Experten: Ökonomische Corona-Folgen überwiegen gesundheitliche in Afrika
Zeit:
Montag, 5. Oktober 2020,
16.30
bis 18 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 4.900
Verhältnismäßig geringe Fallzahlen an Erkrankten und Toten, aber schwerwiegende wirtschaftliche und gesellschaftliche Auswirkungen und eine Verschärfung bereits bestehender sozio-ökonomischer und gewaltsamer Konflikte: Dieses Lagebild zeichneten die Sachverständigen von den Ländern des südlichen und westlichen Afrikas über ein halbes Jahr nach Ausbruch der Corona-Pandemie im öffentlichen Fachgespräch des Unterausschusses „Zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetztes Handeln“ am Montag, 5. Oktober 2020, unter dem Vorsitz von Ottmar von Holtz (Bündnis 90/Die Grünen).
Die Rolle Deutschlands
Die Pandemie stelle gerade Afrika vor große Herausforderungen, gefährde zahlreiche ohnehin fragile und zu den ärmsten zählende Staaten, sagte von Holtz. Die Bundesregierung dürfe aber nicht die bislang relativ stabilen Länder im Westen und Süden des Kontinents übersehen. Auch diesen Ländern mache die Corona-Krise zu schaffen und verursache dort schwere wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme.
So kämpfe Mosambik noch mit den Folgen des schweren Wirbelsturms, Simbabwes Volkswirtschaft mit einer übermäßigen Inflation und in Elfenbeinküste stiegen angesichts der bevorstehenden Wahlen die politischen Spannungen. Es gelte herauszufinden, wie Deutschland sich jetzt dort am besten engagieren könne, um ein Abgleiten dieser Länder zu verhindern.
„Fünf Millionen Menschen zusätzlich in Armut“
Robert Dölger, Regionalbeauftragter für Subsahara-Afrika und Sahel im Auswärtigen Amt, wies darauf hin, dass die Pandemie in Afrika im Vergleich zu den anderen großen Kontinenten bislang zu weniger Ansteckungen und weniger schweren Krankheitsverläufen führe. Umso stärker treffe den Kontinent die wirtschaftliche Abwärtsbewegung.
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sei in der gesamten Region in Subsahara-Afrika geschrumpft. Man sehe hier nach Jahrzehnten kontinuierlichen Wachstums „seit Menschengedenken die erste Rezession“. So sei Nigeria seit den 1980er-Jahren nicht mehr geschrumpft, was damals politische Gründe hatte. In diesem Jahr schlage Corona wohl mit einem Minuswachstum von 3,4 Prozent zu Buche. Wahrscheinlich stürze die Krise fünf Millionen Menschen zusätzlich in die Armut. „Ein schnelles Aufholen ist nicht in Sicht.“
Sinkende Aktivität der Weltwirtschaft
In Südafrika sei die Wirtschaftsleistung vom ersten zum zweiten Quartal um 16,4 Prozent eingebrochen. Auch in der größten Volkswirtschaft Afrikas sei eine schnelle Erholung nicht in Sicht. Die Pandemie habe dabei ohnehin existierende strukturelle Schwächen in den häufig zu wenig diversifizierten Volkswirtschaften zu Tage gefördert. Rohstoffländern wie Angola, Gabun, Kongo oder Sambia seien die weltweiten Absatzmärkte weggebrochen. Einige Länder stünden kurz davor, die Rückzahlung von Krediten in Frage stellen zu müssen.
Es müsse jetzt darum gehen, diesen Ländern dabei zu helfen ihren Status quo, ihre wirtschaftliche Struktur, zu halten und ihre Liquidität sicher zu stellen. Afrika leide weniger an den unmittelbaren Folgen von Corona, sondern an den sinkenden Aktivitäten der Weltwirtschaft, der ausbleibenden Nachfrage aus dem Rest der Welt.
„Nigeria und Ghana in akuter Schuldennot“
Auch Holger Illi, Leiter des Referats 200, Afrikapolitische Grundsätze und Initiativen, im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) betonte: „Die wirtschaftlichen Folgen“ der Pandemie „überwiegen in Afrika momentan die gesundheitlichen bei Weitem“ und nannte weggebrochene Märkte, zusammengebrochene Lieferketten, ausbleibende ausländische Investitionen (FDI).
