3. Untersuchungsausschuss

Chef der Abschluss­prüfer-Aufsicht hat mit Wirecard-Aktien gehandelt

Leuchtschrift wirecard an einem Bürogebäude in der Nacht.

Der Ausschuss vernimmt Zeuginnen aus dem Wirtschaftsministerium und Zeugen aus dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. (picture alliance/SvenSimon | Frank Hoermann/SVEN SIMON)

Ralf Bose, Leiter der Abschlussprüfer-Aufsichtsstelle (Apas) beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa), hat durch Auskünfte über seine Aktiengeschäfte für Verblüffung im 3. Untersuchungsausschuss („Wirecard“) gesorgt. Die Sitzung Donnerstag10. Dezember 2020, unter Vorsitz von Kay Gottschalk (AfD) nahm dadurch in der Nacht auf Freitag, 11. Dezember, eine neue Wendung. Die Apas ist dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) unterstellt.

„Ende April 2020 erstmals Wirecard-Aktien gekauft“

Die Abgeordnete Cansel Kiziltepe (SPD) hatte Bose die Information entlockt, dass dieser Ende April 2020 erstmals Wirecard-Aktien gekauft hatte. Er hat sie dann kurz nach dem Erscheinen eines entscheidenden Prüfberichts des Wirtschaftsprüfers KPMG am 20. Mai wieder verkauft. Bose hat in diesem Zeitpunkt mit dem Investment zwar Verlust gemacht. Die Mitarbeiter der Apas müssen Aktienkäufe – auch von Unternehmen, deren Wirtschaftsprüfer sie untersuchen – außerdem nur melden, wenn der Wert des Aktienpakets mehr als fünf Prozent ihres Vermögens ausmacht.

Doch angesichts der politischen Brisanz der reinen Möglichkeit einer persönlichen Bereicherung durch dienstlich erworbene Informationen im Zusammenhang mit der Wirecard-Aktie bemühten sich die Abgeordneten, die Vorgänge im Detail nachzuvollziehen. Gottschalk zeigte sich „entsetzt“, dass Bose die Aktien am gleichen Tag verkauft hat, an dem die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) die Apas formal über den Inhalt des KMPG-Berichts und damit über das Ausmaß der Probleme bei Wirecard informiert hat.

„Ignoranz gegenüber dem schlechten Zustand von Wirecard

Der Abgeordnete Dr. Florian Toncar (FDP) ließ sich darlegen, welche Informationen Bose von den Wirtschaftsprüfern Ernst & Young (EY) und KPMG vor und nach seinem Aktienkauf erhalten hat. Boses Ignoranz gegenüber dem schlechten Zustand von Wirecard noch im April 2020 hält er für bezeichnend: Es sei kein Wunder, dass Bose und die Apas noch 2019 die Indizien nicht richtig gedeutet hätten.

Auch Dr. Jens Zimmermann (SPD) zeigte sich darüber besorgt, dass der Apas-Chef noch am 28. April 2020 so viel Substanz in Wirecard gesehen hat, dass er in Aktien des Unternehmens eingestiegen ist. Dabei hatte der KMPG-Bericht da schon zutage gefördert, dass die wichtigsten Gewinnquellen und ein Drittel der Bilanz auf Betrug beruhten. „Auch ich konnte mir nicht vorstellen, dass bei einem Dax-Konzern so etwas geschehen könnte“, versuchte Bose sein Verhalten zu erklären.

„Apas kontrolliert sich zur Qualitätssicherung selbst“

Die Frage nach der ordnungsgemäßen Führung der Apas dominierte nach diesen Enthüllungen auch die Befragung der folgenden beiden Zeuginnen. Bei Kirsten Glückert, Referatsleiterin im BMWi, liegt die Rechtsaufsicht über die Apas. Dr. Sabine Hepperle ist als Abteilungsleiterin Mittelstandspolitik ihre Chefin – und steht im Organigramm direkt unter den Staatssekretären. Beide Beamtinnen sahen sich mit der Frage konfrontiert, warum sie die Apas nicht straffer kontrollieren können.

