Parlament

Matthias Heider: USA sollten Truppen­abzugs­pläne überdenken

Ein Mann mittleren Alters mit Anzug und Krawatte blickt in die Kamera.

Matthias Heider (CDU/CSU) ist Vorsitzender der Parlamentariergruppe USA im Bundestag. (Deutscher Bundestag/Henning Schacht)

An der Spitze der USA steht nach den dortigen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in wenigen Wochen der Personalwechsel im Weißen Haus bevor. Auf parlamentarischer Ebene gestalten Abgeordnete des Deutschen Bundestages und des US-Kongresses die deutsch-amerikanischen Beziehungen mit. „Es ist ein transatlantischer Neuanfang, der darauf beruht, dass wieder beide Seiten – sowohl die USA als auch die EU – gewillt sind, gemeinsam an konstruktiven Lösungen zu arbeiten“, sagt Dr. Matthias Heider (CDU/CSU), Vorsitzender der Parlamentariergruppe USA im Deutschen Bundestag. Im Interview spricht er über die holprige Amtsübergabe in Washington, neue und alte Gesichter der Deutschland-Freundschaftsgruppe im US-Kongress, bleibende Konfliktfelder zwischen Berlin und Washington und seine Erwartungen and den neuen US-Präsidenten. Zu den Truppenabzugsplänen Trumps aus Deutschland, die zuletzt für Irritationen im bilateralen Verhältnis gesorgt hatten, sagt Heider: „Es liegt im ureigenen Interesse der USA, dieses Vorhaben zu überdenken.“ Das Interview im Wortlaut:

Herr Dr. Heider, abhaken und nach vorne schauen: Ist das Ihr Motto als Parlamentarier und als Parlamentariergruppe, wenn Sie auf die Zeit der Präsidentschaft Donald Trumps zurückblicken?

Mit einem echten „Rückblick“ warte ich besser. Denn: Noch ist die Präsidentschaft Donald Trumps nicht beendet. Bis zur Amtseinführung Joe Bidens am 20. Januar vergehen sechs Wochen, in denen Trump durchaus noch mehr Spuren hinterlassen kann. Seine jüngsten Personalentscheidungen, die zur fragwürdigen Entlassung wichtiger Minister und Behördenchefs führten, weisen darauf hin, dass er bis zuletzt unberechenbar bleiben wird. Außerdem hat Trump eine frühzeitige Übergabe der Amtsgeschäfte an Biden verhindert. So konnte Biden auf wichtige Regierungsinformationen nicht sofort zugreifen. Das wäre hilfreich gewesen, damit er ab Januar das Coronavirus wirksam bekämpfen und die USA sicherheitspolitisch wehrhaft positionieren kann. 

Haben Sie nach den dortigen Wahlen einen neuen Ansprechpartner oder eine neue Ansprechpartnerin, Ihren Counterpart der dortigen Freundschaftsgruppe, die für Deutschland zuständig ist, im US-Kongress?

Bisher wurde die Freundschaftsgruppe des Kongresses von Susan Brooks (Republikaner) und Ted Deutch (Demokraten), die beide im Repräsentantenhaus sitzen, geleitet. Susan hat sich für die kommende Abgeordnetenperiode allerdings nicht mehr aufstellen lassen, während Ted gerade wiedergewählt wurde. Insofern bin ich gespannt, wie sich die Zusammenarbeit mit Susans Nachfolgerin gestalten wird. Zugleich gehe ich davon aus, dass Ted weitermachen wird. Aber ja, natürlich ist jetzt vieles im Fluss. Ich rechne mit vielen neuen Gesichtern auf der anderen Seite des Atlantiks. 

Gab es schon ein Telefonat?

Wir werden noch vor Weihnachten eine weitere Videokonferenz mit amerikanischen und deutschen Abgeordneten durchführen, um die Wahlergebnisse und daraus erwachsende Folgen zu diskutieren. Erst einmal warten wir jedoch ab, bis in allen US-Bundesstaaten jene 538 Wahlleute, die den Präsidenten wählen sollen, bestimmt sind. Dann können wir tatsächlich davon ausgehen, dass Biden ins Weiße Haus einziehen wird. Einstweilen sorgt Trump mit seinen verzweifelten – und bereits reihenweise gescheiterten – juristischen Manövern zumindest theoretisch für einen winzigen Rest Unsicherheit.

Wann werden Sie sich mit Ihren amerikanischen Kolleginnen und Kollegen zusammenschalten oder treffen?

Als Vorsitzender der Parlamentariergruppe werde ich mich noch im Dezember mit amerikanischen Kollegen zusammenschalten, um Susan Brooks zu verabschieden und ihre Nachfolgerin kennenzulernen. Kurz darauf findet die bereits erwähnte Videokonferenz statt, zu der beide Parlamentariergruppen in voller Mannschaftsstärke eingeladen sind. Im Hinblick auf Vor-Ort-Begegnungen müssen wir den weiteren Verlauf der Corona-Pandemie abwarten. Ich hoffe, dass in der ersten Jahreshälfte 2021 wieder Dienst- beziehungsweise Delegationsreisen in die USA guten Gewissens möglich sind.

