Geschichte

Vor 30 Jahren: Volkskammer entsendet 144 Abgeordnete in den Bundestag

Der 28. September 1990 ist neben dem 9. November 1989 und dem 3. Oktober 1990 einer der wichtigsten Tage der deutsch-deutschen Geschichte. An diesem historischen Tag vor 30 Jahren fand die letzte reguläre Sitzung der Volkskammer statt, des ersten und einzigen frei gewählten Parlaments der DDR.

Die Volkskammer tagte am Freitag, 28. September 1990, mehr als 16 Stunden. Es war die längste Parlamentssitzung der Legislaturperiode, in der viele spektakuläre Entscheidungen zur Abstimmung kamen. Joachim Gauck wurde zum Sonderbeauftragten der Bundesregierung im vereinigten Deutschland für die Verwahrung der Akten und Dateien des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) ernannt.

In einer emotional geführten Debatte diskutierten die Volksvertreter, ob es eine namentliche Nennung der Abgeordneten geben sollte, die für das Ministerium für Staatssicherheit gearbeitet hatten. Parlamentspräsidentin Dr. Sabine Bergmann-Pohl (CDU) sah sich aus Gewissensgründen nicht in der Lage, einer Offenlegung zustimmen. Nach einer weiteren langen und emotionsgeladenen Debatte stimmten die Parlamentarier der Volkskammer dafür, die Personen öffentlich zu benennen.

144 Abgeordnete gehörten 1990 zwei Parlamenten an

Einer der wichtigsten Tagesordnungspunkte dieser Parlamentssitzung war die Entsendung von 144 Abgeordneten der 10. Volkskammer in den Deutschen Bundestag. Diese Parlamentarier sollten die Menschen der DDR vom Tag der Wiedervereinigung bis zur Wahl eines neuen deutschen Parlaments vertreten. 

Konrad Felber, damals Mitglied der Volkskammer und Gründungsmitglied der Deutschen Forum Partei (DFP), die sich dem Wahlbündnis „Die Liberalen“ angeschlossen hatte, erinnert sich in einem Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung an die emotionale Parlamentssitzung: „Was uns damals für Aufgaben und Entscheidungen erwarteten, ahnten wir im März und April 1990 alle nicht. Mein zusätzliches Amt in der Volkskammer als Stellvertreter im Ausschuss Deutsche Einheit war dabei eher noch ein angenehmer Ausblick auf die Zeit, welche nach dem 3. Oktober 1990 im 11. Deutschen Bundestag folgen sollte. 144 Mitglieder der 10. Volkskammer wurden im Jahr 1990 Mitglied in zwei deutschen Parlamenten! Ein Geschenk für viele von uns in der Parlamentsgeschichte.“

Große Herausforderung und enorme Verantwortung

Getrieben von der rasanten Entwicklung vom Mauerfall bis zur Volkskammerwahl am 18. März 1990, musste die gewählten Volksvertreter, die meisten waren parlamentarische Neulinge, weitreichende Entscheidungen treffen. Die waren nicht nur eine große Herausforderung, sondern auch eine enorme Verantwortung. Es ging um nicht weniger als die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion zur Einführung der D-Mark – und nicht zuletzt um den Einigungsvertrag, der das Leben aller Menschen aus der DDR umkrempeln würde.

In 37 Arbeitssitzungen hatten die frei gewählten Volksvertreter unzählige Gesetze und Beschlüsse beraten und verabschiedet, um den Weg zur deutschen Einheit so optimal wie möglich zu gestalten.

Letzte reguläre Sitzung des DDR-Parlaments

Nach der emotionalen Mammutsitzung vom 28. September, bei der gestritten, argumentiert und schließlich abgestimmt wurde, standen die 144 Abgeordneten fest, die in den Deutschen Bundestag entsandt wurden. Sabine Bergmann-Pohl, die damalige Präsidentin der Volkskammer, leitete die letzte reguläre Sitzung des DDR-Parlaments und erinnert sich an den 28. September 1990 im Deutschlandfunk: „Wir haben in einem halben Jahr 164 Gesetze erarbeitet und verabschiedet, sowie drei Staatsverträge beraten. Es war unglaublich viel Arbeit. Denn es ging ja um die Frage der Wiedervereinigung. Die Öffentlichkeit hat uns sehr stark begleitet – auch mit Demonstrationen. Wir waren auch Getriebene unserer eigenen Bevölkerung.“

Am 2. Oktober 1990 fand schließlich die allerletzte Sitzung der Volkskammer der DDR statt. Um 17.10 Uhr kamen die 400 Parlamentarier zum letzten Mal zu einer Festsitzung im einstigen Staatsratsgebäude zusammen. Dort wurde das erste und einzige frei gewählte Parlament in der Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik feierlich verabschiedet. 144 der 400 Volkskammer-Abgeordneten wurden mit dem Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes in den Bundestag entsandt.

Auftrag erfüllt, Einheit Deutschlands vollendet

Sabine Bergmann-Pohl sagte in ihrer Abschiedsrede: „Alle mussten lernen, die Regeln einer freiheitlichen parlamentarischen Demokratie einzuüben. Wann war eine demokratische Volksvertretung jemals in der Geschichte mit einer solchen Aufgabe beauftragt worden? Mit dem morgigen Tag können wir sagen: Wir haben unseren Auftrag erfüllt, die Einheit Deutschlands in freier Selbstbestimmung zu vollenden.“

Am 4. Oktober 1990 tagte zum ersten Mal ein gesamtdeutscher Bundestag mit 519 Abgeordneten aus dem 1987 gewählten Bundestag und den 144 entsandten Mitgliedern der Volkskammer. (bsl/21.09.2020)

Marginalspalte