Für viele Länder wie Mosambik, Kamerun oder Sambia verschärfe sich zudem die Schuldenkrise. Nigeria und Ghana seien in akuter Schuldennot. Diese Länder kämen dann in Schwierigkeiten, Gehälter zu zahlen, soziale Ausgaben und Investitionen zu tätigen. Ein Abwärtstrend drohe. In Westafrika rechne man in den kommenden zehn Jahren mit zehn Millionen neuen Armen.
Schrumpfende Tourismuseinnahmen
Neben Rohstoffen und produzierendem Gewerbe spiele natürlich auch der Tourismus für viele Länder eine wichtige Rolle, etwa in Namibia und Südafrika. 15 Prozent der Arbeitsplätze hingen in Südafrika vom Tourismus ab, das entspreche 11 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) des Landes. Um 75 Prozent seien nun die Einkommen in dem Sektor geschrumpft, die Zahl der Ankünfte, etwa mit dem Flugzeug, sei um 52 Prozent zurückgegangen.
Subsahara-Afrika drohe durch Corona um etliche Jahre zurückgeworfen zu werden. Man gehe davon aus, dass das BIP erst im Jahr 2024 das Niveau von 2019 wieder erreicht. Vorausgesetzt, man bekomme das Pandemiegeschehen demnächst in den Griff.
Zusätzliche Haushaltsmittel für betroffene Regionen
Deutschland helfe der Region im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit und mit zusätzlichen Haushaltsmitteln in diesem und im kommenden Jahr mit 1,15 beziehungsweise 3 Milliarden Euro, damit die dortigen Länder ihren sozialen Aufgaben nachkommen könnten und kleine und mittlere Unternehmen dort die schwierige Zeit überbrücken und ihre Mitarbeiter halten könnten.
Das BMZ unterstütze „Länder im Schuldenstress“ mit „strukturbildenden Maßnahmen“. Dabei behalte man die Perspektive einer Entschuldung im Blick, ein schwieriges Unterfangen angesichts der Vielzahl der involvierten Akteure, gehörten doch zu den Gebern heute Staaten wie auch internationale oder private Organisation, die man alle einbeziehen müsse. Es gehe darum, mittel- und langfristig ein für diese Länder tragfähiges Schuldenniveau zu erreichen.
Wissenschaftlerin: BIP in Afrika sinkt um 7,8 Prozent
Dr. Melanie Müller von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) unterstrich, es sei wichtig, auch Regionen, die nicht so stark im Zentrum der politischen Aufmerksamkeit stünden zu stärken, „Länder, die Gefahr laufen, durch Corona tiefer in die Krise zu rutschen“.
Die Auswirkungen der Corona-Krise in Afrika würden uns noch über Jahre beschäftigen. Die Wissenschaftlerin plädierte, über die kurzfristigen Hilfsmaßnahmen hinaus, für ein mittel- und langfristig orientiertes Krisenmanagement.
Das BIP in Afrika werde in diesem Jahr um bis zu 7,8 Prozent sinken. Im Idealfall bis 2024, im schlechtesten Fall jedoch bis 2030 werde es für eine Erholung brauchen, um zurück zu den Werten von 2019 zu kommen.
Regionale Lieferketten unterbrochen
In vielen Ländern der Region im Süden und Westen steige die Schulden-Problematik. Auch die für die dortigen Volkswirtschaften und Gesellschaften so wichtigen Rücküberweisungen von im Ausland arbeitenden Familienmitgliedern seien eingebrochen. Das alles habe die sozioökonomische Ungleichheit verschärft und sei der Nährboden für Unruhen.
Länder wie Simbabwe oder Mosambik würden noch zusätzlich getroffen. Dort verschärfe sich die Nahrungsmittelkrise, weil regionale Lieferketten unterbrochen worden seien. Und Länder wie Niger, eines der ärmsten Länder der Welt, rutschten noch weiter in die Armut ab.
Erfahrungen aus der Ebola-Krise
„Das Covid-19-Krisenmanagement ist in Afrika insgesamt gut gelaufen“ resümierte Müller, auf lokaler Ebene genauso wie im regionalen und kontinentalen Maßstab. Viele Länder hätten sich unmittelbar nach dem Auftreten der Epidemie einen harten Lockdown verordnet. Es sei darum gegangen Zeit zu gewinnen, um das Gesundheitssystem krisenfest auszustatten für einen möglicherweise starken Anstieg der Corona-Fallzahlen.