Florian Toncar (FDP) hielt Boses Behauptung, seine Aktiengeschäfte stellten kein moralisches Risiko dar, für unrealistisch. Ermittlungen der Apas zu einer Wirtschaftsprüfung bringen die Prüfer fast zwangsläufig mit Informationen über das betroffene Unternehmen in Kontakt, führte Toncar in Form einer Frage aus. „Warum sieht die Geschäftsordnung der Apas ausgerechnet für deren Chef keine Meldepflicht zum Aktienbesitz vor?“, fragte Fabio De Masi (Die Linke). Die Apas kontrolliere sich zur Qualitätssicherung selbst, lautete die Antwort von Dr. Hepperle.

„Es gibt keinen akuten Reformbedarf“

Glückert verwies darauf, dass sie erst nach Einführung dieser Geschäftsordnung in ihre derzeitige Position aufgerückt sei. Sie gab zu, dass der Leiter der Apas die Kontrollinstanz für die übrigen Mitarbeiter der Behörde sei, dieser selbst aber in dieser Hinsicht keiner Aufsicht unterliege. Es gebe aber keinen akuten Reformbedarf. Eine Fachaufsicht über die Apas sei nach EU-Recht gar nicht möglich.

Sabine Hepperle erklärte das näher. Um die Aufsicht über die Abschlussprüfer zu stärken, hat die EU vorgegeben, dass die „Letztverantwortung“ bei einer unabhängigen Behörde liegen soll. Sie soll also eben an keine – möglicherweise politisch motivierten – Weisungen von oben gebunden sein. Deshalb leiste ihr Ministerium nur Rechtsaufsicht, keine Fachaufsicht. „Es gibt kein Gremium, das darüber steht und die Zweckmäßigkeit des Verwaltungshandels der Apas beaufsichtigt“, sagte Hepperle.

„60 Prozent der Apas-Mitarbeiter kommen von den Big Four“

Es gibt immerhin einen Mechanismus, um Interessenkonflikte der Apas möglichst zu verhindern. Ehemalige Mitarbeiter von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sind von Ermittlungen gegen den früheren Arbeitgeber ausgeschlossen, erklärte Bose. Das gilt auch und vor allem, weil sie in der Regel noch Pensionsansprüche gegenüber den Wirtschaftsprüfern haben und daher die persönlichen den dienstlichen Interessen entgegenlaufen können. Etwa 60 Prozent der Mitarbeiter der Apas kommen von den Big Four, den vier größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften Deloitte, EY, KPMG und PwC.

Zuvor hatte Bose die vorangegangenen Aussagen von zwei untergebenen Beamten vor dem Ausschuss bestätigt. Auch er stellt den zeitlichen Ablauf so dar, dass nach aufsehenerregenden Presseberichten im Januar 2019 ein Kontakt mit dem Wirtschaftsprüfer EY stattfand, bei dem deren Deutschland-Chef versprach, den Vorwürfen gegen Wirecard mit professionellen Mitteln nachzugehen.

EY hätte sich an die Staatsanwaltschaft wenden müssen“

Es habe keine Meldung nach Artikel 7 der Abschlussprüferverordnung gegeben, sagte Bose. Dem Gesetz zufolge müssen Wirtschaftsprüfer wie EY die geprüften Unternehmen auffordern, Unstimmigkeiten aufzuklären. Wenn das Unternehmen sich weigert, muss eine Meldung nach Artikel 7 erfolgen. Nach Auskunft von EY hatte Wirecard sich jedoch bereit erklärt, in vollem Umfang zur Aufklärung beizutragen.

