Menschenrechte

Julia Verlinden kämpft für die Frei­lassung von Golrokh Ebrahimi Iraee

Eine junge Frau mit Brille hält ein Papier mit einem Frauenporträt in der Hand neben einer Tafel mit der Aufschrift Different People. Same Rights. One Symbol.

Julia Verlinden im Paul-Löbe-Haus des Bundestages mit einem Porträt von Golrokh Ebrahimi Iraee (© DBT/Achim Melde)

Als Schülerin habe sie ein Buch über die Widerstandskämpferin Sophie Scholl gelesen und sei seitdem voller Hochachtung für Menschen, die sich für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte einsetzen und dabei auch ihr eigenes Leben riskieren, erzählt Dr. Julia Verlinden, Bundestagsabgeordnete für Bündnis 90/Die Grünen.  Im Rahmen des Programms „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ (PsP) des Deutschen Bundestages, das sich an verfolgte Abgeordnete und bedrängte Menschenrechtler aus aller Welt richtet, hat Verlinden Patenschaften für Menschenrechtsaktivistinnen in Chile, Sri Lanka und dem Iran übernommen. Die in Teheran lebende iranische Schriftstellerin und Menschenrechtsaktivistin Golrokh Ebrahimi Iraee ist (seit März 2019) eine von ihnen.

Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) war bereits 2017 mit der Bitte auf Verlinden zugekommen, eine Patenschaft zu übernehmen. Etwas später schlug Verlinden vor, dass diese Patenschaft zusätzlich auch unter dem Dach des PsP Anerkennung finden solle.  Das PsP-Programm helfe dabei, ihr Gesicht und Gewicht als Parlamentarierin zugunsten von Iraee einzusetzen, so die Abgeordnete.

„Absurde Vorwürfe“ gegen Iraee

„Golrokh Ebrahimi Iraee wird von den iranischen Behörden verfolgt, weil sie sich für die Einhaltung der Menschenrechte einsetzt“, erklärt die Abgeordnete aus Lüneburg, die dem Bundestag seit 2013 angehört: „Die Liste der Vorwürfe gegen Iraee ist so lang wie absurd.“ Zum Verhängnis wurde Iraee demnach eine von ihr selbst verfasste, aber bislang unveröffentlichte, Kurzgeschichte über Steinigungen in ihrer Heimat. Das Werk sei den iranischen Behörden bei einer Wohnungsdurchsuchung in die Hände geraten. Die Geschichte handele von einer Frau, die vor Wut einen Koran verbrennt, nachdem sie einen Film über eine Frau gesehen hat, die wegen Ehebruchs zu Tode gesteinigt wird.

Wegen dieses Manuskripts und weiterer öffentlicher Äußerungen werfen ihr die iranischen Behörden laut IGFM „Propaganda gegen den Staat“ und eine „Störung der öffentlichen Meinung“ vor. Aber auch „islamische Heiligkeiten“, den Präsidenten und „Obersten Religionsführer“ des Irans soll sie beleidigt sowie „Mitbürgerinnen motiviert“ haben, „ihr Kopftuch abzulegen“ und „Petitionen zu unterschreiben“. Iraee wird außerdem angelastet, gemeinsam mit einer anderen Inhaftierten offene Briefe über Hinrichtungen und Haftbedingungen in staatlichen Gefängnissen an die Behörden geschrieben zu haben.

In Haft und vor Gericht: Chronik des Schreckens

Für diese „Vergehen“ wurde Golrokh Ebrahimi Iraee seit 2014 zu mehreren Gefängnisstrafen verurteilt, die weiterhin andauern, berichtet die Abgeordnete, die ordentliches Mitglied im Wirtschaftsausschuss und stellvertretendes Mitglied im Umweltausschuss des Bundestages ist. Zur Chronik des Schreckens von Iraee gehört, dass sie laut IGFM im September 2014 zum ersten Mal festgenommen worden sei. Sicherheitskräfte seien ohne Haft- und Durchsuchungsbefehl in ihre Wohnung eingedrungen, hätten Laptops, Bücher und CDs konfisziert und dabei auch die von Iraee geschriebene Kurzgeschichte entdeckt.