Welche Themen werden zwischen Deutschland und den USA kontrovers bleiben und wo kann man nach dem Regierungswechsel in Washington leichter an Gemeinsames anknüpfen?

Ich sehe vor allem drei Konfliktfelder: Da ist erstens die Nato, deren Finanzierung und Aufgabenbestimmung auch künftig kontrovers sein wird. Zweitens birgt die Chinapolitik einigen Zündstoff, denn auch Biden wird von Deutschland eine klare Abgrenzung gegenüber China einfordern, etwa beim Thema „5G-Netzausbau mit Huawei“. Und drittens bleibt natürlich „Nord Stream 2“ auf der Agenda, denn während die USA den Bau stoppen wollen, befürwortet Deutschland das Projekt weiterhin. Grundsätzlich bin ich aber optimistisch, dass wir überall belastbare Kompromisse finden werden. Denn Biden weiß, dass das transatlantische Bündnis wichtig und multilaterale Zusammenarbeit unentbehrlich ist.

Welche thematischen Prioritäten setzen Sie als Bundestagsabgeordnete der Parlamentariergruppe jetzt auf die transatlantische Agenda?

Ich denke, dass die letzten Jahre gezeigt haben, wie wichtig Grundsatzdiskussionen sind: Welche Antworten finden wir auf globale Herausforderungen wie das Coronavirus, den Klimawandel, Migrationsströme oder zunehmende Digitalisierung? Wie müssen sich Wirtschaftssysteme angesichts dieser Phänomene wandeln? Weshalb ist multilaterale Zusammenarbeit effektiver als nationale Alleingänge? Diese und ähnliche Fragen beschäftigen uns regelmäßig – natürlich nicht ohne die Anwendung auf konkrete Beispiele, die ohnehin aktuell und brisant sind.    

Unter welche Überschrift würden Sie den Wechsel von Trump zu Biden stellen: Ist es ein „Zurück zur Normalität“, ein „transatlantischer Neuanfang“, ein „New Deal“?

Es ist ein transatlantischer Neuanfang, der darauf beruht, dass wieder beide Seiten – sowohl die USA als auch die EU – gewillt sind, gemeinsam an konstruktiven Lösungen zu arbeiten. Man könnte es also auf die Formel bringen: „Back to the roots, striving for a better future together.“   

Was erwarten Sie vom neuen US-Präsidenten Joe Biden?

Grundsätzlich, dass er dem Amt des US-Präsidenten wieder Bedeutung und Würde verleiht. Innenpolitisch, dass er alles unternimmt, um die vielfältig gespaltene amerikanische Gesellschaft zusammenzuführen. Außenpolitisch, dass er das weltpolitische Verantwortungsbewusstsein seines Landes deutlich erkennbar werden lässt. 

Müsste zu einem klaren Bekenntnis Bidens zur transatlantischen Partnerschaft nicht auch gehören, die US-Truppenabzugspläne Trumps aus Deutschland rückgängig zu machen?

Es liegt im ureigenen Interesse der USA, dieses Vorhaben zu überdenken. Schließlich nutzen sie ihre Stützpunkte hier in Deutschland für Missionen und Übungen in ganz Europa, außerdem als Ausgangspunkt für Einsätze im Nahen und Mittleren Osten oder in Afrika. Darüber hinaus tragen die hiesigen US-Militärbasen erheblich dazu bei, in weltweiten Einsätzen verletzte Soldaten medizinisch zu versorgen. In Amerika selbst haben zahlreiche hochrangige Militärs, Politiker beider großer Parteien sowie anerkannte Sicherheitsexperten diese Argumente vorgebracht. 

Was hängt für Deutschland vom transatlantischen Verhältnis ab und was sollte Deutschland im eigenen Interesse zum Gelingen der Partnerschaft mit den USA beitragen, egal wer US-Präsident ist?

Das transatlantische Verhältnis sichert uns Frieden und Wohlstand. Deshalb müssen auch wir zu Zugeständnissen an die Amerikaner bereit sein, etwa, indem wir unsere eigenen Nato-Zahlungen weiter erhöhen. Ferner stelle ich links wie rechts im politischen Spektrum immer wieder fest, dass viele Deutsche in den unterschiedlichsten Zusammenhängen dazu neigen, gegenüber „den Amis“ rasch den moralischen Zeigefinger zu erheben. Hier sollten auch wir bereit sein, die USA als Partner auf Augenhöhe zu respektieren. Nur gemeinsam werden wir vorankommen.

(ll/07.12.2020)

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