Auswärtiges

Experten: Rechts­staats­för­de­rung als Bau­stein der Kri­sen­prä­ven­tion stär­ken

Gerade jetzt, wo unter dem Eindruck der Pandemie weltweit Grundrechte durch Ausnahmeregelungen unter Druck geraten seien, gilt es, das Politikfeld der Rechtsstaatsförderung als wesentlichen Baustein der internationalen zivilen Krisenprävention und Konfliktbearbeitung zu stärken. Darin waren sich die geladenen Sachverständigen und die Mitglieder des Unterausschusses „Zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetztes Handeln“ in einem öffentlichen Fachgespräch am Montag, 16. November 2020, unter Leitung von Ottmar von Holtz (Bündnis 90/Die Grünen) einig.

Dazu brauche es eine stabile finanzielle Ausstattung, eine engere Vernetzung von Wissenschaft, Durchführungsorganisationen und Politik sowie eine verbesserte Zusammenarbeit der beteiligten Ministerien untereinander.

Präventive Wirkung der Rechtsstaatlichkeit

Nicht nur nach einem Konflikt lasse sich das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat mit einem funktionierenden rechtsstaatlichen Rahmen wiederherstellen. Rechtsstaatlichkeit entfalte zudem eine präventive Wirkung in Verwaltung und Justiz, um Konflikte zu vermeiden, führte von Holtz in das Thema ein.

Er erinnerte an die europäische Rechtsstaatsmission „Eulex“ im Kosovo als prominentestes Beispiel, zu der Deutschland einen großen Beitrag geleistet habe. Wie sich die ressortübergreifende Zusammenarbeit bei der Rechtsstaatsförderung verbessert hat, interessierte die Mitglieder des Unterausschusses vor allem.

Auswärtiges Amt: Wissenschaft einbinden  

Dr. Ferdinand von Weyhe, Leiter des Arbeitsgebiets Sicherheitssektorreform, Rechtsstaatsförderung der Abteilung S im Auswärtiges Amt, unterstrich die enge strategische Zusammenarbeit der fünf Häuser: des Auswärtigen Amtes sowie der Bundesministerien für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, der Justiz und für Verbraucherschutz, der Verteidigung sowie des Innern, für Bau und Heimat.

Man habe während der bisherigen Kooperation und dem „Schreibprozess“ einer gemeinsamen Strategie bereits „eine ganze Menge voneinander lernen können“. Die deutsche Rechtsstaatsarbeit erhalte außerdem international großen Zuspruch. Dabei gehe es beispielsweise darum, nach einem Konflikt ein Land zu beraten, sich eine „inklusive Verfassung“ zu geben, „die nicht den Keim der Auseinandersetzung in sich trägt“. Ein „wichtiger Beitrag“ zur Rechtsstaatsförderung, „um Projekte noch besser zu machen“, sei zudem die Einbindung der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft in das konkrete Tagesgeschäft der Ministerien: „Wir wollen das fortsetzen.“ Es bestehe Platz für noch mehr Zusammenarbeit.

„Rechtsstaatsförderung braucht wissenschaftliches Fundament“

„Rechtsstaatsförderung braucht ein wissenschaftliches Fundament“ warb Dr. Tilmann J. Röder, Wissenschaftler an der Freien Universität Berlin im Bereich Rechtsstaatsförderung und Berater im Auswärtigen Amt, dafür, Forschungswissen in das Verwaltungshandeln einzubinden und regte eine „gemeinsame Lern- und Forschungsgemeinschaft mit den Ministerien“ an.

Es bestehe ein „hoher Forschungsbedarf“. Nicht zuletzt der Bundestag erhalte so wichtiges Entscheidungswissen, „wofür er Mittel bereitstellen sollte“. Man untersuche beispielsweise, „ob Schulungen von Verfassungsrichtern“ in Mali und der Ukraine „zu besseren Entscheidungen führen“ oder wie sich die „Unabhängigkeit der Justiz in Tunesien fördern“ lasse.

„Gravierende Folgen“ der Corona-Pandemie

„Derart wertvolles Wissen muss in die Praxis einer werteorientierten Außenpolitik übertragen werden“, sagte Röder. Gerade „in labilen Kontexten“ erscheine es dabei sinnvoll, lokale Akteure einzubeziehen. Die Corona-Pandemie habe „teils gravierende Folgen“ für die Bemühungen beim Rechtsstaatsaufbau. 94 Länder hätten den nationalen Notstand ausgerufen, 146 Staaten die Versammlungsfreiheit eingeschränkt. Die Durchführungsorganisationen setzten ihre „Tätigkeit unter erschwerten Bedingungen“, teils auf digitalem Weg, fort.

Röder wies darauf hin, wie wichtig ein dialogischer Umgang mit den Partnerländern, deren anderer Kultur, Tradition, Religion und unterschiedlichem Rechtsverständnis sei. So dürften in Afghanistan Gesetze nicht bestimmten Grundsätzen des Islams widersprechen. Andererseits seien die internationalen Menschenrechte einzuhalten. „Ein bisschen die Quadratur des Kreises“ sei das manchmal. Oft helfe es, Berater aus anderen islamischen Ländern einzuladen. So habe man afghanische und marokkanische Experten zusammengebracht.

„Mehr regionale Partner einbeziehen“

Für einen „verstetigten Austausch“ zwischen Ministerien und Forschung sprach sich Ilyas Saliba vom Global Public Policy Institute in Berlin aus, um die ressortübergreifende Strategie fachlich begleiten zu können. Zusätzlich zu einer besseren Qualifizierung von Experten, die dann für Deutschland im Auftrag der Durchführungsorganisationen in Konflikten wirkten, müsse die Bundesregierung noch mehr regionale Partner, aus der Zivilgesellschaft vor Ort, von vornherein mit ins Boot holen und unterstützen.

Leider sei die Rechtsstaatsförderung außerdem noch primär auf staatliche Akteure fokussiert. Dabei hänge viel nicht nur von den Gerichten ab, sondern auch von lokalen Menschenrechts- und Anwaltsorganisationen, die genügend Ressourcen bräuchten, um den Menschen vor Ort überhaupt Zugang zu ihrem verbrieften Recht zu verschaffen und deren Rechtsansprüche durchzusetzen.

„Bundestag sollte andere Parlamente unterstützen“

Neben der Regierung könne es eine Aufgabe für den Bundestag sein, andere Parlamente mit seiner juristischen Expertise zu unterstützen.

Saliba mahnte zudem eine höhere und „langfristigere Förderung“ von Forschungseinrichtungen und Durchführungsorganisationen an. „Einen Rechtsstaat baut man nicht in zwei, drei Jahren auf.“ Um den aktuellen Negativtrends im Zuge der Pandemie etwas entgegenzusetzen, müsse man gerade jetzt mehr in die Rechtsstaatsförderung stecken. (ll/17.11.2020)

Liste der geladenen Sachverständigen

  • Dr. Tilmann J. Röder, Freie Universität Berlin
  • Ilyas Saliba, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB)

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