Ursprünglich hatten die Behörden mit der Durchsuchung Iraees Ehemann Arash Sadeghi, einen im Iran bekannten Menschenrechtsverteidiger und früheren Studentenaktivisten im Visier, der seitdem eine 19-jährige Strafe verbüßt. Das Islamische Revolutionsgericht in Teheran habe Iraee nach kurzem Prozess zu sechs Jahren Haft verurteilt. Das Berufungsgericht habe die Haftstrafe im Dezember 2015 bestätigt. Iraee habe die Strafe zunächst jedoch nicht antreten müssen.

Im Oktober 2016 sollen Angehörige der „Islamischen Revolutionsgarden“ erneut ihre Wohnung betreten und Iraee mitgenommen haben, so die IGFM weiter.  Am 24. Oktober 2016 habe sie ihre Haft dann antreten müssen. Nach internationalen Protesten sei die Strafe um 30 Monate verkürzt worden.

Hungerstreik, Protest, Krankheit, erneute Festnahme

Um gegen ihre Inhaftierung und schlechte Haftbedingungen zu protestieren, ist Iraee 2018 zusammen mit einer Mitinhaftierten in einen Hungerstreik getreten. Wegen ihres schlechten Gesundheitszustands musste sie Anfang 2018 in ein Krankenhaus verlegt werden. Im April 2019 wurde sie gegen Hinterlegung einer Kaution seitens ihrer Familie vorübergehend freigelassen. Im Juli 2019 wurde Iraee dann zusammen mit einer anderen Menschenrechtsaktivistin wegen „Beleidigung des Obersten Religionsführers“ und „Verbreitung von Propaganda gegen den Staat“ vom Teheraner Revolutionsgericht zu weiteren drei Jahren und sieben Monaten Haft verurteilt, so die Julia Verlinden vorliegenden Informationen.

Die beiden sollen im Gefängnis die Revolutionshymne „Oh martyrs“ gesungen haben, um gegen die Hinrichtung kurdischer Inhaftierter zu protestieren, berichtet die IGFM. Zudem hätten sie sich mit offenen Briefen zu den Exekutionen und auch zu ihren Haftbedingungen an die iranischen Behörden gewandt. Das Berufungsgericht habe diese Strafe im September 2019 noch um zwei weitere Jahre ausgeht, sodass Iraee die erneute Haftstrafe am 9. November 2019 antreten musste.

Unwürdiges Hin und Her

Wegen dieser Kaskade an Vorwürfen und nicht rechtsstaatlicher Verfahren, mehrfachen Verletzungen ihrer Privatsphäre, Festnahmen, zahlreichen Demütigungen und Körperverletzung durch das Gefängnispersonal und der ständigen Unsicherheit über die nächsten Schritte hätten sich die Familie und alle Unterstützerinnen und Unterstützer Iraees große Sorgen gemacht, weiß Julia Verlinden. Der Kontakt zu ihrer Familie und zu einem Rechtsanwalt sowie medizinische Versorgung seien ihr zeitweise verwehrt worden. Anwälte seien von staatlichen Stellen bedroht oder ihnen Einsicht in Unterlagen verwehrt worden. Während der Verhandlung vor dem Islamischen Revolutionsgericht habe Iraee nicht aussagen dürfen, schreibt die IGFM.