Und die Afrikanische Union und die regionalen Institutionen wie die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas hätten die länderübergreifende gesundheitspolitische Zusammenarbeit gefördert und eine kontinentale Strategie verfolgt.
In diesem Rahmen habe man dann regional angemessene Antworten auf die Epidemie geben können. Die Länder Afrikas hätten zudem jetzt auf die Erfahrungen des Ebola-Ausbruchs bauen und auch auf damals geschaffene Strukturen wie das „Center for Disease Control“ zurückgreifen können.
Zunahme autoritärer Tendenzen
Von außen, im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit, müssten solche Institutionen gestärkt werden, die Informationen über das Seuchengeschehen sammeln und ihren Mitgliedern im Ernstfall Beratung und medizinische Hilfe zur Verfügung stellten.
Insgesamt gelte es, auf die Pandemie in Afrika mit einer Stärkung regionaler Wirtschaftsstrukturen zu antworten und mit mehr regionalen Lieferketten, die Lebensmittelversorgung zu sichern. Eine umfassende afrikanische Freihandelszone bleibe allerdings ein Fernziel.
Politisch hätten in den meisten Staaten autoritäre Tendenzen zugenommen. So habe sich die Menschenrechtssituation in Simbabwe stark verschlechtert. Wo Korruption bereits ein strukturelles Problem war, nehme diese weiter zu. Territorien, aus denen sich der Staat zurückziehe, würden rasch von Terroristen eingenommen. Aufgrund sozialer Probleme und steigender Armut hätten Terrororganisation ein leichtes Spiel, Jugendliche zu rekrutieren.
„Afrika stark eingebunden in globale Arbeitsteilung“
Dr. Christian von Soest vom German Institute for Global and Area Studies (GIGA) sagte, mit Ausnahme von Südafrika sei der Kontinent mit etwa 1,5 Millionen Covid-19-Infizierten und rund 36.000 Toten bislang glimpflich davon gekommen.
Momentan habe die Pandemie vor allem ökonomische Auswirkungen. So werde die Wirtschaftsleistung in Afrika in diesem Jahr voraussichtlich zwischen zwei und fünf Prozent einbrechen. Die weltweite Rezession sei Treiber der Krise, Afrikas Volkswirtschaften seien stark eingebunden in die globale Arbeitsteilung.
Mittel- und langfristig könne diese Entwicklung, die mit einem Rückgang der Beschäftigung vor allem im informellen Sektor, mit sinkenden Ressourcen zur Armutsbekämpfung und rückläufigen Investitionen im Bildungssektor einhergehe, das soziale Konfliktpotenzial in West- und Südafrika erhöhen.
Pandemie als Verstärker für bestehende Konflikte
Viele Länder hätten schnell und verantwortungsvoll auf den Ausbruch der Pandemie reagiert. Es gebe aber auch viele Beispiele, wo Regierungen die Pandemie ausnutzten, um ihre Macht zuungunsten der Bevölkerung zu festigen.
Es komme auch darauf an, wie die einzelnen Gesellschaften und Staaten mit der Problembewältigung umgingen und wen die Menschen für Fehler verantwortlich machten. Wo das gesellschaftliche Vertrauen in die Regierung erschüttert sei, erhöhe sich das Risiko, dass die Pandemie als Verstärker für bestehende Konflikte wirke.
Sozial- oder sicherheitspolitisch gebe es keine genuinen Corona-Konflikte, sondern bestehende Konflikte beziehungsweise die Ursachen, die diesen zugrunde lägen, verschärften sich. So träten in Simbabwe bestehende Konfliktlinien jetzt stärker in den Vordergrund als in der Vergangenheit. „Covid hat wie in einem Brennglas bestehende Probleme sichtbar gemacht“, sagte von Soest. Hierzulande aber habe Corona und die Beschäftigung mit der neuen Krankheit die Aufmerksamkeit in den vergangenen Monaten von Afrika weggelenkt. Nun gelte es, den Nachbarkontinent wieder stärker in den Blick zu nehmen. (ll/06.10.2020)