Gesundheitsminister Spahn fordert Bürger zum Durchhalten auf
Die Corona-Krise befördert den Streit zwischen Regierung und Opposition über die künftige Finanzierung des Gesundheitssystems. Während Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in der ersten Beratung über den Gesundheitsetat 2021 (19/22600) von einem „robusten“ Gesundheitswesen und ebenso robusten Staatsfinanzen sprach, forderten Oppositionspolitiker am Donnerstag, 1. Oktober 2020, im Parlament grundsätzliche Reformen und eine nachhaltige Finanzierung der steigenden Gesundheitsausgaben.
Minister: Freiheit der Anderen achten
Spahn appellierte an die Bevölkerung, sich in der Corona-Krise weiter an die Auflagen zu halten und die realen Gefahren nicht zu ignorieren. Eine Mehrheit der Bürger trage die Regelungen eigenverantwortlich mit, andere seien jedoch der Ansicht, es sei eigentlich gar nichts passiert. Spahn forderte dazu auf, die Freiheit des Anderen zu achten und nicht zuerst an sich zu denken. Tatsächlich gehe es jetzt darum, als Gesellschaft weiter durchzuhalten.
Mit Blick auf die Digitalisierung des Gesundheitswesens sagte Spahn, die Krise könne auch eine Chance sein. So würden veraltete Faxmeldungen durch einen modernen Datenaustausch ersetzt. 2021 werde nach vielen Jahren der Diskussion die elektronische Patientenakte (ePA) eingeführt und das elektronische Rezept. Spahn betonte, die Digitalisierung sei kein Selbstzweck, sondern solle den Alltag leichter machen. Zudem würden die Gesundheitsberufe weiterentwickelt und in der Pflege neue Stellen geschaffen. Was die Finanzierung angehe, komme es auf eine gut austarierte Balance zwischen der Verantwortung des Einzelnen und der Solidargemeinschaft an. Solide Staatsfinanzen seien wichtig, um Schocks wie die Corona-Pandemie auszuhalten.
SPD: Zusatzbeitrag soll nur moderat steigen
Sabine Dittmar (SPD) sagte, das Gesundheitssystem arbeite gut und auf einen hohen Niveau. Defizite bei Schutzausrüstungen und dem Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) seien schon angepackt worden. So sehe der vereinbarte Pakt für den ÖGD vier Milliarden Euro vor. Angesichts der Defizite bei der Digitalisierung erhielten die Krankenhäuser drei Milliarden Euro vom Bund für Investitionen.
Dittmar verteidigte die Entscheidung, Rücklagen der gesetzlichen Krankenkassen abzuschmelzen, um die Krankenversicherungsbeiträge stabil zu halten. Sie könne den Unmut darüber verstehen, denn immerhin sei dies ein Eingriff in die Finanzautonomie der Kassen. Die Alternative wäre jedoch eine Verdoppelung der Zusatzbeiträge. Das wäre mitten in der Krise ein falsches Signal, gab sie zu bedenken.
Der Zusatzbeitrag soll im kommenden Jahr nach ihrer Aussage nur „moderat“ um 0,2 Punkte auf dann 1,3 Prozent steigen. Experten erwarten, dass wegen des Wirtschaftsabschwungs in der Krise und steigender Ausgaben die Unterdeckung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) 2021 bei mindestens 16 Milliarden Euro liegen wird. Acht Milliarden Euro sollen die Kassen einmalig aus den Reserven beisteuern, um das Defizit auszugleichen.
Grüne kritisieren wachsendes strukturelles Defizit
Die Opposition hielt der Regierung eine unsolide Haushaltspolitik vor und forderte sofortige Gespräche über notwendige Reformen. Anja Hajduk (Bündnis 90/Die Grünen) sagte, das erwartete Defizit von 16 Milliarden Euro in der GKV sei das Gegenteil von Solidität und könne nicht nur auf die Corona-Krise geschoben werden.
Tatsächlich gebe es ein wachsendes strukturelles Defizit, unter anderem hervorgerufen durch teure Reformen wie etwa das Terminservicegesetz. Über die massive Unterfinanzierung in der Finanzplanung müsse jetzt geredet werden. Die Finanzierung der Gesundheitsversorgung stehe „auf kippeligen Beinen“.
AfD: Auflösung der Rücklagen ist Enteignung
Heftige grundsätzliche Kritik kam auch von der AfD. Detlev Spangenberg rügte die „exorbitante Neuverschuldung“ und das „schlechte Regierungshandeln“ in einem einzigen Jahr. Die Rücklagen der Krankenkassen aufzulösen, sei faktische Enteignung. Statt Gesundheitsleistungen aus dem Steueraufkommen zu finanzieren, müssten nun die Versicherten dafür aufkommen.