Was Iraee zum Vorwurf gemacht werde, sei völlig haltlos und nach internationalen Rechtsstandards strafrechtlich irrelevant, unterstreicht die Abgeordnete. „Die Iranerin hat lediglich friedlich ihr Recht auf Meinungsfreiheit wahrgenommen.“ Dieses Recht zu garantieren habe sich auch der Iran verpflichtet, unter anderem in völkerrechtlich bindenden Verträgen wie dem internationalen Pakt für bürgerliche und politische Rechte. Das Verfahren der staatlichen Ankläger und Richter sei zudem „nicht das, was wir unter Rechtsstaatlichkeit verstehen“: ohne Anwalt und mit einer Verhandlungsdauer von einer Viertelstunde, in der die Angeklagte nicht gehört werde, mit einem überdurchschnittlichen Strafmaß und unmenschlichen Haftbedingungen.

Für Julia Verlinden ist Iraee sei eine gewaltlose politische Gefangene, die nur wegen ihrer friedlichen Menschenrechtsarbeit inhaftiert ist und ihr Recht auf Meinungsfreiheit ausgeübt hat. Die Grünen-Politikerin fordert daher von der iranischen Führung, Golrokh Ebrahimi Iraee umgehend und bedingungslos freizulassen.

Corona als zusätzliche Gefahr für Menschenrechtler

Sorge bereitet Verlinden die gesundheitliche Situation der Iranerin vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie, leide Iraee doch unter chronischem Asthma und gehöre somit zu einer Risikogruppe. Eine Mitgefangene sei vor einiger Zeit positiv auf Covid-19 getestet worden. Dies stelle eine akute Bedrohung für das Leben aller Gefangenen dar. Bislang sei es nicht möglich gewesen, während der Corona-Krise politische Gefangene im Iran gegen Kaution aus dem Gefängnis herauszubekommen und sie damit medizinisch in Sicherheit zu bringen.

Darüber hinaus verweist die Abgeordnete auf den Zusammenhang zwischen Pandemie und Politik. „Neben der Gesundheit der Menschen sind vor allem die Menschenrechte, und diejenigen, die sie verteidigen, in Gefahr.“ Besondere Unterstützung brauchten jetzt Menschen, „die nicht nur durch Corona, sondern auch durch die politische Lage bedroht sind“. Iran sei von der Corona-Pandemie besonders betroffen. Die Führung in Teheran nutze die Gesundheitskrise, um auch politisch hart durchzugreifen – in der Hoffnung, dass die Aufmerksamkeit der Staatengemeinschaft für den Schutz der Menschenrechte wegen der Pandemie jetzt nicht so hoch ist.

„Aus Deutschland doppelte Hilfe nötig“

Aus Deutschland sei jetzt doppelte Hilfe nötig. „Wir meistern die Corona-Krise in Deutschland wie auch auf internationaler Ebene nur gemeinsam“, mahnt Verlinden und fordert die Bundesregierung auf, „vor allem während der Corona-Krise international auf die Einhaltung der Menschenrechte zu pochen und Unterstützung für inhaftierte und bedrohte Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten zu leisten“.
Verlinden nutzt ihre besonderen Möglichkeiten als Parlamentarierin, um zu helfen. So habe sie den iranischen Botschafter in Deutschland sowie den iranischen Außenminister in formellen Schreiben über ihre Patenschaft für Iraee unterrichtet. Sie habe dabei ihre Besorgnis über den Umgang mit Iraee und den Zustand der Gefangenen zum Ausdruck gebracht sowie die Erwartung geäußert, dass Iraee bald freigelassen werde und ein rechtsstaatlichen Ansprüchen genügendes Verfahren bekomme. Sie habe den Verantwortlichen zudem klargemacht, dass sie sich weiter um die Iranerin kümmern werde. Iraee selbst habe sie in einem Brief ihre Unterstützung zugesichert.

Außenminister Heiko Maas ist informiert

Verlinden steht nach eigener Darstellung zudem in ständigem Austausch mit Mitarbeitern und Ortskräften der IGFM. Und am internationalen Tag der Menschenrechte im Dezember 2017 habe sie bei einer Veranstaltung von Amnesty International in einem Vortrag auf das Schicksal der Iranerin aufmerksam gemacht. Auch dem deutschen Außenminister Heiko Maas habe sie Anfang 2019 geschrieben und ihn und die deutsche Botschaft in Teheran über ihre Patenschaft in Kenntnis gesetzt. Das Auswärtige Amt leiste mit seiner Fülle detaillierter, gesicherter Informationen vor Ort wertvolle Unterstützung.

