nach eigenen Angaben Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer telefonisch darüber, dass sich T-Systems aus dem Verfahren zurückziehe. Dies sei „aus Höflichkeit“ gegenüber dem größten Aktionär der Telekom geschehen. Das Gespräch habe nach seiner Erinnerung etwa fünf bis zehn Minuten gedauert. Weitere Gespräche zwischen ihm und dem Minister über die Pkw-Maut habe es nicht gegeben.

Verärgert wegen geänderter Ausschreibungsbedingungen

Für Verärgerung bei der Deutschen Telekom sorgte dann ein Zeitungsartikel im Januar 2019, demzufolge die Ausschreibungsbedingungen für den letzten verbliebenen Bieter, das Konsortium CTS Eventim/Kapsch TrafficCom, geändert worden seien. So kam der Bund dem Konsortium bei den Portokosten entgegen. Vor allem aber erhielt es die Möglichkeit, die Lkw-Maut-Zahlstellen von Toll Collect zu nutzen.

Nach genau dieser Möglichkeit hatte sich T-Systems – damals noch am Bieterverfahren beteiligt – im Sommer 2018 erkundigt. Auf der allen vier Bieterkonsortien zugänglichen Plattform war diese Möglichkeit nach Angaben von T-Systems-Vertreter Pferr „explizit“ ausgeschlossen worden.

Brief an das Ministerium mit der Bitte um Aufklärung

Nachdem der Telekom-Vorstand Anfang 2019 von den Veränderungen der Ausschreibungsbedingungen erfahren habe, habe er darüber diskutiert, ob er eine Klage einreichen oder Schadenersatz fordern solle, berichtete Höttges weiter. Das Gremium habe sich jedoch dagegen entschieden und lediglich einen Brief an das Verkehrsministerium mit der Bitte um Aufklärung geschickt, verbunden mit der Ankündigung, der Konzern behalte sich rechtliche Schritte vor.

Das Ministerium antwortete auf diesen Brief laut Pferr mit der Aussage, Verhandlungen, wie sie mit dem letzten Konsortium geführt worden seien, seien ganz normal. Es seien auch keine Leistungen verändert worden, weshalb es keine Veranlassung gegeben habe, die zuvor ausgeschiedenen Bieter zu informieren. (chb/17.09.2020)

Liste der geladenen Zeugen

  • Kay Dallmann, Arvato infoscore GmbH
  • Anne Grünkorn, LogPay Financial Services GmbH
  • Thomas Pferr, T-Systems International GmbH
  • Timotheus Höttges, Deutsche Telekom AG

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