Spangenberg kritisierte auch die aufgestockten Mittel für die internationale Gesundheitspolitik. Hier stelle sich immer die Frage, was Deutschland dafür konkret bekomme.
FDP fordert Strukturanpassungen für die Zukunft
Karsten Klein (FDP) entgegnete: „Wir müssen international gegen solche Krankheiten kämpfen.“ Wenn die AfD diese Mittel für unnötig erachte und dafür eintrete, sie im Haushalt zu streichen, zeige dies, dass sie kein Interesse daran habe, wie es den Menschen im Land gehe. Klein sagte, es sei sinnvoll, sich schon in der Krise Gedanken zu machen über Strukturanpassungen in der Zukunft. Die Investitionen des Bundes in die Kliniken seien sinnvoll, hier gebe es Nachholbedarf bei der Digitalisierung. Allerdings sei die Förderquote des Bundes von 70 Prozent problematisch, denn eigentlich seien die Länder für die Krankenhausinvestitionen zuständig. Darüber müsse geredet werden.
Klein ging auch auf die Schieflage beim Apothekenrechenzentrum AvP ein. Rund 3.500 Apotheker seien unverschuldet in eine Notlage geraten. Neben der nötigen Aufklärung seien zinslose Darlehen nun wichtig.
Linke: Fallpauschalen zur Abrechnung sind Irrweg
Dr. Gesine Lötzsch (Die Linke) sagte, es gebe in der Corona-Krise keinen Anlass für Selbstzufriedenheit. Die Pandemie sei „ein Stresstest“ für das Gesundheitssystem und die Gesellschaft insgesamt. Sie wandte sich erneut gegen eine profitorientierte Versorgung und bezeichnete die Fallpauschalen zur Abrechnung in Krankenhäusern als „Irrweg“.
In der Pflege sei die Arbeitsbelastung zu hoch, Pfleger berichteten über eine angespannte Situation und ein „Dauerhamsterrad“. Die Anhebung der Zusatzbeiträge bezeichnete Lötzsch als schlechte Idee, eine Vermögensabgabe für Millionäre sei hingegen sinnvoll.
CDU/CSU: Epidemie drängt in den Alltag zurück
Die CDU-Gesundheitsexpertin Karin Maag ging auf die wieder steigenden Corona-Fallzahlen ein. Die Epidemie dränge dramatisch in den Alltag zurück, jedoch könnten die Verantwortlichen auf Erlerntes zurückgreifen und passgenau reagieren.
Der Pakt für den ÖGD ermögliche moderne Strukturen, das komme der Bevölkerung unmittelbar zugute.
Gesundheitsetat 2021
Der Gesundheitsetat wird 2021 deutlich über dem bisher üblichen Ausgabenniveau liegen. Laut Haushaltsentwurf (19/22600) sind Ausgaben in Höhe von rund 24,3 Milliarden Euro vorgesehen, rund 17 Milliarden Euro weniger als auf dem Rekordniveau 2020, aber rund neun Milliarden Euro mehr, als vor der Krise für 2020 und 2021 vorgesehen war.
Mit dem zweiten Nachtragshaushalt erreichte der Etat im laufenden Jahr 2020 rund 41,25 Milliarden Euro. Ursprünglich hatte das Bundesgesundheitsministerium für 2020 mit rund 15,35 Milliarden Euro geplant.
Bundeszuschuss an den Gesundheitsfonds
Der Bundeszuschuss an den Gesundheitsfonds macht nach wie vor den mit Abstand größten Posten im Etat aus. Der Zuschuss ist seit 2017 bei 14,5 Milliarden Euro festgeschrieben, dabei soll es auch bleiben. Mit dem Steuergeld werden Aufwendungen der Krankenkassen für gesamtgesellschaftliche Aufgaben, also etwa die beitragsfreie Familienversicherung von Kindern und Ehepartnern sowie Leistungen für Mutterschaft und Schwangerschaft pauschal abgegolten.
Aufgrund der zusätzlichen Aufwendungen in der Corona-Krise stockt der Bund 2021 seine Zuschüsse an den Gesundheitsfonds allerdings um fünf Milliarden Euro auf. Hinzu kommt die Investitionshilfe des Bundes für die Krankenhäuser in Höhe von drei Milliarden Euro. Demzufolge erreicht die Höhe der Zuweisungen und Zuschüsse an den Gesundheitsfonds 2021 rund 22,5 Milliarden Euro, im Vergleich zu rund 29,5 Milliarden Euro im Krisenjahr 2020, als ebenfalls zusätzliche Milliardenhilfen in das Gesundheitssystem flossen.
Neben dem Gesundheitsministerium umfasst der Einzelplan 15 auch die Etats der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI), des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und des Robert-Koch-Instituts (RKI). (pk/01.10.2020)