Damit habe dieser Teil von Artikel 7 nicht mehr gegriffen, erläutert Bose. Außerdem sei die Apas für solche Meldungen nicht zuständig. Glückert bestätigte, dass in Deutschland nicht abschließend geklärt ist, welche Behörde die richtige Empfängerin für eine Meldung nach Artikel 7 ist. Nach Ansicht der Apas sind das je nach Art und Schwere der Vorwürfe die Staatsanwaltschaft oder die Finanzaufsicht Bafin. Rückblickend ist die Apas nun der Auffassung, dass EY sich seinerzeit mit so einer Meldung an die Staatsanwaltschaft hätte wenden müssen, weil Wirecard in Wirklichkeit eben nicht kooperativ war, sondern seine wahre Finanzlage nach Kräften verschleiert hat.

„Vorermittlungen gegen EY angeschoben“

Mit der Ankündigung gründlicher Aufklärung der Vorgänge durch EY hat sich die Apas damals jedoch vorerst zufriedengegeben. Mitte Oktober folgten dann jedoch weitere, besser belegte Vorwürfe. Daraufhin habe die Apas Vorermittlungen gegen EY angeschoben, weil sie nun den Verdacht von Pflichtverletzungen sah. Ende Oktober setzte der Aufsichtsrat von Wirecard durch, dass die konkurrierende Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG die Bilanzen von Wirecard zusätzlich durchleuchten soll.

Daraufhin entschied sich die Apas, auf die Veröffentlichung dieses Berichts zu warten. Sofort nachdem dieser im Mai 2020 herausgekommen war, begann das formale Verfahren der Apas, um Pflichtverletzungen durch EY aufzuklären.

Lange Zeit kein Anhaltspunkt für Pflichtverletzungen von EY

Bereits zuvor war deutlich geworden, dass die Wirtschaftsprüfer-Aufsicht im Bafa nach Auskunft leitender Beamter lange Zeit keinen Anhaltspunkt für Pflichtverletzungen der Firma EY bei der Überwachung der Wirecard AG gesehen hat. Bis zum Mai 2020 habe es keinen Grund gegeben, ein Berufsaufsichtsverfahren einzuleiten, sagte Naif Kanwan, Leiter der Unterabteilung für Berufsaufsicht im Bafa.

Besonderes Augenmerk legten die Abgeordneten auf einen Telefon-Termin am 13. Februar 2019. Am Tag zuvor hatte die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY dringend um ein Gespräch mit den zuständigen Aufsichtsbeamten gebeten. An der Unterredung war neben Kanwan auch Martin Kocks beteiligt, der Leiter der Unterabteilung für Inspektion und Qualitätskontrolle, sowie Ralf Bose, ihr gemeinsamer Chef. 

Befragung zur Überwachungspraxis

Der Chef von EY Deutschland, Christian Orth, überzeugte die Aufseher bei dem Gespräch davon, dass sein Unternehmen die Unregelmäßigkeiten in Asien schnell aufklären werde. In dieser Zeit häuften sich bereits Medienberichte über eventuell aufgeblähte Gewinne und dubiose Geschäfte in Singapur und im arabischen Raum. „Dieser Anruf ist für diesen Ausschuss so wichtig, weil bei schnellem Handeln da noch die Schäden für den Finanzmarkt hätten verhindert werden können“, sagt der Abgeordnete Dr. h .c. Hans Michelbach (CDU/CSU).

Später im Jahresverlauf habe EY Belege dafür vorgelegt, den Vorwürfen auch mit forensischen Mitteln nachgegangen zu sein. Damit seien die Zweifel ausgeräumt gewesen, berichtet Kanwan. „Die Thematik Singapur wurde aus unserer Sicht ordnungsgemäß abgearbeitet“, bestätigt Kocks. Jens Zimmermann (SPD) zeigte sich erstaunt über die Gutgläubigkeit der Bafa-Beamten. Die Überwachung der Abschlussprüfer basiere offenbar vor allem auf Vertrauen. „Je länger wir uns mit der Abschlussprüfung beschäftigen, desto eher merken wir aber, dass auch die nicht rund gelaufen ist.“ Zwar habe die Apas viele Kontrollkästchen abgehakt, sich dabei aber immer auf Dokumente und Aussagen der Geprüften verlassen. „Das ist so, wie wenn ich zum TÜV gehe und dort selbst bestätige, alle Reparaturen am Auto gemacht zu haben“, so Zimmermann.