Mehr als 100 Abgeordnete aus dem Bundestag haben im Rahmen des Programms „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ oftmals mehrere Patenschaften für bedrohte Menschenrechtlerinnen und Menschenrechtler übernommen. Das Programm mit einer Fülle weltweiter Fälle führe die Dringlichkeit der Aufgabe vor Augen und bilde eine wichtige Grundlage und Verstärkung für politisches Handeln, sagt Verlinden: um zu helfen, Druck auszuüben und die Dinge zum Besseren zu wenden. Der Einsatz im Rahmen des PsP-Programms helfe dabei den einzelnen Betroffenen ebenso wie es einen Beitrag dazu leisten könne, die Situation in einem ganzen Land zu verbessern und Aufmerksamkeit für die Achtung der Menschenrechte schaffen.

„Die Menschenrechte stärken“

Iraee sei „ein Beispiel für den Fall einer jungen Frau, die sich vor Ort engagiert und dabei ihr Leben aufs Spiel setzt“. Als Parlamentarierin begreife sie es als ihre Pflicht, sich für Iraee einzusetzen, so Verlinden. „Ich muss das einfach tun und meine Position dafür nutzen, Menschen wie Iraee zu unterstützen und zu schützen.“ Ein solches Verantwortungsbewusstsein fordere sie von jedem und jeder Abgeordneten. Es gehöre zum Selbstverständnis deutscher Politik und Außenpolitik, dabei mitzuhelfen, die Menschenrechte zu stärken.

Speziell im Iran gehe es darum, durch öffentliche Unterstützung von Betroffenen Druck auf die Verantwortlichen auszuüben. Zum anderen gehe es darum, die Menschen in Deutschland und Europa auf die Probleme der Menschen im Iran aufmerksam zu machen. Zu der Hilfe, die Parlamentarier und auch Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty International für die Betroffenen vor Ort leisteten, komme hinzu, auch „den Menschen in Deutschland bewusster zu machen, wie die Lage anderswo ist und ihnen Möglichkeit aufzuzeigen, sich zu engagieren – nicht nur als Politikerin oder Politiker“, betont Verlinden.

Erfolgreiches Beispiel macht Mut

Wenn man in einer Patenschaft an einem Fall konsequent dran bleibe, könne das durchaus zum Erfolg führen. So sei es vor mehreren Jahren gelungen, die Freilassung der Iranerin Babareh Hedayat zu erwirke:, „Ein Lichtblick, dass es mal geklappt hat, in einem Fall die Dinge zum Guten zu wenden“, betont die 41-Jährige. Das habe an einem breiten internationalen Engagement gelegen. Niemand könne diesen Erfolg für sich allein reklamieren. „Aber es macht einfach Mut und motiviert zum Weitermachen“, freut sich die Abgeordnete.

Vor so einem glücklichen Ende liege allerdings meist eine längere Durststrecke. „Oft muss man dieselben Forderungen immer wiederholen, mit Briefen nerven“, getreu dem Motto: „Steter Tropfen höhlt den Stein.“ Sie werde demnächst erneut an den iranischen Botschafter schreiben und in der Sache hartnäckig bleiben, kündigt sie an. Und auch Iraee habe sie kürzlich geschrieben und ihr ihre Unterstützung signalisiert: „Selbst wenn diese ihr Schreiben nicht bekomme – dann lesen den Brief immerhin andere, vielleicht Kontaktpersonen, die ich damit bestärken kann, Iraee Mut zu machen und weiterhin zu helfen, oder andere, die Verantwortung tragen, und vielleicht ihr Handeln überdenken.“ (ll/21.09.2020)

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