Aktuelle Stunde

Fraktionen ziehen Halb­zeit­bilanz der deutschen Rats­präsi­dent­schaft

Ob die Folgen der Corona-Pandemie, die Beziehungen zu Großbritannien nach dem Brexit oder der Klimaschutz: Die Herausforderungen, die die EU zu meistern hat, sind groß. Ebenso groß sind aber auch Erwartungen an die deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Über die Frage, wie die Halbzeitbilanz nach drei Monaten deutschen Ratsvorsitzes ausfällt, gingen die Meinungen im Bundestag auseinander. Die Bilanz sei enttäuschend, befand so etwa die FDP, die in der von ihr beantragten Aktuellen Stunde am Freitag, 9. Oktober 2020, zudem kritisierte, dass die Bundeskanzlerin ihre Regierungserklärung zwischen zwei Europäischen Räten abgesagt hatte.

FDP: Kein Fortschritt erkennbar

Stattdessen habe die Kanzlerin nur einen „kleinen Besuch im Europaausschuss absolviert“, der noch dazu in nicht-öffentlicher Sitzung tage, ärgerte sich Alexander Graf Lambsdorff (FDP): „Das ist ein Armutszeugnis.“

Aber er könne das Vorgehen verstehen. „Ob der mehrjährige Finanzrahmen, das europäische Asylsystem, die Brexit-Verhandlungen oder Rechtsstaatlichkeit und Demokratie – ein echter Fortschritt ist auf keinem dieser Felder zu erkennen“, hielt der Liberale der Bundesregierung vor. Von Aufbruchsstimmung sei nichts mehr zu spüren: „Es herrscht Katerstimmung“.

Grüne kritisieren „magere Bilanz“

Dieser Kritik schloss sich auch Dr. Franziska Brandtner (Bündnis 90/Die Grünen) an: Auch sie bezeichnete die bisherige Bilanz der Bundesregierung als „mager“. Besonders geißelte die Abgeordnete die inkonsequente Haltung der Bundesregierung gegenüber Ungarn und Polen.

„An einem Tag preist die Kanzlerin den Rechtsstaat, um ihn dann am nächsten Tag preiszugeben“, sagte Brandtner und forderte, die Vergabe von EU-Geldern müsse an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien geknüpft werden. Dazu habe es auch einen Vorschlag gegeben. Doch im aktuellen Entwurf finde sich von dieser Selbstverständlichkeit nichts mehr. „Alles gestrichen!“

CDU/CSU: Haushaltsverhandlungen vor Zerreißprobe bewahrt

Dr. Katja Leikert (CDU/CSU) konnte die Aufregung nicht verstehen. Die Zwischenbilanz könne sich sehr wohl „sehen lassen“, so die Abgeordnete. Trotz Corona-Pandemie sei es der Kanzlerin gelungen, einen „klaren proeuropäischen Kurs zu halten“ und die „Haushaltsverhandlungen vor einer Zerreißprobe zu bewahren“.

Mit einem Wiederaufbaufonds sorge die Bundesregierung für „Stabilität auf den Märkten“ und treibe zudem die Transformation der EU zu einem „klimaneutralen Kontinent“ voran. „Und da hört man von Ihnen sehr wenig“, rief Leikert der FDP zu.

AfD: EU fehlt die Existenzberechtigung

Harsche Kritik an der EU übte wiederum die AfD: Eigentlich müsse sich die Aktuelle Stunde damit befassen, was sich „hinter EU-Machenschaften“ verberge, die sich als „ewige Erfolgsmeldungen tarnen“, so Harald Weyel (AfD). „Immer gibt es vor EU-Gipfeln einen Berg unlösbarer Probleme, die sich nach zähen, harten Verhandlungen glücklicherweise in einem Kompromiss auflösen, bei dem es nur Gewinner gibt.“

Aber in Wirklichkeit ändere sich nie etwas: „Deutschland zahlt, lässt sich die Agenda von Frankreich diktieren und lässt die Tage der EU-Ratspräsidentschaft ungenutzt verstreichen“, monierte der Abgeordnete. Die EU habe sich spätestens seit der „Corona-Hysterie“ ihrer letzten Existenzberechtigung beraubt.

SPD betont die EU als „Friedensprojekt“

Axel Schäfer (SPD) betonte demgegenüber die EU als „gemeinsames Friedensprojekt“. Zum Kompromiss gebe es eben keine andere gute Alternative: „Am Ende steht sonst nur der Krieg“, warnte der Sozialdemokrat an die AfD gewandt.

Mit Blick auf die EU-Ratspräsidentschaft zeigte sich Schäfer hoffnungsvoll, dass es bis Jahresende erneut zu den nötigen Kompromissen zwischen den 27 EU-Mitgliedstaaten kommen werde. Auch wenn diese „megaschwierig“ seien und „hinter verschlossenen Türen vorbereitet“ würden.

Linke: Superreiche und Konzerne zur Kasse bitten

Für die Fraktion Die Linke gebe es in der Krise nur eine zentrale Frage, betonte schließlich der Abgeordnete Dr. Dieter Dehm (Die Linke) und beantworte diese auch gleich: „Wer bezahlt die Zeche? Wir sagen: Superreiche und Konzerne.“ Die europäische Integration lasse sich nur durch Zusammenhalt retten. Dieser Zusammenhalt sei aber gefährdet, wenn Superreiche und internationale Konzerne nicht ausreichend zur Kasse gebeten würden.

Es brauche also eine Digitalsteuer und eine Transaktionssteuer, die nicht nur Aktien, sondern auch Derivate erfasse, verlangte Dehm. „Damit auch der Multimillionär Jeff Bezos endlich für die Infrastruktur, die Amazon nutzt, zahlt.“ (sas/09.10.2020)

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