Entscheidungen der Bafin im Fokus

Die Abgeordneten wollten in der Sitzung auch den Auswirkungen einer Reihe von Entscheidungen der Bafin nachspüren. Diese hatte im Februar 2019 ein Verbot von Leerverkäufen der Wirecard-Aktie ausgesprochen. Sie hat also Wetten auf fallende Kurse verboten. In Deutschland wurde das zum Teil als Botschaft verstanden, dass sich im Ausland unseriöse Investoren gegen Wirecard verschworen haben. Die Unterstellung hinter dieser Interpretation: Die kritischen Artikel in der britischen Zeitung „Financial Times“ seien von Leerverkäufern motiviert, die von einem Absturz der Wirecard-Aktie profitieren würden. Diese Sichtweise stützte auch das Wirecard-Management in jener Zeit durch seine Kommunikation.

Der Abgeordnete Gottschalk fragte Kanwan, ob diese Entscheidung der Bafin seine Bewertung der Vorwürfe gegen die Wirecard-Prüfer beeinflusst habe. Wenn es keine Scheingeschäfte gab, dann gab es schließlich auch keinen Grund, an der Bestätigung der Jahresabschlüsse durch EY zu zweifeln. Kanwan als zuständiger Aufseher leugnete jedoch, dass dadurch die Weichen in der Apas bereits gestellt gewesen seien. „Wir haben eher gesehen, dass verschiedene Behörden und Organisationen an den Vorwürfen schon dran sind.“ Anzeichen für ein Fehlverhalten von EY habe es da aus Sicht seiner Behörde nicht gegeben.

Prüfer unterschätzten Unregelmäßigkeiten

Im Gesamtbild waren Kanwan und Kocks lange Zeit davon ausgegangen, dass Unregelmäßigkeiten bei der Prüfung der Abschlüsse der Wirecard AG regional begrenzt gewesen seien und sich auf vergleichsweise geringe Summen beschränkten. „Es wirkte nicht wie etwas Besonderes“, sagt Kanwan. Es sei in der Presse zwar von Problemen in Singapur und Dubai die Rede gewesen. Es komme jedoch immer wieder vor, dass Buchhalter Fehler machen oder aktiv betrügen.

Die Abgeordneten zeigten sich mehrheitlich erstaunt darüber, dass die Prüfer ein Milliardenproblem dermaßen unterschätzt haben. Sie gestanden ihnen jedoch zu, dass sich die Anhaltspunkte im Rückblick als bedeutungsvoller darstellen als zum Zeitpunkt ihres ersten Auftauchens. Formal waren nach Aussage der Beamten keine weitere Recherchen nötig, um ihren Auftrag korrekt auszuführen. Die Abgeordneten stellten im Ausschuss jedoch genau danach noch weitere Fragen. Warum hat die Apas nicht um Amtshilfe in Singapur nachgesucht, warum hat sie sich nicht besser mit der Bafin koordiniert? Kocks erkannte diese Kritik durchaus an. „Wir reflektieren, welche Aufgaben sich für unsere Tätigkeit ergeben und wie das präventive Element gesteigert werden kann“, sagte Kocks. (fmk/11.12.2020)

Liste der geladenen Zeugen

  • Naif Kanwan, Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle
  • Martin Kocks, Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle
  • Ralf Bose, Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle
  • Kirsten Glückert, Bundesministerium für Wirtschaft und Energie
  • Dr. Sabine Hepperle, Bundesministerium für Wirtschaft und Energie

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